Stromausfälle gibt es hierzulande immer wieder mal, doch in der Regel sind sie kurz und regional begrenzt. Im November 2006 allerdings war alles anders. Nachdem der Energieversorger E.ON eine Hochspannungsleitung über die Ems abgeschaltet hatte, um ein Kreuzfahrtschiff passieren zu lassen, gingen bei Millionen Menschen in Europa die Lichter aus. Für Fachleute wie Wolfgang Kröger vom Risikoforschungszentrum der ETH Zürich war das ein Schock.
"Ein Schock deshalb, weil dort eine kleine geplante Ursache, falsch gehandhabt, falsch vorbereitet, zu einer Aufteilung des europäischen Netzes in drei Bereiche geführt hat und das ganze System kurz davor stand, wirklich großflächig lang zusammen zu brechen. Also es gibt ein paar Hinweise die sagen: Passt da auf. Es könnte sein, dass das System gar nicht so sicher ist, wie man das allgemein denkt."
Kleinigkeiten werden zu großen Schwierigkeiten
Ihre Komplexität macht die Stromnetze anfällig für Kaskaden-Effekte, bei denen sich lokale Störungen über Rückkoppelungseffekte zu massiven Problemen aufschaukeln. Sei es nach heftigem Schneefall, wie 2005 im Münsterland, wo bei einer Viertelmillion Menschen bis zu sieben Tage lang kein Strom aus der Steckdose kam. Sei es durch einen Hackerangriff, wie 2015 in der Ukraine, der kurz vor Weihnachten 700.000 Menschen im Dunkeln sitzen ließ.
"Für mich persönlich ist am wahrscheinlichsten ein regionaler oder überregionaler lang anhaltender oder dauerhafter Ausfall der Stromversorgung." Als Bundesinnenminister Thomas de Maizière im August 2016 sein neues Zivilschutzkonzept vorstellte, riet er der Bevölkerung, sich auf lang anhaltende Stromausfälle vorzubereiten.
"Ich kann mir vorstellen, dass es Gruppen oder Staaten oder eine Mischung von Gruppen und Staaten gibt, die ein Interesse daran hätten, einmal auszuprobieren, wie resilient, wie anpassungsfähig die deutsche Gesellschaft ist im Blick auf die Abhängigkeit von der Stromversorgung. Und für diese Fälle möchten wir vorbereitet sein," sagt Thomas de Maiziére.
Deutsches Netz ist gut geschützt
Kathrin Stolzenburg vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn, befasst sich seit Jahren mit der Ausfallsicherheit von Stromnetzen. Das deutsche zähle zu den sichersten der Welt, betont sie.
"Die Wahrscheinlichkeit, dass der Strom in Deutschland ausfällt und dass es zu einem lang anhaltenden und großflächigen Stromausfall kommt, die ist sehr sehr gering. Das heißt aber nicht, dass sie bei Null liegt. Das heißt, wir sprechen von einem reasonable Worst Case."
Also von einem sehr unwahrscheinlichen Ereignis, das allerdings verheerende Folgen hätte, sollte es doch einmal eintreten. In einem 2011 vorgelegten Bericht warnte das Büro für Technikfolgenabschätzung des Bundestages, die Folgen kämen einer "nationalen Katastrophe" gleich.
"Ohne Strom geht in Deutschland vieles nicht mehr. Hunger, Pippi, Notarzt – also die grundlegenden Bedürfnisse, die wir in unserer Gesellschaft haben, die sind dann nicht erfüllt."
Ein Blackout trifft alle Lebensbereiche
Weil ohne Strom keine Pumpen und Kühlschränke funktionieren, würden Trinkwasser, Nahrungsmittel und Benzin schnell knapp. Telefon- und Datennetze wären offline. Krankenhäuser müssten ihre Operationssäle schließen und Radio- und Fernsender den Betrieb einstellen, weil ihren Notstromaggregaten nach wenigen Tagen der Dieseltreibstoff ausgeht.
