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Teamfähig durch Ballerspiele

Dass "Shooter Games" ihre Spieler auch in der Realität zu Gewalt verleiten, wird gern behauptet. Wissenschaftler kommen zu anderen Ergebnissen: Sie schreiben Computerspielen soziale Lerneffekte wie Selbstständigkeit und Teamfähigkeit zu.

Von Thomas Wagner |
    Schüsse. Immer wieder Schüsse. Auf dem Flachbildschirm sieht man eine Waffe in einer riesigen Hand. Eher klein abgebildet, mehrere schemenhafte Personen, die davonlaufen. Doch der Mann an der Spielkonsole hat einen lockeren Finger am Abzug. Immer wieder drückt er ab - und trifft sehr häufig. So funktioniert ein sogenanntes "Shooter Game" - eines jener digitalen Computerspiele, die wegen ihrer Gewalt-Inhalte in Verruf geraten sind.

    Doch Vorsicht vor allzu schnellen Verurteilungen, sagt Professor Thorsten Quandt, Medienwissenschaftler und Spieleforscher an der Universität Stuttgart-Hohenheim:

    "Wenn wir unsere Studien anschauen, dann ist es so, was militaristische Einstellungen angeht oder auch sexistische Einstellungen, das haben wir geprüft im Rahmen sogenannter Kultivierungsstudien, da haben wir zunächst keinen Unterschied gefunden zwischen Spielern und Nichtspielern, was aggressive Grundeinstellungen oder so etwas angeht."

    Dass sich zwischen der Nutzung von digitalen Computerspielen mit Gewaltinhalten und der tatsächlichen Gewaltbereitschaft kein Zusammenhang nachweisen lässt, ist ein wichtiges Ergebnis der Studie "Gamestat 2011", die Thorsten Quandt auf dem Kongress "multi.player - Soziale Aspekte digitaler Spiele" vorgestellt hat. Dort schrieben die Experten Computerspielen zahlreiche soziale Lerneffekte zu, selbst dann, wenn mächtig digital geballert wird.

    Die Medienwissenschaftlerin Tanja Adamus von der Universität Duisburg-Essen hat die so genannte "e-Sport-Szene" untersucht. Darunter versteht sie jene Computerspieler, die sich zu regelrechten Teams zusammenschließen und, so ähnlich wie im Fußball oder im Volleyball, in kleinen Mannschaften virtuell gegeneinander antreten - auch in gewaltbetonten "Shooter Games". Dabei müssen die einzelnen Mitglieder aber erst einmal teamfähig werden - für Tanja Adamus ein wichtiger Lerneffekt:

    "Die sitzen da vorne, die kommunizieren wirklich sehr stark miteinander. Es gibt festgelegte Rollen in diesen Fünfer-Teams: Wer geht wohin? Wie gehen wir vor? Wer macht wann was? Wer übernimmt welche Rolle? Es wird sehr viel miteinander kommuniziert, sich gegenseitig zugerufen und gesagt, was man jetzt macht, wo man wann hingehen soll, ob man dem anderen Deckung geben soll, welche Taktik gespielt wird. Es gibt einen, der ansagt, der so eine Art Anführer-Rolle spielt in diesen Fünfer-Teams, der den anderen vorgibt, was sie zu tun haben, wie sie ihre Truppen aufteilen. Es geht nicht mehr darum: Wie kann ich alleine der beste sein? Sondern es geht darum, dass das Team als Ganzes erfolgreich ist. Man ist darauf angewiesen, mit den anderen zu kooperieren um die gegnerische Mannschaft zu besiegen."

    Dabei erarbeiten sich die Teilnehmer nach Ansicht von Tanja Adamus Fähigkeiten, die sie auch in vielen anderen Lebensbereichen, fernab der digitalen Spielwelt, nutzen können:

    "Sie haben gelernt, wie man Aufgaben verteilt. Sie haben gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Wenn sie solche Führerrollen übernehmen, hängt eben sehr viel von ihren Entscheidungen ab, auch von dem, was die anderen machen. Ich glaube auch, dass sie sehr stark lernen, selbstständig zu lernen. Weil: Es gibt ja niemanden, der sie anweist, der ihnen wie in der Schule sagt: Jetzt mach das, jetzt gehst Du diese Aufgabe an. Jetzt schau‘ Dir den Text an. Und ich denke, sie lernen einen großen Teil Selbstständigkeit."

    So würden selbst solche Computerspiele, bei denen es ums "Eliminieren", ums digitale Töten geht, zum "Lern-Tool", mit dem die Teilnehmer Teamfähigkeit und Selbstständigkeit üben können. Dass der eigentlichen Spielgegenstand sehr gewaltbetont ist, dürfe man dabei nicht überbewerten, meint Tanja Adamus:

    "Wenn man das nur beobachtet, dann sieht man das einfach anders - muss man sagen: Man sieht die Gewalt auf dem Bildschirm. Man sieht, dass die aufeinander schießen. Wenn man das selber spielt, nimmt man das ganz anders wahr. Man sieht eine Aufgabe. Das klingt immer komisch für Außenstehende. Aber man realisiert eigentlich nicht mehr: Ich erschieße einen Gegner. Sondern es ist wirklich nur eine Aufgabe. Und was im Vordergrund steht, ist Strategie und mit den andern Spielern zu kooperieren."

