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Teamentscheidung statt Kapitänsdiktat

Seit der "Costa Concordia"-Kastastrophe vor der Insel Giglio geht die Costa-Reederei neue Wege. Bei der Offiziersausbildung im niederländischen Almere gibt es keine Ränge mehr, sondern nur noch Funktionen. Statt des Kapitäns steht künftig das Team mehr im Mittelpunkt.

Von Kerstin Schweighöfer |
    Fünf Uhr morgens, sechs Meilen vor der Küste Floridas. Auf dem Wasser tanzen Schaumkronen. Die "Emerald Princess", ein Kreuzfahrtschiff mit mehr als 3000 Passagieren an Bord, hat soeben die Erlaubnis erhalten, in den Hafen von Fort Lauderdale einzulaufen. Das sechsköpfige Team auf der Brücke beginnt erst einmal zu diskutieren:

    "Sollen wir runter auf sechs Knoten?”, fragt der Navigator, der zusammen mit dem Co-Navigator ganz vorne sitzt.

    "Ich fürchte, sechs sind zu wenig. Wegen der Strömung”, gibt der Operations Director zu bedenken. Er sitzt hinter den beiden. Man einigt sich auf acht Knoten.

    Normalerweise geht es auf der Brücke von Schiffen anders zu. Es gibt keine Teams, sondern einen Kapitän. Der ist Alleinherrscher. Auf dieser Brücke jedoch ist Widerspruch, Meuterei ausdrücklich erwünscht: Mach' den Mund auf! Denke laut! Alles wird gemeinsam beschlossen:

    Das ist neu. Und das Einlaufen in den Hafen von Fort Lauderdale eine Simulation. Sie findet bei CSMART im niederländischen Almere statt, einem maritimen Trainingszentrum speziell für Offiziere von Kreuzfahrtschiffen. Seit vier Jahren werden sie hier auf ihren Berufsalltag vorbereitet – nach einer neuen Methode, bei der es keine Ränge mehr gibt, sondern nur noch Funktionen wie Navigator oder Operations Director. Je nach Teamzusammenstellung schlüpfen Kapitän und Offiziere mal in die eine, mal in die andere Funktion, können sich gegenseitig kontrollieren, korrigieren – und Fehler vermeiden. Kommt es zu Gefahrensituationen, muss eine Checkliste Punkt für Punkt abgearbeitet werden, erklärt Direktor Hans Hederström:

    "Im traditionellen System stand der Kapitän ganz vorne und hat alles alleine beschlossen, ohne die anderen zu informieren. Das hat Distanz entstehen lassen. Der Kapitän war der einzige Experte, die anderen durften ja nicht viel tun. Sie trauten sich auch nicht, etwas zu sagen, wenn der Kapitän einen Fehler machte. Das hat für viele Vorfälle und Unfälle gesorgt.”"

    Hederström führt an diesem Tag eine Gruppe deutscher Journalisten durch sein CSMART-Zentrum. Es gehört der Carnival-Gruppe, dem größten Kreuzfahrtunternehmen der Welt mit mehr als 100 Schiffen. Sie fahren für zehn Reedereien – angefangen bei Aida über die Holland Amerika Linie bis hin zu Costa.

    Die Costa-Reederei hat zu diesem Pressetermin eingeladen – aus gutem Grund: Die Katastrophe der "Costa Concordia" vor Giglio hat ihrem Ansehen schwer zugesetzt. Es gilt das Vertrauen der Kunden zurück zu gewinnen, sagt Hanjamaria Richter, Sprecherin von Costa Deutschland:

    ""So ein Unfall hat natürlich Auswirkungen auf das Image, hat nicht nur für Costa Auswirkungen, hat für seine Mitarbeiter Auswirkungen, ja."

    Seit der Katastrophe hat die Reederei zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Die Umstellung auf das neue System allerdings, wie es in Almere gelehrt wird, war schon vor der Katastrophe beschlossene Sache. Auch Francesco Schettino, der Kapitän der "Costa Concordia" war in Almere erwartet worden. Dass er das Spezialtraining nicht mehr absolvieren konnte, liegt daran, dass die Reederei Costa eine der letzten der Carnival-Gruppe waren, die in Almere an die Reihe kamen. Wäre Schettino hier gewesen, die Katastrophe hätte verhindert werden können. Davon ist zumindest Direktor Hederström überzeugt:

    Bis Ende 2013 werden alle Offiziere der Carnival-Gruppe das neue System kennengelernt haben. Gleichgültig, ob Maschinenschaden, Mann über Bord, drohende Kollisionen - sie sollen dann besser darauf vorbereitet sein, alle Gefahrensituationen im Team zu meistern.

    Auch Feuer im Maschinenraum.

    Das blieb der Crew der "Emerald Princess" bei ihrer Übung erspart. Dafür allerdings mussten sie ohne Lotsen in Fort Lauderdale einlaufen, denn die streikten ausgerechnet an diesem Tag. Es gab auch noch ziemlich dichten Nebel. Und eine Gruppe von Walen und Delfinen, denen ausgewichen werden musste.

    Aber auch das wurde gemeistert – gemeinsam, im Team. Navigator Benito Graanoogst, im wirklichen Leben zweiter Offizier bei der Holland-Amerika-Linie, ist zufrieden. Eine Übung, so glaubt der 34Jährige, wird aber nicht alles verändern können, schon gar nicht sofort:

    ""Es geht um uralte Traditionen, die durchbrochen werden müssen, gerade ältere Offiziere sind es nicht gewohnt, dass man ihnen widerspricht. Das geht nicht von heute auf morgen. Das braucht Jahre.”"