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Technik mit Muskel und Hirn

Kann eine Brücke intelligent sein? Eine Brücke, die spürt, dass sie an die Grenzen ihrer Belastung kommt und mit einer plötzlichen Versteifung ihrer tragenden Teile reagiert, verdiente die Bezeichnung durchaus - sagen die so genannten Adaptroniker. Sie arbeiten mit Werkstoffen, die auf Wärme und Licht, auf Elektrizität und Magnetismus oder auf Druck und Zug reagieren.

Von Bernd Schuh |
    Beschleunigungssensoren oder Photozellen zum Beispiel beruhen auf solchen Techniken. Auch die gute alte Piezokeramik in der Plattenspielernadel ist ein bekanntes Beispiel; wird sie durch die Rillen der Platte verformt, gibt sie elektrische Signale ab.

    Adaptroniker nutzen solche Funktionswerkstoffe als Sensoren und Aktoren und versehen sie mit miniaturisierter Steuerelektronik - es entstehen Systeme aus künstlichen Nerven, Muskeln und Gehirn.

    Die wirklich intelligente Brücke gibt es noch nicht, mangels Muskelmasse sozusagen, aber überall dort, wo es in kleinerem Maßstab um die Dämpfung von Schwingungen geht, hat die Adaptronik schon fast Anwendungsreife erreicht. So könnten schon bald Busbleche weniger dröhnen, Hubschrauber leiser fliegen und Luxuslimousinen noch komfortabler über unebene Straßen gleiten.


    Es muss ja nicht immer gleich ganz schlimm kommen. Schon der kleinste Kratzer im Lack kann teuer werden. Wäre es nicht herrlich, wenn dieser kleine Lackschaden einfach ausheilen würde, wie ein Kratzer in unserer Haut? Warum verfügt die Haut des Autos nicht über Selbstheilungskräfte? Keine Sorge, es wird daran gearbeitet.

    Faserverstärkte Spezialkunststoffe aus Illinois sollen es möglich machen. In das Kunstharz sind winzige Kapseln mit flüssigem Klebstoff eingebaut. Wird die Autohaut verletzt, brechen die Kapseln auf, der Klebstoff füllt die Lücke, der Lack heilt aus. Was dem Autolack aus Illinois noch fehlt, ist die Fähigkeit, mehrere Kratzer an der gleichen Stelle zu verkraften. Das geht vorerst nicht, denn sind die Kapseln erst einmal verbraucht, ist der Füllstoff weg. Und wo kein Helfer, da keine Heilung.

    "Intelligente Materialien" heißen solche werkstofftechnischen Neuschöpfungen in deutschen PR-Postillen, "smart materials" im angelsächsischen Sprachraum. Im Grunde keine wirkliche Neuheit, vielleicht tragen Sie selbst ein "smart material" auf der Nase: die phototropen Brillengläser, die im Sonnenlicht nachdunkeln und im Schatten wieder aufhellen, gehören nämlich in diese Materialklasse.

    Doch angesichts der allgemeinen Übereinkunft, Intelligenz als höchste Entwicklungsstufe des Lebens anzusehen, und uns selbst als die vornehmsten Vertreter derselben, erscheint die sprachliche Verbindung von Material und Intelligenz reichlich hoch gegriffen.
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    " Das was wir als Slogan verwenden, steht da: Adaptronik - Strukturen zum Leben erwecken."

    Schon um einiges ambitionierter ist der Ansatz, den Holger Hanselka verfolgt. Das Feld der Adaptronik - ein Begriff, der mittlerweile auch im englischsprachigen als "adaptronics" Verbreitung findet - umfasst die "smart materials" lediglich als wesentliche Voraussetzung einer neuen Konstruktionsphilosophie: In der Adaptronik geht es darum, Maschinen, Motoren, ganz allgemein mechanische Strukturen mit dem auszustatten, was lebendige Intelligenz tatsächlich auszeichnet: unmittelbar und lernfähig auf Veränderungen zu reagieren.

