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Tauwetter in Grönland

Glaziologie. - Grönlands Eisschild wird immer kleiner und schmilzt immer schneller. Dadurch steigt der Meeresspiegel zunehmend rascher an. Das ergaben jetzt übereinstimmende Berechnungen mit zwei völlig verschiedenen Methoden, weshalb sich die Forscher recht sicher sind, dass sich der Anstieg des Meeresspiegels beschleunigen wird.

Von Dagmar Röhrlich |
    Grönland schmilzt. Auf der größten Insel der Welt mit ihrem bis zu drei Kilometern dicken Eispanzer herrscht Tauwetter. Verschwänden all‘ diese Gletscher von heute auf morgen, stiege der Meeresspiegel um sieben Metern an. Nun hat selbst bei den alarmierendsten Szenarien die Menschheit bis dahin noch 10.000 oder mehr Jahre Zeit. Aber das sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass Grönland derzeit sein Eis so schnell zu verlieren scheint, wie noch nicht einmal in den düstersten Modellrechnungen:

    "Kollegen von der University of California haben bestimmt, welche Eismasse in Form von Eisbergen Jahr für Jahr von den Küstengletschern abbricht. Unsere Gruppe hat dann mit Hilfe eines neuen regionalen Atmosphärenmodells berechnet, wie viel Eis über ganz Grönland hinweg schmilzt und wie viel Schnee fällt. Kombiniert man die Ergebnisse, passen sie perfekt zu den Satellitendaten, die über die Veränderungen in der Schwerkraft den Schwund an Eismasse messen. Die Analyse zeigt, dass in den vergangenen 15 Jahren das Kalben der Küstengletscher und das Abschmelzen der Eiskappe gleich viel zum Masseverlust in Grönland beigetragen haben."

    Michiel van den Broeke von der Universität in Utrecht. Derzeit summieren sich beide Prozesse auf 240 bis 270 Kubikkilometer Schmelzwasser pro Jahr. Das ist fast doppelt so viel wie bislang angenommen. Dabei beschleunigen die Auslassgletscher, deren Eis ins Meer fließt. Sie kalben öfter. Gleichzeitig schmilzt an der Oberfläche das Eis immer schneller, erklärt der Forscher: Das begann 1996 in Zentralgrönland und nimmt seitdem flächendeckend zu:

    "Seit fünf Jahren wird das Schmelzen immer wichtiger, ganz einfach als Folge des Klimawandels. Der Schnee, der im Winter fällt, schmilzt im Frühjahr schneller ab und statt seiner weißen Oberfläche, die das Sonnenlicht reflektiert, bleibt das dunkleres Eis zurück, das mehr Sonnenenergie aufnimmt und dadurch schneller schmilzt. Die Schmelzperiode dauert also länger und ist intensiver."

    Allerdings verändert sich dieser Prozess, so Michiel van den Broeke. Der Beitrag der immer dünner werdenden Auslassgletscher wird abnehmen. Wenn eines Tages ihre heute schon schnell zurückweichenden Gletscherzungen das Meer nicht mehr erreichen, wird ihr Beitrag zum Eisverlust gleich Null sein. Dann wird das Tauwetter der einzige Prozess sein, der allerdings umso heftiger am Grönlandeis nagt:

    "In den vergangenen 15 Jahren hat das Abschmelzen des Eises in Grönland um etwa 30 Prozent zugenommen - und das durch einen Temperaturanstieg, der in dieser Zeitspanne etwas weniger als ein Grad Celsius betragen hat. Aufgrund von Klimaprognosen erwarten wir eine Erwärmung von drei Grad Celsius. Dann wird sich das Abschmelzen verdoppeln."

    In den vergangenen 15 Jahren ist in Grönland auch mehr Schnee gefallen. Das hat den Masseverlust eine Zeitlang maskiert. Van den Broeke:

    "Etwa die Hälfte des Masseverlustes wurde durch den zusätzlichen Schneefall kompensiert. Außerdem ist ein Teil des Schmelzwassers wieder gefroren, und auch das kaschierte den Verlust. Ohne diese beiden Effekte wäre der Eisverlust doppelt so groß gewesen, wie er es ohnehin schon ist."

    Grönlands Eisverlust wirkt sich direkt auf den Meeresspiegel aus. Der steigt derzeit global gesehen jährlich etwa mit 2,5 Millimetern an:

    "Während der vergangenen drei Jahre trug das Abschmelzen des grönländischen Eises jährlich 0,75 mm zum Meeresspiegelanstieg bei, was in etwa 25 bis fast 30 Prozent entspricht."

    Vor allem in den warmen Sommern seit 2006 sind die Schwundraten stark angestiegen, so Michiel van den Broeke. Eine Besserung ist nicht in Sicht.