"Viele Experten bezeichnen zwei Dinge als Achillesferse in einem solchen Szenario eine lang anhaltenden großflächigen Stromausfalls. Zum einen die Treibstoffversorgung der Netzersatzanlagen und der Einsatzfahrzeuge, primär mit Diesel. Und zum anderen die Kommunikationsfähigkeit der Akteure im Stromausfall."
Im Rahmen der Sicherheitsforschungsinitiative hat das Bundesforschungsministerium zahlreiche Projekte gefördert, um diese Schwachstellen technologisch anzugehen. Im Projekt SIMKAS-3D etwa wurden Kaskadeneffekte beim Ausfall von Versorgungsinfrastrukturen an einem virtuellen Stadtmodell von Berlin durchgespielt. Im Projekt TankNotStrom wurde erarbeitet, wie die Kraftstoffversorgung im Krisenfall sichergestellt werden kann. Im Projekt AlphaKomm werden aktuell ausfallsichere Kommunikationsplattformen entwickelt.
Schwachstellen müssen erkannt werden
Kathrin Stolzenburg vom BBK war selbst am Forschungsvorhaben GRASB beteiligt, bei dem von 2009 bis 2012 "Grundlagen und Methoden zur Reduzierung des Ausfallrisikos der Stromversorgung" entwickelt wurden. Eines der Ergebnisse waren verbesserte Simulationswerkzeuge, mit denen die Betreiber von Kraftwerken und Übertragungsnetzen Schwachstellen erkennen und Gegenmaßnahmen prüfen können.
"Man hat Verwundbarkeiten in der Netzsteuerung erhoben. Die Netzsteuerung ist eine wichtige Systemdienstleistung zur Frequenz- und Spannungshaltung oder auch zum Wiederaufbau, wenn der Strom wirklich mal ausgefallen war. Und wir haben mal die Verwundbarkeit von Elementen exakt simuliert."
Was passiert zum Beispiel, wenn es bei einem Kohle- oder Gaskraftwerk in der Nähe des Kesselhauses zu einer Explosion kommt? Fällt dann nur der betroffene Block aus oder muss das ganze Kraftwerk vom Netz? Rechtliche Rahmenbedingungen wie das Energiewirtschafts- und das IT-Sicherheitsgesetz verpflichten die Strombranche, Maßnahmen zu ergreifen, um die Versorgung krisensicher zu machen. Der Staat habe viel getan, um das Problembewusstsein zu schärfen und Kooperation und Austausch der Verantwortlichen zu fördern, sagt Kathrin Stolzenburg.
"Es gibt Rahmenempfehlungen, Konzepte für Einsatzkräfte bei Stromausfällen. Deutschlandauf, deutschlandab üben Länder und Landkreise Stromausfälle. Es gibt Stabsrahmenübungen dazu. Die Übertragungsnetzbetreiber, die diese so genannten Stromautobahnen führen, ohne die hier gar nichts funktionieren würde, haben sich massiv für die Krise aufgestellt."
Notfallübung für Stromausfall
2016 fand in den Niederlanden erstmals eine internationale Übung statt, bei der 100 Experten probten, wie sich ein langanhaltender überregionaler Stromausfall in Europa in den Griff bekommen ließe. Ob und in welchem Umfang solche Planspiele im Ernstfall tatsächlich helfen, den Schaden zu begrenzen, bleibt abzuwarten.
Sich auf den Ernstfall vorzubereiten, ist aber sicher kein Fehler. Netzbetreiber verzeichnen inzwischen fast täglich Hackerangriffe. Und im Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung war bereits 2011 zu lesen: Die Gefahr eines Blackouts wachse, "weil die Gefahr terroristischer Angriffe und klimabedingter Extremwetterereignisse als Ursachen eines Netzzusammenbruches zunehmen werden."