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Tauben mit gutem Gedächtnis

Zoologie.- Tauben haben sich in unseren Großstädten ihren festen Platz erkämpft - obwohl sie nicht besonders beliebt sind. Warum die Vögel in Städten so erfolgreich sind, haben Biologen in Paris untersucht und sind zu einem überraschenden Ergebnis gekommen.

Von Michael Stang |
    Paris ist nicht nur die Stadt der Liebe, sondern mittlerweile auch die Stadt der Tauben. Vor allem die Felsentauben (Columba livia) sehe er auf seinem täglichen Weg zum Institut ständig, sagt Verhaltensforscher Ahmed Belguermi. Und das nicht nur, weil die Tiere sein Forschungsobjekt sind; in Paris gibt es sie einfach an jeder Ecke.

    "Die Frage, die mich hauptsächlich antreibt, ist: Wie konnten die Tauben all die Großstädte derart erfolgreich erobern? Allein in Paris gibt es heute schätzungsweise rund 100.000 Tauben. Klar werden sie gefüttert, aber das allein beantwortet die Frage nicht, es gibt ja noch viele andere Vögel in den Städten, aber die Tauben sind am erfolgreichsten."

    Eine natürliche Angst vor Menschen kennen die Tauben kaum, schließlich betrachten sie die Bewohner und Besucher einer Großstadt in erster Linie als potenzielle Futterlieferanten. Ob die Vögel tatsächlich jedem Menschen blind vertrauen oder zwischen Passanten differenzieren, wollte Ahmed Belguermi zusammen mit seinen Kollegen von der Université Paris Ouest Nanterre La Défense in einem Park herausfinden.

    "Beim ersten Experiment waren die Rollen unserer beiden Protagonisten klar verteilt: Während der eine die Tauben still mit Futter versorgte, erschreckte und verscheuchte der andere die Tiere immer während er ihnen Futter gab. Obwohl beide Mitarbeiter das gleiche Futter hatten, kamen nach drei Tagen Training die Tauben nur noch zu dem neutralen Fütterer."

    Belguermies Kollegen trugen dabei Ganzkörperanzüge, die 90 Prozent des Körpers entweder in weiß, orange oder rot erstrahlen ließen. Frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass die Tauben diese Farben gut auseinander halten können. In weiteren Trainingseinheiten verhielten sich beide Fütterer neutral. Nach einigen Wochen kamen die Akteure wieder in den Park. Dieses Mal hatten sie jedoch die Anzüge getauscht. Dennoch gingen die Tauben dem ehemaligen "Verscheucher" strikt aus dem Weg, suchten jedoch die Nähe des ehemaligen neutralen Fütterers.

    "Damit sieht es so aus, dass sich Tauben bestimmte Dinge - wie etwa Gesichter - gut merken können. Damit gibt es zwei Erklärungsmöglichkeiten, warum Tauben in Großstädten so erfolgreich sind. Zum einen beobachten sie ihre Umwelt genau und merken sich viele Dinge, zum anderen sind sie unglaublich flexibel, so dass sie damit gut von und mit den Menschen leben."

    Die Fähigkeit der Tauben, sich Gesichter zu merken, ist vermutlich eine - hinsichtlich der Entwicklung der Tiere - relativ junge Anpassung an das Stadtleben, so Ahmed Belguermi. Die fütternden Menschen haben diese Evolution immer weiter beschleunigt. Stadtmenschen sind damit eine Art Motor der Taubenevolution. Anders ausgedrückt: nur die Tauben, die fütternde Touristen von fütternden Taubenfängern unterscheiden konnten, haben überlebt und ihr Erbgut an die nächste Generation weitergegeben. Der hohe Konkurrenzkampf um das Futter der Menschen verschärfte diese Selektion zudem. Dadurch konnte sich eine solche Fähigkeit bei den 100.000 Tauben in Paris binnen weniger Jahrzehnte etablieren.