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Tausende betende Hände

Kopien des Kunstwerks hingen in Hunderten Wohnzimmern: die Betenden Hände, welche Albrecht Dürer vor 500 Jahren schuf. Ehemals Inbegriff religiöser Ikonografie wurde das Kunstwerk millionenfach reproduziert - als Gartenzwerg, Duftbaum oder Klorollenhalter. Die Ausstellung "1000 x kopiert. 500 Jahre Dürers Betende Hände" im Nürnberger Kunsthaus zeigt einige dieser Reproduktionen.

Von Bernd Noack |
    Als Kinder strichen wir verstohlen mit den Fingern über das kleine Relief im Schlafzimmer der Eltern, natürlich hing es auf der Mutter-Seite: "Betende Hände". Der Vater sagte: "Von Dürer." Wir verstanden nicht und lasen später bei Tucholsky: "Heiss warn se und kalt. Nu sind se alt." Da sahen wir sie wieder vor uns: zwei Hände, bittend verschränkt, faltig die Haut, knochig die Finger. Geschnitzt oder gestanzt oder aus Plastik? Tucholsky meinte die Hände von Muttern, wir die an der Wand.

    Und in Nürnberg im Kunsthaus sehen wir nun, dass wir nur einer von Zigtausenden waren: das "Symbol der Kraft und Ruhe" gehört längst zu den am meisten reproduzierten Kunstwerken der Geschichte. Ein stummes Phänomen. Kaum jemand, der keine Beziehungsgeschichte zu dem Objekt hat, selten eine religiöse, immer eine intensive: Zur Konfirmation hat man es bekommen, durch den Krieg gerettet, von der Großmutter in der DDR kam es eines Tages, als Zeichen der Verliebtheit wird es bewahrt. Es war irgendwie schon immer da, sagen die Menschen in der Ausstellung und halten die Hände in die Kamera als wären sie ein Teil ihrer selbst.

    Oder es steht dann da einer auf einem Riesenfoto und reckt seine Schulter hervor: statt nackter Nixe - betende Hände. Und der Mann sagt, dass er auf die rechte Seite seines Körpers die Symbole für ein positives Leben hat stechen lassen. Da kam nur Dürer in Frage. "Grausig", meint eine Frau, aber sie spielt gar nicht auf das Tattoo an, vielmehr auf das Original: Daheim hing es immer verkehrt, immer zu hoch und allein auf entsetzlich bunten Tapeten. Hände ohne Körper, einfach abgetrennt, sehr befremdlich. Und überhaupt furchtbar bigott: immer nur beten!

    Das sind die Hände von Oma, dachte das Kind und tastete mit den Fingern die Furchen und Knochen und verglich mit der lebendigen, warmen, alten Haut. Nein, mit Oma würden wir heute nicht in die Ausstellung gehen. Oma war gläubig und dieser Dürer da war ihr heilig, eine ernste, stille Erinnerung an ihre Andachtspflicht. Was würde sie sagen zu den kreativen Verballhornungen ohne Zahl? Zu Gartenzwergen, Duftbäumen, Klorollenhaltern, T-Shirts, Straußeneiern? Das Kunstwerk im Zeitalter der Respektlosigkeit!

    Dem Klaus Staeck, der die Hände in Schraubzwingen legte in den 70ern, würde die Oma die griffbereite Bibel - darin natürlich ein Lesezeichen mit "Betenden Händen" und passendem Sprüchlein - also die Bibel um die Ohren hauen: Spottet nicht! Versündigung am göttlichen Dürer oder gar gleich an Gott? Da kann der Grafiker und Akademie-Präsident hundert Mal beteuern, dass sein berühmtes Plakat nur eine "Antwort auf die Sinnentleerung, das Inflationäre des Motivs" gewesen sei. Oma wäre das egal. Und überhaupt: verkauft hat der Staeck den Druck ja selber nun auch nicht schlecht.

    Dürers Hände an die Wände - in Nürnberg ist das ein befremdlicher Parcours durch Gründe und Abgründe: die Wohn- und Schlafzimmer, in denen die Bilder und Repliken hängen oder gar als Kerzen und Weihwasserbecken herumstehen, kann man sich gut vorstellen; die angestrengte Heiterkeit, mit der Künstler an ihre kitsch-kritische Kopierarbeit gegangen sind, freilich auch: Die Mickey Mouse erhebt ihre Handschuh-Finger, Andy Warhol wollte Hände auf seinem Grabstein, als fromme Füße kommen sie schon auch mal daher. Und dann erst die Staaten, die es anscheinend nötig haben: In Uganda kann man das Motiv ablecken, da ist es auf Briefmarken, in der Republik Äquatorial Guinea kann man mit ihm zahlen, da ist es auf Münzen.

    Aber weil wir nun mal in Nürnberg sind, muss das Kulturreferat noch hinzufügen, dass die "Betenden Hände" vor allem "nach dem Desaster des Nationalsozialismus für die Deutschen zum Sinnbild der Hoffnung" geworden sind. Womit Dürer, dem unverfänglichsten Symbol der Stadt, dann auch endlich eine neue Rolle zukommt. Aber er hat ja hier schon viel erdulden müssen, dieser alte "Ziselierkünstler", wie ihn Thomas Bernhard nannte: Hasen-Aufmarsch, Rasenpflanzung, Adam- und Eva-Schönheitskult, Opernball.

    Was jetzt noch fehlt? Das Rhinozeros, natürlich! Vielleicht sehen wir es im nächsten Jahr: Mit Feigenblatt am Horn und hoppelnd über ein grünes Rasenstück auf dem Reichsparteitagsgelände, die klobigen Paarhufe flehend gefaltet zur Andacht und mit dem dicken Panzer den Vorsturm von Neonazis abwehrend? Nürnberg lässt seinen Dürer auf jeden Fall nicht los. Da wird auch kein Beten helfen.