Sebastian Wellendorf: "Wir beginnen mit dem heftigen Wind ins Gesicht von Horst Seehofer. Gegenwind ist er ja gewöhnt, der Bundesinnenminister. Er muss daran gewöhnt sein, denn dass die Ankündigung, gegen eine Journalistin Strafanzeige zu stellen, Gegenwind verursachen würde, das hat er sicher mit eingeplant. Dennoch muss es Böen in diesem Gegenwind gegeben haben, die ihm dann doch ein bisschen zu stürmisch waren. Vielleicht war es der Aufschrei in der Politik, auch in den eigenen Reihen, vielleicht waren es die eindeutigen Positionen der Journalistenverbände. Möglicherweise war es auch das vertrauliche Gespräch mit Angela Merkel selbst, das ihn heute umgestimmt hat. Heute hat Horst Seehofer bekanntgegeben, dass er von einer Anzeige gegen die "taz"-Autorin Hengameh Yaghoobifarah absieht. In deren Text sich ja Polizist_innen auf der Mülldeponie am wohlsten fühlen. Ich habe die "taz"-Chefredakteurin Barbara Junge gefragt, was sie zu dieser Wendung sagt."
Barbara Junge: "Ich finde es bezeichnend, dass der Bundesinnenminister für eine solche Erkenntnis vier Tage gebraucht hat. Unsere Autor_in wurde und wird massiv angefeindet, und ich weiß nicht, ob der Rückzug von Horst Seehofer etwas für sie ändert. Wir stehen auf jeden Fall hinter ihr und vertreten sie."
Wellendorf: "Dennoch: Kam die Nachricht von Herrn Seehofer für Sie überraschend?"
Junge: "Nein, ich hab damit gerechnet."
Wellendorf: "Warum?"
Junge: "Ich hatte nicht den Eindruck, dass es danach aussieht, dass er die Anzeige wirklich umsetzen würde. Es hat ja doch das eine oder andere Gespräch wohl auch hinter den Kulissen gegeben. Was da genau passiert ist, ich mein, da müssen Sie Herrn Seehofer natürlich selbst fragen. Aber nein, ich habe damit gerechnet, dass es heute Morgen kommt."
Wellendorf: "Jetzt hat Herr Seehofer auch, zumindest durch die Blume, angekündigt, dass er ein Gespräch nicht nur mit dem Presserat, der ja eigentlich zuständig gewesen wäre, suchen möchte, sondern möglicherweise auch mit Ihnen. Und ich gehe jetzt davon aus, dass das Gespräch noch nicht stattgefunden hat, oder?"
Junge: "Nein. Ich habe auch noch gar keinen direkten Brief bekommen, aber habe natürlich gelesen, was er erklärt hat. Und ich würde sagen: Die 'taz' führt ja gerade eine ganz schön leidenschaftliche Diskussion über Rassismus und Polizei und den journalistischen Umgang damit. Und dass sich der Bundesinnenminister daran beteiligen möchte, begrüße ich."
Wellendorf: "Eine Frage hätte ich noch, und zwar die leicht verwirrende Entschuldigung von Ihnen - am Dienstag, glaube ich, kam die - die für einige Pressevertreterinnen und Journalistinnen dann doch etwas seltsam kam, dass sie sich für die Kolumne entschuldigt haben. Wie sehen Sie das aus heutiger Sicht?"
Junge: "Ich habe gesagt, dass man in diesem Satz etwas lesen konnte, aber nicht musste, und was man da hineinlesen konnte oder wie es verstanden werden konnte, das tut mir leid. Und das hab ich damit gemeint. Das heißt aber natürlich nicht, dass wir nicht hinter unserer Autorin stehen."
Wellendorf: "Barbara Junge, die Chefredakteurin der 'taz', zur heutigen Entscheidung des Bundesinnenministers Horst Seehofer, die Anzeige gegen die 'taz'-Kolumnistin doch zurückzuziehen. Danke, Frau, Junge."
Junge: "Gerne doch."
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