    " Und das heißt, dass eine Struktur immer - ich nenn's online - erfassen muss, was ihr gerade widerfährt, und genau auf die aktuelle Reaktion reagieren muss. Während ein passives Struktursystem am Reißbrett entworfen wird, alle möglichen Eventualitäten werden eingebracht und dann fliegt das Ding los oder fährt los, oder was immer es tun soll, und irgendwann im Leben trifft das mal ein, was man als Annahme mal hatte, oder es trifft eben nicht ein. Aber es ist grundsätzlich überdimensioniert, weil es ja alle diese Eventualitäten mit abfangen muss."

    Zum Beispiel eine Brücke. Ein typisches Ingenieurprodukt, bei dem die Auslegung auf alle Eventualitäten viel Material verschlingt. Eben nicht nur den üblichen Verkehr, ein paar Fußgänger, Radfahrer und Pkws muss sie tragen können, denkbar wäre ja auch ein Stau, bei dem dummerweise nur voll gepackte Lastkraftwagen auf der Brücke kriechen, oder - schlimmer noch - durch gleichzeitiges Anhalten und wieder Anfahren die Brücke in eine fatale Eigenschwingung versetzen. Also wird zur Sicherheit noch eine Stütze, noch ein Tragseil, noch mehr Stahl bewehrter Beton einkalkuliert.

    " Die Welt der Adaptronik eröffnet uns hier ein völlig neues Denkmuster, ich kann in eine solche Struktur, ich vereinfache mal die Brücke als einen einfachen Balken, stellen Sie sich vor ein Brett, das ich über einen Graben lege, wo ich drüber laufen will, und ich kann in diesen Balken Funktionswerkstoffe integrieren. Und wenn ich dann über diese Brücke rüber laufe, dann würde normalerweise es zu einer Verformung kommen. Jetzt sagen mir diese intelligenten Werkstoffe, von außen wirkt eine Verformung, ich intelligenter Werkstoff will diese Verformung nicht, also bringe ich von innen eine Verformung und wirke dem entgegen. Also ich bringe der äußeren eine innere Kraft entgegen, und kann dann, wenn die Energien ausreichen, und das unterstell ich jetzt mal, ein Brett erzeugen, was sich nicht verbiegt."

    Dieser "intelligente" Umgang mit Belastungen ist ökonomisch und hilft eine Menge Material sparen, das in einer "unintelligenten" Struktur für alle denkbaren Sonderbelastungen eingebaut sein müsste. Damit das aber funktioniert, braucht die adaptronische Brücke, allgemeiner ein adaptronisches System, so etwas wie Sinne, um die Belastung zu registrieren, Muskeln, sich zu versteifen und ein Gehirn, das das Ganze steuert. Adaptroniker vergleichen denn auch gern ihre Systeme mit lebendigen Organismen.

    " Sie müssen relativ selten Wasserkisten schleppen, aber wenn Sie Wasserkisten schleppen, dann spannen Sie alle Ihre Muskeln rund um die Wirbelsäule an, und dann schaffen Sie es, wenn Sie einigermaßen im Training sind - wenn nicht, haben Sie vielleicht en Bandscheibenvorfall - dann schaffen Sie es, die hohe Last eben zu ertragen, aber in unserer Sprache wäre es ein Sonderereignis, das machen Sie zum Glück nicht alle Tage."

    Wie so oft ist die Idee ganz einfach. Aber für die Umsetzung braucht es geeignete Materialien, die in der Lage sind, die Rolle von Sinnen und Muskeln - oder in der Sprache der Adaptroniker: von Sensoren und Aktoren - zu übernehmen.

    " Deshalb hat diese Szene der Adaptronik ihre Bedeutung auch erst Mitte bis Ende der 80er Jahre bekommen, weil man da so weit war, dass man Werkstoffe aktiv verändern konnte, und mit veränderten Werkstoffen veränderte Eigenschaften erzielen konnte. Das ist sozusagen die Besonderheit dieser Technologie, sie basiert also auf diesen Multifunktionswerkstoffen, ohne die geht es nicht. Und deshalb konnte man damit nicht beliebig früh anfangen."