    Neben der Erziehung zur Selbstständigkeit und zur Teamfähigkeit können digitale Spiele noch erheblich mehr. So entwickeln Medienwissenschaftler der Universität Wien derzeit ein Computerspiel, dass die soziale Integration von jungen Migranten fördern soll.
    "Das Ziel des Spiels ist, Jugendliche, die in Wien leben, ungeachtet ihres kulturellen Hintergrundes zusammen zu bringen und auch halbwegs nachhaltige Freundschaften entstehen zulassen. Also wir wollen ihnen helfen, dass sie einander besser kennen lernen, mehr Verständnis für andere Kulturen aufbringen, dass sie Vorurteile abbauen können, und das nicht nur für Jugendliche, die selbst einen Migrationshintergrund haben, sondern für Jugendliche ohne Migrationshintergrund, wo es ganz offenkundig auch um Verständnis mangelt für Situationen, die für Jugendliche mit migrantischem Hintergrund ganz alltäglich sind, Rassismus zum Beispiel."

    Erläutert Vera Schwarz vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien. Über Facebook sollen die Teilnehmer mit und ohne Migrationshintergrund zueinander finden. Am Anfang steht dann die Bewertung von Filmen, die im Internetportal Youtube eingestellt sind. Auf der Basis dieser Bewertungen ergeben sich Gruppen, die später gemeinsam virtuelle Aufgaben lösen - Gruppen, die aus Jugendlichen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen bestehen. Die Fachleute der Universität Wien feilen noch an den Details zum Spieldesign. Das Ganze soll Anfang 2012 online gehen. Über das neue digitale Spiel im Internet werden sich Gruppen aus Jugendlichen unterschiedlicher Kulturgruppen bilden, die in dieser Zusammensetzung sonst niemals zu Stande kämen.

    Vera Schwarz:

    "Wir glauben, dass dieses Spiel die Hürden verkleinert, weil die Jugendlichen nicht sofort irgendwo hingehen müssen, wo dann wieder sofort Sozialarbeiter sind oder sonst eine betreute Situation entsteht. Sondern sie können zunächst ganz ohne Hürde online in dieses Spiel einsteigen. Und dann vielleicht, in der Folge, entwickelt sich der soziale Kontakt eher. Und ich glaube, dass es ohne das Spiel es schwieriger wäre, den Zugang zu dieser Zielgruppe zu bekommen."

    Soziales Lernen durch Computerspiele: Auf dem Kongress an der Universität Hohenheim wurde deutlich, wie breit die Palette der möglichen Anwendungen ist. So erforscht das Institut für Wissensmedien in Tübingen Möglichkeiten, Übungssituationen für Einsatzkräfte der Polizei, die in der Realität sehr teuer sind, am Computer nachzuspielen. Konkret ging es bei dem Projekt um die Landung eines Hubschraubers mit bewaffneten Polizisten. Eine Testgruppe übte die Situation im digitalen Spiel, eine andere unter realen Bedingungen. Das Ergebnis war zunächst, so die Psychologin Johanna Bertram vom Institut für Wissensmedien, nicht zufriedenstellend. Denn in der virtuellen Gruppe gaben sich die teilnehmenden Polizisten zu sehr als Einzelkämpfer und nahmen ihre Kollegen nicht in ausreichendem Ausmaß als Mitglied eines gemeinsamen Teams wahr. Das, glaubt Johanna Bertram, lässt sich aber verbessern. Möglicherweise müssen die Spieldesigner, die die virtuelle Übungssituation planen, bei den umstrittenen "Shooter Games" abgucken, wo gerade Teambildungsprozesse sehr rasch vonstatten gehen.

    Die Beispiele zeigen: Die Bedeutung von digitalen Spielen wächst ständig. 25 Prozent aller Deutschen setzen sich regelmäßig vor den Rechner, um digital zu spielen. Unter den Jugendlichen wächst dieser Anteil allerdings auf über 70 Prozent, heißt es in der Erhebung "Gamestat" der Universität Hohenheim. Dennoch warnt Medienwissenschaftler Professor Thorsten Quandt davor, solche Spiele zu stark mit Lerninhalten zu befrachten:

    "Man darf es auch nicht übertreiben. Ein Spiel soll zunächst mal Spaß machen. Dafür ist es gemacht. Wenn man zu viel an Nutzwert versucht hinein zu programmieren, macht es oftmals nicht mehr so viel Spaß, weil der Nutzer merkt, in welche Richtung das gehen soll. Und dann gibt es eben auch mal ein ablehnendes Verhalten."