Kommentar: Taurus-Lieferung
Die Bundesregierung vergeudet Zeit, die die Ukraine nicht hat

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock machte der Ukraine bei ihrem Besuch wenig Hoffnung auf eine schnelle Lieferung des Taurus-Waffensystems. Doch nicht nur Berlin, auch die gesamte NATO reagiere zu langsam, kommentiert Thomas Franke.

Ein Kommentar von Thomas Franke | 12.09.2023
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesaußenministerin, nach einem Treffen mit dem ukrainischen Aussenminister Dmytro Kuleba im Aussenministerium in Kiew.
Das Zögern Deutschlands und der NATO spielt Russland in die Hände, meint Thomas Franke. Außenministerin Baerbock am 11. September in Kiew mit dem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba. (picture alliance / dpa / Oliver Weiken)
"Mit Hochdruck", sagte Außenministerin Annalena Baerbock in Kiew, sei die Bundesregierung dabei, Details zu klären, damit Marschflugkörper vom Typ Taurus an die Ukraine geliefert werden können. Mit Hochdruck? Die Frage steht nun schon seit Wochen im Raum. Wieder einmal zeigt sich hier das Zögern der Bundesregierung, das die dringend nötigen Waffenlieferungen an die Ukraine bremst und Menschenleben kostet. Die Bundesregierung vergeudet Zeit, die die Ukraine nicht hat.

Auch die NATO reagiert zu langsam

Doch das Problem ist nicht nur die zögerliche Bundesregierung. Die gesamte NATO reagiert zu langsam. Es hat Jahre gedauert, bis sich im Bündnis die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Russland ein gefährlicher imperialistischer Staat ist. Und so ist es auch mit den Waffenlieferungen: Die NATO lässt sich von Russland treiben.
2008 hat die NATO auf Betreiben des französischen Präsidenten und der Bundesregierung unter Merkel und Steinmeier Georgien und der Ukraine den Fahrplan in die Mitgliedschaft verweigert. Kurz darauf rollten russische Panzer durch Georgien. 20 Prozent des Territoriums waren schon vorher de facto von Russland besetzt.
Statt dem Rat von Experten und führenden Politikern in Polen und den baltischen Staaten zu folgen, wurden die Beziehungen mit Russland damals einfach neu gestartet. Das Ergebnis? Im Februar 2014 eroberte Russland im Handstreich die Krim. Kurz darauf begann es den Krieg im Osten der Ukraine. Erst als im Sommer 2014 ein Flugzeug voller Malaysier und Niederländer abgeschossen wurde, gab es nennenswerte Sanktionen. Dass der Krieg, der jetzt tobt, im Februar 2014 angefangen hat, wird bis heute nicht klar benannt.
Es gab in den vergangenen 15 Jahren diverse Gelegenheiten, die russische Aggression zu stoppen. Die NATO hat sie verpasst. Selbst als mehr als 100.000 russische Soldaten in die Ukraine einmarschierten, um die Ukraine und alles Ukrainische zu vernichten, als tausende Menschen ermordet, gefoltert, vergewaltigt und deportiert wurden, als Teile der Ukraine apokalyptisch verwüstet waren, zögerte die Allianz noch, die Ukraine adäquat zu unterstützen.

NATO nur noch ein sicherheitspolitischen Bettvorleger?

Dabei war damals schon klar, die NATO hat die Möglichkeit, diesen Krieg zu stoppen oder gar zu beenden. Denn die NATO hat die Waffen, die die Ukraine braucht, und die Truppen, vor denen Russlands Führung Angst hat. Oder hatte? Je länger die NATO zulässt, dass Russland die Regeln bestimmt, desto schwächer wird ihre Position. Die Ukraine ist längst Frontstaat für die NATO-Sicherheit und wird gleichzeitig gedemütigt, indem sie immer wieder um Hilfe bitten muss und sie dann zu spät bekommt. "Warum nicht gleich?" Die Frage des ukrainischen Außenministers an seine deutsche Kollegin trifft den Kern.
Die NATO-Staaten müssen endlich agieren und nicht immer nur zögerlich reagieren. Denn das kostet nicht nur Menschenleben. Die NATO schrumpft sich gerade auf das Niveau eines sicherheitspolitischen Bettvorlegers.