    Die am längsten bekannten Funktionsmaterialien sind Piezokeramiken. Wenn die Plattenspielernadel in den Rillen der Platte surft, verformt sich der piezoelektrische Kristall am Abnehmer und ruft dadurch eine Änderung der elektrischen Spannung hervor. Das macht einen Piezokristall zum optimalen Sensor.

    Umgekehrt kann eine Spannungsänderung am Kristall eine Verformung hervorrufen - genau das, was ein künstlicher Muskel tun sollte. Seit der Entdeckung der Piezoelektrika im vorvorigen Jahrhundert sind eine Reihe weiterer Funktionsmaterialien hinzugekommen. Flüssige Kameralinsen etwa, die je nach anliegender Spannung ihre Brennweite ändern, oder intelligente Fluide für Stoßdämpfer, bei denen sich die Zähigkeit durch Magnetisieren von außen steuern lässt.

    Vier verschiedene physikalische Einflüsse auf ein Material sind laut Lehrbuch denkbar: Elektrizität, Magnetismus, Wärme und Licht. Für alle diese Einwirkungen kennt man heute Materialien, die darauf auf die eine oder andere Weise reagieren.
    Stoffe, die sich unter solchen Einflüssen verformen oder ihr Volumen ändern, können als Aktoren eingesetzt werden. Umgekehrt eignen sich Materialien, die ihre Leuchtkraft verändern oder elektrische Signale aussenden, wenn man sie verformt, hervorragend als Sensoren.

    Schon länger bekannt sind metallische Legierungen, die unter Wärmeeinfluss ihre Gestalt verändern, aber auch ihre ursprüngliche Form wieder annehmen, sobald die Temperatur gesunken ist.

    " Sie sehen einen Fön und eine Feder aus Formgedächtnislegierung. Und hier hängt ein Gewicht dran, wenn wir jetzt den Versuch starten, dann wird über diesen Exzenter die Feder ausgedehnt...und dann wenn er fertig ist, wird der Fön gestartet, der Fön erwärmt den Formgedächtnisdraht, der erinnert sich an seine ursprüngliche Gefügestruktur und wird sich hoffentlich unter der Wärme wieder in seine Ursprungsform zusammenziehen...und jetzt müssten wir eine Weile warten bis die Wärme raus ist, und dann könnten wir wieder dehnen."

    Die Formgedächtnislegierung eignet sich also als eine Art künstlicher Muskel. Wenn es nach dem Willen der Fraunhoferforscher geht, werden solche Muskeln schon bald Pkws noch sicherer machen.

    " Also die Anwendung ist Seitencrash im Automobilbau, wenn ich von der Seite einen Unfall habe, dann sind die Autos in der Regel von der Seite sehr weich gestaltet, also von vorne bin ich crashmäßig gut abgesichert, von der Seite bin ich sehr schlecht abgesichert;"

    " Letztendlich haben wir hier einen relativ großen Aktor in die Tür reingebaut, der die Aufgabe hat, auf Grund eines Signales eine Türverriegelung zu starten."

    Die Tür ist keine tragende Struktur wie die Fahrgastzelle. Sie fliegt aus den Angeln, knautscht sich ins Innere.

    " Die Tür muss aber öffnen und schließbar sein, ich mein ich könnt die Tür ja verschweißen, dann hätte ich eine schöne streife Struktur nur ich könnte in das Auto nicht ein und nicht aussteigen, also ist das nicht die Lösung. Also haben wir hier uns ein System ausgedacht, im Rahmen eines großen europäischen Projektes, dass wir sagen, die Autos sind heute mit Radar und mit ähnlichen Sensoren ausgestattet, die sehen, wenn ein Crash eintreten kann, ein paar Millisekunden vorher, in dem Moment wo diese Tür sieht, o Gott, auf mich kommt gleich ein Crash zu, dann verriegeln diese Art von Aktoren sehr schnell, im Millisekundenbereich, und es fahren hier relativ dicke Bolzen in die Türschwelle rein.
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    Das gibt dann einen Riesenknall, und jetzt haben wir im Prinzip den Aktor ausgelöst, es ist verriegelt. Das funktioniert aber nicht wie beim Airbag pyrotechnisch, dass ich sozusagen einmal eine Explosion starte und das System auslöse, sondern es funktioniert hier mit diesen Funktionswerkstoffen. Denn für den Fall, dass ich ein Fehlsignal hatte und glücklicherweise doch kein Crash auftritt, dann habe ich ja hier zwei drei Sekunden zeit, diese Aktorik wieder zurück zu fahren.

