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Technetium-99 wird knapp

Medizin, - Die Radiomedizin ist auf dem besten Weg, in eine ernsthafte Versorgungskrise zu rutschen. Ihr wichtigstes Pharmazeutikum, ein strahlendes Medikament namens Technetium-99, könnte bald schon knapp werden. Hintergrund ist der Ausfall des größten unter den nur fünf Kernreaktoren weltweit, die das strahlende Medikament produzieren. Björn Schwentker berichtet im Gespräch mit Uli Blumenthal.

03.06.2009
    Erst in fünf Jahren dürfte der Forschungsreaktor FRM II in Garching ebenfalls in der Lage sein, Technetium für die Medizin zu produzieren.
    Erst in fünf Jahren dürfte der Forschungsreaktor FRM II in Garching ebenfalls in der Lage sein, Technetium für die Medizin zu produzieren. (FRM-II)
    Uli Blumenthal: Das für Tumordiagnosen verwendete Radionuklid Technetium-99 könnte bald schon wieder knapp werden. Nach dem Ausfall eines Reaktors im niederländischen Petten im Spätsommer 2008 ist jetzt der weltgrößte Kernreaktor in Kanada ausgefallen. Der versorgt Kanada und die USA mit dem strahlenden Diagnostikum. Inwieweit vom Ausfall davon auch Europa betroffen sein kann und welche Ersatzmöglichkeiten es gibt - darüber spreche ich nun mit meinem Kollegen Björn Schwentker, der für "Forschung aktuell" auch über Nuklearmedizin berichtet. Björn Schwentker, zunächst die Frage: Warum ist Technetium-99 so wichtig?

    Björn Schwentker: Das Technetium-99 ist so wichtig, weil es inzwischen wirklich zu dem Standardmedikament in der Tumordiagnose geworden ist. Vielleicht eine Zahl: Allein in Deutschland gibt es 60.000 sogenannte Szintigrafien pro Woche, das sind die entscheidenden Bilder von Skelett, Schilddrüse oder Herz, auf denen man Tumoren erkennen kann. Das Problem mit dieser Art von Bildgebung ist, dass das Technetium-99, der Strahler, kaum auf Vorrat lagerbar ist, weil er radioaktiv extrem schnell zerfällt. Das heißt, die radioaktive Vorstufe dazu, das sogenannte Molybdän-99, muss laufen in Kernreaktoren neu hergestellt, dann ganz schnell aufgearbeitet und zu Kliniken und Arztpraxen gebracht werden, um dort für die Patienten zur Verfügung zu stehen.

    Blumenthal: Im Spätsommer 2009 ist ja der niederländische Kernreaktor in Petten ausgefallen. Damals gab es schon eine Versorgungskrise und die Sorge, dass sie sich zu einer weltweiten Krise auswächst. Jetzt der weltweit größte Reaktor in Kanada. Ist die Situation damit viel, viel ernster?

    Schwentker: Das kann man so direkt nicht sagen. Hier in Europa war damals der Ausfall von Petten vielleicht direkt etwas bedrohlicher. Das Gesamtproblem ist, dass es für die gesamte Welt insgesamt nur fünf Großreaktoren gibt, die global die Versorgung sicherstellen müssen, und die haben insgesamt kaum Überkapazitäten. Das heißt, wenn einer ausfällt, wird es weltweit schon eng. Dieser kanadische Reaktor, der jetzt stillsteht, versorgt alleine Kanada und dazu noch die ganze USA. Nun sind die Befürchtungen in Europa, dass die Amerikaner in ihrer Not, gar kein Technetium-99 mehr zu haben, alles aufkaufen können, was es weltweit gibt, und entsprechend auch auf den europäischen Markt drängen. Dem Deutschlandfunk liegt ein internes Schreiben vor von einem industriellen Anlieferer, in dem er gegenüber den Nuklearmedizinern schon einmal ankündigt, dass bis zu 50 Prozent der Lieferungen ausfallen könnten. Man möge sich darauf gefasst machen, die Patienten schon einmal vorbereiten, dass ihre Behandlung nun vielleicht doch flachfällt. Hier gibt es zwar zwischen den Anbietern und den Praxen und Kliniken Verträge, aber die Amerikaner könnten eben sehr viel Geld bieten, um doch wenigstens etwas von dem Medikament kaufen zu können, und dann könnten die Verträge schon nichts mehr wert sein, auch wenn die Anbieter, die Industrie hier sagt, sie wird versuchen, ihre verbleibenden vier Reaktoren so gut zu koordinieren, dass es zu keinen weiteren Engpässen kommen wird.

    Blumenthal: Wenn diese Reaktoren, die weltweit Technetium-99 herstellen für die Nuklearmedizin, alle so alt sind, ist dann eine prinzipielle Lösung in Sicht, um den Versorgungsengpass in Zukunft überwinden zu können?

    Schwentker: Ja, das liegt einfach daran, wie schnell nun auch die Politik begreift, dass hier wirklich investiert werden muss. Die Reaktoren sind, Sie sagen es, alle sehr alt, um die 50 Jahre. Das heißt, die Lizenzen dieser Reaktoren laufen allein schon in ein paar Jahren ab, und von daher müsste eigentlich eine Flotte neuer Reaktoren da stehen, die die Versorgung sichern. Aber die müsste man jetzt beginnen zu bauen, denn es dauert auch ein paar Jahre, bis so ein Reaktor da ist. In Deutschland überlegt man sich im Moment, dass man sich unabhängig macht, und in Garching bei München den Forschungsreaktor FRM II so aufbaut, dass er letztlich Technetium produzieren kann beziehungsweise die Vorstufe Molybdän, und dann wäre wenigstens für Deutschland ein Teil der Versorgung gesichert. Doch die Politik ist leider noch etwas zurückhaltend damit, die nur 5,4 Millionen, die das Ganze kosten soll, zuzusagen. Bayern ist schon vorgeprescht, sagt, wir tragen ein Viertel, aber der Bund will den Rest noch nicht zahlen. Der Ernst der Lage ist da vielleicht in der Politik noch nicht ganz angekommen.

    Blumenthal: Wenn man sich einigt, FRM II zu einer solchen Quelle auszubauen, wann kann das erste Technetium oder Molybdän dann hergestellt werden?

    Schwentker: Dort in Garching rechnet man damit, dass das erste Molybdän dann in etwa fünf Jahren bereitstehen würde. Da habe man schon konservativ gerechnet, heißt es. Das käme ungefähr mit der Zeit hin, zu der die ersten Reaktoren dann wegen ihrer Lizenzen die Produktion einstellen müssten.