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Tour de France
Im Kampf um Wattzahlen und Sekunden

Im Ziel zählt jede Hundertstel: Hightech-Material bekommt bei der Tour de France einen immer größeren Stellenwert. Vom Helm bis zu den Rennsocken wird optimiert. Im Fokus steht auch die Körperkerntemperatur: Wer kühler bleibt, kann besser performen.

Von Tom Mustroph |
Radprofi Tadej Pogacar während eines Zeifahrens bei der Tour de France 2022
Bei Zeitfahrern zählt jede Hundertstel-Sekunde: Gerade beim Einzelzeitfahren kommt es für Radprofis wie Tadej Pogacar auf eine gute Aerodynamik an. (IMAGO / ZUMA Wire / IMAGO / A.O.S)
Die Tour de France wird immer schneller. Die letzte Tour war die schnellste überhaupt. Auch die Wattzahlen an den Anstiegen näherten sich in den letzten drei Jahren wieder bedenklich den Marken eines Lance Armstrong an. Doping sollte man natürlich weiter als Faktor nicht völlig ausschließen. Der Faktor Material gewinnt allerdings auch an Bedeutung.
„Der große Umschwung kam 2007, 2008, 2009. Da hat man echt verstanden, wie wichtig Aerodynamik ist und wie wichtig Fasern sind, wie Zeitfahranzüge funktionieren oder eben auch nicht funktionieren“, bilanziert Rolf Aldag.
Er ist beim deutschen Rennstall Bora-hansgrohe verantwortlich für die Technologieentwicklung. Galt das Augenmerk anfangs noch stark einzelnen Aspekten wie Rädern oder Kleidung, so ist inzwischen die Gesamtabstimmung von Fahrer und Material das Entscheidende.

Auf der Suche nach der besten Position im Windkanal

„Sitzt du schlecht auf dem Rad, kannst du 30 Watt verlieren“, rechnet Jenco Drost vor. Er ist Technikentwickler beim Team von Geschwindigkeitsrekordhalter und Tour de France-Titelverteidiger Jonas Vingegaard. „Aber um 30 Watt allein mit einer Innovation am Rad zu gewinnen, da musst du schon ein richtig guter Ingenieur sein. Und deshalb galt die Aufmerksamkeit in den letzten Jahren mehr der Positionierung und dem gesamten System: Wie bekommt man den Fahrer auf das beste Rad und in die beste Position.“

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Um hier besser zu werden, nehmen bei allen Teams die Tage im Windkanal zu. Koen de Kort, vor zwei Jahren noch Profi und jetzt beim Rennstall Lidl Trek Material-Optimierer: „Seit ich mit diesem Job begann, ist es immer mehr geworden. In diesem Jahr werden wir sicherlich mehr als zehn Mal in den Windkanal gehen, irgendetwas zwischen 10 und 15. Letztes Jahr war es nur sieben Mal.”

Eine Frage des Helmes

Ein kurioser Wettbewerb ist um die Form der Helme entbrannt. Manche schwören auf die ganz langen Helme, die vor allem beim Zeitfahren eingesetzt werden und die die Rennfahrer ein wenig wie Aliens aussehen lassen.
„Die mit dem langen Hinterteil sind richtig gut für die Fahrer, die dieses lange Ende des Helms gut auf dem Rücken halten können. Aber wir haben auch manche Fahrer, die den Kopf ziemlich tief halten. Sie schauen nach unten. Und dann würde das lange Ende steil in die Luft ragen, was aerodynamisch ziemlich schlecht ist. Wie der Fahrer auf dem Rad sitzt und fährt, ist maßgeblich dafür, welcher Helm der schnellste ist.“
Das Nonplusultra wäre der individuelle Helm für jeden einzelnen Rennfahrer. Und auch der individuelle Rennanzug. Nicht nur die Körperform ist dabei entscheidend, sondern sogar der Job im Rennen.
„Grundsätzlich ist es so, es gibt halt viele Fasern, die funktionieren bei gewissen Geschwindigkeiten. Wir haben halt so einen Sprintsuit, der funktioniert bei hohen Geschwindigkeiten. Idealerweise hat man für den, der den ganzen Tag vorne fährt im Wind hinter einer Fluchtgruppe einfach ein anderes Trikot, einen anderen Suit, als für den, der nur die letzten 200 Meter, aber dafür mit 75 km/h sprinten muss.“

Trikot: Gewicht und Atmungsaktivität sind am Berg gefragt

Noch einmal andere Fasern haben die Trikots für die Bergfahrer. Da ist nicht Aerodynamik Trumpf, sondern Gewicht und Atmungsaktivität. Das ist überhaupt das derzeit heißeste Thema im Optimierungswettbewerb: die Körperkerntemperatur. Die soll möglichst niedrig bleiben. Denn ein erhitzter Körper muss mehr Energie fürs Kühlen aufwenden und kann sie demzufolge nicht in Tretleistung umsetzen. Deshalb wird bei den Tour de France-Fahrern inzwischen längst nicht nur die Herzfrequenz, sondern auch ganz systematisch die Körpertemperatur überwacht.
„Ich glaube, da sind wir noch in der Phase, wo man sagt, da kann man jetzt noch nicht abschließend sagen, so und so muss es sein. Aber Fakt ist natürlich schon, wenn man die Körperkerntemperatur niedrig halten kann, dann sehen wir ja bei jedem Zeitfahren immer halt alle mit Kühlwesten rausfahren, um die Temperatur nah am Rennen möglichst schnell runterzukriegen - diese Eismanschetten, Eissocken in Nacken gesteckt, das ist ja alles ein Versuch, um zu sagen: Okay, wo kann man am effektivsten kühlen“, sagt Rolf Aldag.

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Die Zielvorgabe, gut zu kühlen, gerät mitunter in Konflikt mit der Aerodynamik. „Man kann nicht nur extrem in eine Richtung gehen und sagen: Ich schweiß jetzt hier den Rennfahrer einfach eine Folie ein. Das ist halt aerodynamisch toll. Dann fliegt er mir halt nach zehn Minuten wegen kompletter Überhitzung in die Luft.“

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Beides in eine Balance zu bringen, ist derzeit die hohe Schule der Entwickler, glaubt Jumbo-Mann Drost: „Man beginnt mit Aerodynamik. Dann testet man mit den Fahrern und misst auch die Körperkerntemperatur im Anzug. Und dann stellt man fest, dieses Material hier funktioniert, dieses dort nicht. Und dann versucht man, die beste Kombination herauszufinden. Es kann auch sein, dass dieser Anzug superschnell ist, aber nach 10 Minuten bist du auch supererhitzt. Das kann aber ok sein für ein Zeitfahren über nur zehn Minuten.“
Um den Körper schön kühl zu halten, werden mittlerweile auch Materialien benutzt, die die Weltraum-Agentur NASA den Extremtemperaturen im Weltall ausgesetzt hat.