    Der Aktor , ausgelöst durch ein Wärmesignal, schlägt millisekundenschnell zu, zieht sich aber sehr langsam innerhalb von ein paar Sekunden wieder zusammen. Die Tür ist wieder entriegelt - und unversehrt, falls es doch nicht zum Crash gekommen ist.

    Die blitzschnelle Reaktion insbesondere der piezoelektrischen Funktionswerkstoffe verschafft ihnen Vorteile auch gegenüber etablierter herkömmlicher Technologie. Ilgner:

    " Ich möchte Ihnen jetzt die nominierten Teams vorstellen und die Sprecher hier zu mir auf die Bühne bitten. Professor Hans Meixner, Dr. Klaus Egger und Friedrich Böcking für die Arbeit: Piezoinjektoren - neue Technik für saubere und sparsame Diesel- und Benzinmotoren."

    Im Jahr 2005 wurde der Innovations- und Technikpreis des Bundespräsidenten - kurz auch als Zukunftspreis bezeichnet - an eine Gruppe von Forschern und Ingenieuren verliehen, die Piezoventile zur Steuerung der Dieseleinspritzung in Motoren entwickelten. Meixner:

    " Heutzutage wo Sie für einen Liter Super in der Größenordnung 1,40 Euro zahlen, ist natürlich dadurch, dass man mit dieser piezoelektrischen Einspritzung wahnsinnig viel Kraftstoff einsparen kann, und dann noch eine Verbrennung installieren kann, durch die man die Abgasemissionen wahnsinnig runterfahren kann, jetzt ist die Technologie so richtig reif,"

    Im Piezoventil stecken 350 übereinander gestapelte Keramikschichten, jede nur etwa zwei Hundertstel Millimeter dick, das ganze nicht größer als ein Bleistiftstummel. Jede Schicht wird durch einen Spannungsstoß von 45 Volt - geliefert von der Bordelektronik - um den zehntausendsten Teil eines Millimeters gestreckt. Zusammen ergibt das eine Ausdehnung um vier Hundertstel Millimeter, genug um die Nadel des Einspritzventils zu öffnen. Egger:

    " Wichtig bei dieser Technologie der Piezoeinspritzung ist uns auch, dass es auf breiter Front in den Markt eingeführt wird, und dazu gehört es auch, dass nicht nur ein Lieferant diese Technik anwendet, sondern mehrere Lieferanten, und insofern glaub ich auch, das ist ein gutes Beispiel, dass die Zulieferindustrie gemeinsam was auf dem Markt eingeführt hat, das weltweit Anerkennung findet."

    Der entscheidende Vorteil dieser Technik gegenüber den älteren magnetisch geschalteten Ventilen: das Keramikpaket reagiert etwa dreimal so schnell auf den Steuerimpuls. Das erlaubt eine noch genauere Dosierung des Treibstoffs und damit eine bessere Verbrennung. Im Endeffekt heißt das: noch weniger Schadstoffe, noch geringerer Spritverbrauch.

