Technischer Fortschritt verändert unaufhaltsam den Lauf der Geschichte. So zumindest hat man es in der Schule gelernt: Die Erfindung des Buchdrucks verhalf der Reformation zum Durchbruch, die Dampfmaschine wurde zum Motor der industriellen Revolution, das Auto führte zum Boom des Individualverkehrs und die Entschlüsselung des menschlichen Genoms lieferte den Startschuss für eine blühende Biotech-Industrie. Das Leitmotiv dieser Lesart klingt überzeugend: Wissenschaftliche Erkenntnisse befördern technische Innovationen, die dann wiederum gesellschaftlichen Wandel anstoßen.
Doch Marcel Hänggi hält diese Sichtweise für eindimensional und ist überzeugt: Wer Technik so wahrnimmt, hat ein verzerrtes Bild ihrer Bedeutung, weil in Wirklichkeit vieles ganz anders war. In seinem aktuellen Sachbuch erzählt der Schweizer Wissenschaftsjournalist vermeintlich bekannte Fortschrittsgeschichten – wie die von der Erfindung des Rads, des Buchdrucks, der Eisenbahn und der Überschallfliegerei – aus erfrischend ungewohnter Perspektive. Sein Fazit: Das Zusammenspiel von Forschern, Tüftlern und der Gesellschaft, in der sie leben, ist viel komplexer als gemeinhin angenommen. Es gibt keine Einbahnstraße von der technischen Innovation zum gesellschaftlichen Wandel. Zufälle und sozialer Nährboden beeinflussen maßgeblich den Erfolg einer Erfindung.
Das bedeutet aber auch: Technischer Fortschritt folgt keinem Naturgesetz, sondern lässt sich in gesellschaftlich wünschenswerte Bahnen lenken. Marcel Hänggi plädiert für einen differenzierteren und verantwortlicheren Umgang mit Technik. Seine Fortschrittsgeschichten sind Augenöffner und ermuntern, die Chancen und Risiken neuer Technologien unvoreingenommen, kritisch und ganzheitlich zu bewerten.
Marcel Hänggi: "Fortschrittsgeschichten. Für einen guten Umgang mit Technik"
Fischer-Verlag, Reihe 'Forum für Verantwortung'
303 Seiten, 12,99 Euro
ISBN 978-3-596-03220-4
Fischer-Verlag, Reihe 'Forum für Verantwortung'
303 Seiten, 12,99 Euro
ISBN 978-3-596-03220-4