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Aravind Jayan: „teen couple have fun outdoors“
Sex, Langeweile und Videos

Indien jenseits von Megastädten und Luftverschmutzung: Aravind Jayan erzählt in seinem Debütroman souverän von den radikalen Veränderungen, die die digitale Welt in einer ganz normalen Mittelstandsfamilie in einer ganz normalen indischen Provinzstadt auslöst.

Von Tobias Lehmkuhl |
Aranvind Jayan: "Teen Cpuple Have Fun Outdoors"
Zu sehen sind der Autor und das Buchcover
Aranvind Jayan: "Teen Cpuple Have Fun Outdoors" (Cover und Foto: Suhrkamp Verlag)
Wenn man es sich zur Angewohnheit gemacht hat, Bücher mit dem Bleistift in der Hand zu lesen, ist es in der Regel ein schlechtes Zeichen, legt man das zuletzt gelesene Werk ohne Unterstreichungen aus der Hand: Keine besonders schönen Sätze, keine ausgesprochen interessanten Gedanken, keine Bilder oder Szenen, die herausstechen. Im Fall von Aravind Jayans „teen couple have fun outdoors“ aber sagt das völlige Fehlen von Unterstreichungen und an den Rand gekritzelten Kommentaren in dem dieser Besprechung zugrunde liegenden Rezensionsexemplar vor allem etwas über die geradlinige, abschweifungs- und ausschmückungslose Schreibweise des Autors aus.
Man hat weniger den Eindruck, es mit einem literarischen Werk zu tun zu haben, als vielmehr mit einem mündlichen Bericht. Und das ist ein gutes Zeichen, denn am Ende ist „teen couple have fun outdoors“ eben doch ein literarisches Werk. Über 250 Seiten hinweg behält es konsequent einen seinem Gegenstand entsprechenden, äußerst schlichten Erzählton bei. Denn der Gegenstand an sich ist schon dramatisch genug.
„Als das mit dem Video passierte – vielmehr, als es entdeckt wurde –, müssen Sree und Anita schon etwa seit vier Jahren zusammen gewesen sein. Die meiste Zeit sitzen die beiden nebeneinander auf dem Boden, mit dem Rücken gegen einen hohen Felsen gelehnt, die Rucksäcke links und rechts neben ihnen. Anita trägt ein WWF-T-Shirt und eine Jogginghose. Sree trägt die blau-weiße Uniform seiner Universität. Sie haben zwar keinen Sex, aber sowas in der Art, im Grunde genommen das, was man als third base bezeichnet. Etwa in der Mitte des Videos sieht man Sreenath für fast eine Minute nackt.“

Sie sollen wenigstens heiraten

Ein Sexvideo mit zwei erwachsenen jungen Menschen, in dem es nicht einmal zum Vollzug kommt, die Aufregung würde sich in einer westlichen Großstadt sicher in Grenzen halten. In Indien aber, einer doch etwas traditionelleren Gesellschaft, liegt die Sache anders, zumindest in der offenbar sehr durchschnittlichen Mittelstandsfamilie des Erzählers, die in der sehr durchschnittlichen und offenbar für Teenager extrem langweiligen Provinzhauptstadt wohnt.
Sreenath, der ältere Bruder des Protagonisten, ist neben seiner Freundin Anita der Hauptdarsteller dieses heimlich erstellten Videos, und als es jemand im Netz entdeckt, als schließlich auch die Familie davon erfährt, ist der Skandal groß. So groß, dass es bald zum großen Knall kommt und Sreenath aus dem Haus geworfen wird. Vater und Mutter, die ohnehin kein besonders herzliches Verhältnis zu ihren Söhnen pflegen (und auch nicht untereinander), kommen mit dieser Trennung offenbar ebenso gut klar wie Sreenath selbst. Nur der Erzähler versucht den Familienfrieden wiederherzustellen, macht seinen Bruder in einer Wohnung von Freunden ausfindig und versucht ihm einzureden, alles sei nur halb so wild und ließe sich wieder einrenken. Allerdings fehlt diesem Wunsch jede Grundlage. Außerdem ist da ja noch Anitas Familie, die mit Verspätung von dem Video erfährt.
„Das war der Moment, in dem Anitas Mutter vorschlug, dass Sree und Anita wenigstens heiraten sollten, jetzt, wo alles so weit gekommen war. Ich erinnere mich nicht mehr an ihre genauen Worte, aber ich weiß noch, dass sie sehr direkt war. Sie sagte auch: ‚Wir haben alle Möglichkeiten in Betracht gezogen. Das ist unsere Ansicht, und wir wollen keine Zeit mehr verlieren. Trotz Ihres anfänglichen Mangels an Aufrichtigkeit glauben wir, dass Sie gute Menschen sind, die im Grunde ihres Herzens gute Absichten haben.‘

Eine perfekte Novelle

„Teen couple have fun outdoors“ ist ein Roman über eine Gesellschaft im Umbruch. Die Eltern von Sreenath und Anita hängen einem Begriff von Ehre an, der nicht nur ihren Kindern fremd geworden ist, sondern in der digitalen Moderne, die in Indien im selben Maße Fuß gefasst hat wie in Europa oder Amerika, geradezu fremdartig wirkt. Sie begreifen nicht, dass sich das Video nicht mehr aus dieser Welt schaffen lässt, dass man es nicht löschen kann, weil es schon zigfach kopiert worden ist, und sie begreifen nicht, dass sie mit einer Zwangsheirat weder dem Paar noch sich selbst einen Gefallen tun, geschweige denn, dass es irgendjemandem außerhalb der Familie gäbe, der sich darum scheren würde, ob die beiden unfreiwilligen Pornodarsteller verheiratet sind oder nicht.
„Noch immer waren verschiedene Versionen des Videos im Netz. Ich verfolgte es alles nicht mehr ganz genau, aber ich überprüfte hin und wieder die Links, um zu sehen, ob welche entfernt worden waren. Vielleicht waren auch neue aufgetaucht. Auf jeden Fall wurden sie sehr oft angesehen, bis zu 400.000 Mal. Zu den meisten gab es Kommentare, in denen die Leute fragten, ob es von diesem Paar noch mehr Videos gäbe, oder in denen sie Sree als hässlich, dumm oder unverantwortlich bezeichneten. Es gab auch viele Kommentare über seine Penisgröße.“
Im Grunde handelt es sich bei Aravind Jayans Debütroman um eine perfekte Novelle: Berichtet wird von einem unerhörten Ereignis und seinen Folgen. Man muss nicht gleich mit Goethe und Kleist kommen, aber möglich, dass der Autor „Die Marquise von O.“ oder „Das Erdbeben von Chili“ gelesen hat. So schlackenlos, wie er von familiären Verwerfungen erzählt, wird er auch mit Philipp Roth oder John Updike vertraut sein. Das Beste an seinem Roman aber ist, dass an keiner Stelle aus ihm der Ehrgeiz spricht, mit den großen Schriftstellern der Vergangenheit unbedingt mitzuhalten zu wollen.
Aravind Jayan: „teen couple have fun outdoors“
Aus dem Englischen von Daniel Beskos
Suhrkamp Verlag, Berlin
248 Seiten, 18 Euro.