    " Während ich Ihnen eben gezeigt habe wissenschaftliche Basisarbeit im Labor, wo man ja auch noch mit weißen Handschuhen hätte arbeiten können und vom Fußboden hätte essen können, sind wir jetzt im Bereich schwersten Maschinenbaus, wir befinden uns auf einem Motorgetriebeprüfstand. Also ein riesiges Spannfeld, wir haben hier abgebildet, den Antrieb eines Schiffs, ein relativ kleines Schiff, sie sehen hier den Schiffsrumpf, hier hängt der Motor drauf und der Motor ist mit Lagern mit der Schiffsstruktur verbunden. Und nun hat diese Schiffsstruktur die Eigenschaft, dass sie wenig gedämpft ist, und hohe Schallenergie überträgt. So ein Schiffsrumpf reagiert wie der Resonanzkörper einer Geige, das ist einfach, es verstärkt das Geräusch. Und dieses Problem gilt es jetzt zu lösen, dass wir die Anbindung des Motors an den Schiffsrumpf ersetzen durch aktive Elemente, wir ersetzen jetzt hier diesen Bereich durch einen Piezoaktor. Und dieser Aktor stellt dann die Lagerung des Schiffsantriebs dar. Und dann kann der Motor sich bewegen, dann kann er schwingen und alles machen was er will und er arbeitet dann nur in den Aktor hinein, aber der Aktor lässt es nicht zu, dass diese dynamischen Stöße in den Schiffsrumpf übertragen werden. "

    In vielen der konkreten Forschungsprojekte geht es um irgendeine Form von Schwingungsdämpfung. Das dient vor allem zwei Zielen: Komfort zu verbessern und Lärm zu mindern. Dabei lassen sich auch mit kleinen adaptiven Strukturen große Wirkungen erzielen, wenn es gelingt, zu verhindern, dass schwingende Systeme sich aufschaukeln, also Resonanzen ausbilden.

    " Das ist eine klassische Stimmgabel. Und wenn ich sie anschlage, dann hört man auch, dass sie bei 440 Hertz schwingt, das ist Kammerton a, früherer Bauart - moderne Orchester spielen ja mittlerweile bei 443 Hertz, aber wir haben das mit einer 440er Stimmgabel gemacht - und diese Stimmgabel ist ja dadurch charakterisiert, dass ich zwei dicke Balken habe, die angeschlagen werden und in ihrem Eigenmode letztendlich eine Biegeschwinung ausführen.

    Und dann sehen Sie, dass wir an diese Balken mit Drähtchen zwei Piezokeramiken aufgeklebt haben, Sie müssen genau hingucken, die sehr dünn sind, im Bereich 100 mü, und in der Größe wie eine Drittel Briefmarke ungefähr.

    Und diese Piezokeramiken werden, wenn ich jetzt eine solche Schwingung durchführe, gezogen und gedrückt. Wäre die Keramik jetzt ein Sensor, würde sie mir jetzt ein Wechselsignal abgeben. Zug und Druck heißt mal eine positive Spannung mal eine negative."

    Die eine "Briefmarke" wird als Sensor geschaltet, die andere als Aktor. Sie reagiert auf das Signal des Reglers durch entsprechenden Gegenzug und Gegendruck.

    " Also in dem Moment wo ich den Regler zuschlage ist der Ton weg. Im Sinne einer Stimmgabel grade nicht gewünscht, aber wenn das jetzt das Blech eines Busses wäre, was jetzt anfängt zu dröhnen, dann brauche ich nichts weiter als zwei solcher Keramiken und eine Intelligenz an der richtigen Stelle aufzukleben um zu sagen, ich will dieses Signal jetzt unterdrücken."

    Vom Demonstrationsversuch mit der Stimmgabel ist es nur ein kleiner Schritt zum dröhnenden Fußbodenblech im Auto, im Labor nachgestellt.

    " Ich kann dieses Geräusch natürlich wegbekommen, indem ich diese Spritzwand beliebig schwer baue, die so genannte Schwerschicht, indem ich sie beliebig steif baue, ganz, ganz viele Verrippungen, oder indem ich beliebig viel Dämpfung drauf bringe."

    Das würde Geld und Gewicht kosten und mehr Bauraum einnehmen als das relativ kleine Adaptroniksystem.

    " Und wir bringen hier wieder - die grauen Elemente sind piezokeramische Elemente, die kleinen sind Sensoren, die großen sind Aktoren...aber es ist der gleiche Werkstoff - das System wird zu Schwingungen angeregt, und dann sagt dieser Sensor, ich schwinge jetzt im ersten Mode, im dritten Mode, im fünften Mode - Aktor du musst jetzt mit der und der Frequenz und der und der Phase entsprechend gegenwirken, und dann ist das Geräusch weg."

    Wo viel verkauft wird sind die Stückzahlen hoch und die Preise niedrig. Deswegen konzentrieren sich die Anstrengungen der Entwickler auf Anwendungen im Automobilbau. Doch vorerst sind noch eine Reihe von Entwicklungsproblemen zu lösen. Und die liegen nicht nur in der Auswahl geeigneter Funktionswerkstoffe, also in Muskeln und Sinnen adaptiver Strukturen. Vor allem auch deren "Gehirn", die Steuerelektronik, verlangt aufwändige Forschungsarbeit.

    " Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Auto und halten ein Wasserglas in der Hand und das Auto fährt eine schlechte Wegstrecke, dann sind Sie über Ihre Gehirnfunktion in der Lage, dieses Glas Wasser relativ ruhig zu halten. Setzen Sie mal einen Roboter in ein Auto und sagen Sie dem Roboter, halt das Glas Wasser ruhig. Da kommen Sie ganz schnell an die Grenzen. Einfach weil Sie hier eine Regelungstechnik brauchen, die viele Freiheitsgrade beinhaltet und vor allem in nahezu Echtzeit arbeitet, also in echt extrem schnell arbeitet."

    Beispiel: ein System, das das Federbein eines Pkws von der Karosserie entkoppelt, so dass keine Reifenrollgeräusche übertragen werden.

    " Hier sehen Sie ein Stück Automobil und zwar ist das die Karosserie, an die Karosserie angeschraubt das Federbein mit Dämpferelement, mit Federelement, und hier unten würde dann die Achse und dann das Rad aufsetzen. Und in dieses Federbein haben wir, das können Sie nur sehen, wenn Sie sich bücken, ein aktives Element, ein Interface reingesetzt, das ist eine Dose, und diese Dose übernimmt die Dynamik, die von der Straße kommt, und die letztendlich in die Struktur eingeleitet werden möchte und letztendlich in der Struktur zu Lärm führt, die wird durch diese Dose eliminiert, ein aktives Interface, was die Straßenlasten, die Reifenabrollgeräusche nicht in den Karosserieteil der Struktur übertragen lassen."

    Die Regelelektronik dieses adaptiven Systems steckte im ursprünglichen Versuchsaufbau in drei schuhkartongroßen Kästen.

    " Diese gesamte Elektronik, das ist ja ein ganzer Tisch voll, diese Elektronik brauchen wir, um unser aktives System zu betreiben. Diese Elektronik ist so nicht automobiltauglich."

    Inzwischen haben die Wissenschaftler um Holger Hanselka die Steuereinheit auf Buchgröße eingedampft - in mehr als einem Jahr Entwicklungsarbeit.

    Billig sind adaptronische Lösungen auch nicht. Das liegt nicht an den Multifunktionswerkstoffen, die heute bereits wesentlicher preiswerter zu haben sind als etwa noch vor 15 Jahren, aber:

    " Was sicherlich ein großes Hemmnis ist, ist die gesamte Frage der Systemkomplexität, also es ist nicht komplexer immer besser, sondern aus Sicht eines Ingenieurs ist die einfache Lösung immer die beste Lösung, und mit unserem technologischen Ansatz machen wir es nicht einfacher sondern wir machen es schwieriger. Also müssen wir uns Orte suchen, wo dieser Schwierigkeitsgrad auch gerechtfertigt ist. Wenn irgendeiner kommt, der sagt ich kann das gleiche aber einfach, dann ist der immer besser als wir."

    Deshalb werden adaptive Strukturen zunächst in Marktnischen aufblühen, wo besondere Anforderungen nach besonderen Lösungen suchen, zum Beispiel in der Weltraumfahrt und in militärischen Kontexten.

    " Das schlagende Geräusch eines Hubschraubers, das wir hören, ist, dass ich in der Regel vier Blätter habe, die im Umlauf sind, und jedes Blatt erzeugt Strömungen und Wirbel, und das nachlaufende Blatt schlägt in die Wirbel des vorauseilenden Blattes, und dadurch kommt es zu diesen Schlägen, das sind im Prinzip Verdichtungsstöße, die wir hören. Und wenn es uns jetzt gelänge, die Blätter sozusagen untereinander hinweg tauchen zu lassen, dann kann man sich durchaus vorstellen, dass man auf diese schlagenden Geräusche verzichten könnte."

    Ingenieuren der Daimler Chrysler Töchter EADS und Eurocopter ist es gelungen. Zwei Varianten sind in Arbeit. Man kann man die Rotoraufhängung beim Hubschrauber von der Kabine adaptronisch entkoppeln. Oder Teile der Rotorblätter selbst ersetzen, durch Funktionswerkstoffe, die intelligent gesteuert, den Anstellwinkel verändern und so das Peitschen der vorlaufenden Wirbel vermeiden.

    An Schallminderung in Fahrgastkabinen wird ebenfalls geforscht. Das wird dann einmal auch einem größeren zivilen Kundenkreis zugute kommen. Vorerst sind adaptive Lösungen häufig noch auf sehr spezielle Kundenansprüche zugeschnitten. Firmen wie ERAS in Göttingen können sich bereits mit dem Anbieten maßgeschneiderter Adaptronik auf dem Markt behaupten.

    " Da kommt ein Kunde und sagt: ich habe eine Papiermaschine, und wenn ich Papier drucke, dann brummt die, und dann werden die Buchstaben unscharf, typischer Effekt, ERAS, kannst du mir eine Lösung bauen, damit ich die Schwingung aus meiner Welle rauskriege."

    Während der Massenmarkt noch auf die Segnungen der Adaptronik wartet, denken die Ingenieure schon weiter. Als künftiges Anwendungsfeld hat Holger Hanselka beispielsweise den Instrumentenbau im Blick. Störende Resonanzen bei Saiteninstrumenten, wie etwa der berüchtigte Wolfston, ließen sich adaptiv problemlos vermeiden. Auch die Medizintechnik steht auf der Forscheragenda, konkret: orthopädische Gehhilfen.

    " Wenn Sie das wieder mit dem biologischen System vergleichen, dann haben wir für jeden Gang, jeden Zustand andere Eigenschaften. Also mal spannen wir unsere Muskeln mehr an mal weniger, und wenn wir mal auf einer schiefen Ebene stehen, dann krallen wir uns auch mal mit dem großen Zeh im Schuh fest...das können Sie natürlich mit einer Prothese so nicht machen. Aber sie würden es gerne machen. Und dann stellt sich wieder die Frage, kann man durch entsprechende sensorische Maßnahmen den Befehl abgeben ich würde jetzt gerne eine Veränderung haben, und kann dann Aktoren ansteuern, die das auch tun, und da haben wir uns im Rahmen eines Forschungsprojektes damit auseinandergesetzt, und haben sicherlich auch Beiträge geleistet, die sich irgendwann mal, nicht heute nicht morgen, vielleicht in 3 oder 5 Jahren auch mal für den breiteren Markt erschließen und für jedermann zugänglich sind."

    Als einer der Pioniere der Adaptronik hat der noch junge Professor in Darmstadt auch eine Zukunftsvision für sein Lebenswerk.

    " Und in meiner Vision steht drin, dass irgendwann jedes maschinenbauliche Produkt adaptronische Komponenten enthält. Ich stelle mir das so vor, in 10,15, 20 Jahren, dass ich zuhause an der Waschmaschine einen Knopf drücke, und mich innerlich freue wie ein Schneekönig und sage da ist ein Stück unserer Leistung drin. Und dass ich dann mit meinem Auto über Straße fahre, und die Straße ganz hoppelig aussieht und ich übers ganze Gesicht strahle und sage "Und hier ist ein Stück unserer Leistung drin!" Das ist meine Vision für die Zukunft, und wenn das dann so eintritt, dann hoffe ich, dass ich rundum zufrieden bin, und dass ich mich dann daran erfreuen kann."