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Teilchenbeschleuniger in Jordanien
Gemeinsam forschen im Nahen Osten

Im Mai 2017 ging in Jordanien die erste Synchrotronstrahlungsquelle auf der arabischen Halbinsel in Betrieb. Die Forschungseinrichtung steht auch Wissenschaftlern aus dem Iran, Israel und Palästina offen und könnte damit auch zur Völkerverständigung in der konfliktreichen Region beitragen.

Von Michael Stang |
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    Die ägyptische Biophysikerin Gihan Mohamed Kamel untersucht an der Synchrotonstrahlungsquelle 'SESAME' in Jordanien historische Dokumente wie den Koran (Michael Stang / Deutschlandradio)
    In Allan in Jordanien, 36 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Amman, erhebt sich auf einem Hügel SESAME, die erste Forschungsanlage für Teilchenbeschleunigung auf der arabischen Halbinsel: ein großes Sandsteingebäude. Giorgio Paolucci führt im Inneren eine Metalltreppe hinunter.
    "Wir stehen jetzt in der Mitte von SESAME. Die Geräusche, die Sie hier hören, kommen von der Klimaanlage und der Wasserkühlung."
    Der wissenschaftliche Direktor des Synchrotrons streckt seine Arme nach außen und zeigt strahlend auf diverse Gerätschaften.
    "Da vorne ist die Stromversorgung für die Magnete, dort Teile, mit denen wir das Vakuum erzeugen."
    Ausgemusterte Technik aus Deutschland kommt zum Einsatz
    Seit rund einem Jahr können die Forscher hier Messungen vornehmen. Weil gerade die Vorbereitungen für einen Versuch laufen, können wir nicht in den 130 Meter langen Elektronenspeicherring gehen. Es ist ein ausgemustertes Exemplar der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY 1.
    "Leider können wir den Tunnel nicht betreten. Im Inneren würden Sie Schilder sehen mit der Aufschrift 'Vorsicht Lebensgefahr'".
    Der italienische Physiker geht zu einem der beiden Messplätze, wo mithilfe von Infrarotstrahlung verschiedene Materialien untersucht werden. In einem kleinen Raum steht Gihan Mohamed Kamel. Die ägyptische Biophysikerin zeigt an eine Stelle oben an der Wand, aus der die Infrarotstrahlung mithilfe von Spiegeln zu einem Mikroskop geleitet wird.
    "Hier untersuchen wir religiöse Manuskripte, wie zum Beispiel den Koran. Diese Blätter hier stammen aus dem 18. Jahrhundert und kommen aus dem Iran. Wir untersuchen die Tinte, mit der die Schriften verfasst wurden, zudem den Erhaltungszustand des Papiers."
    Die intensive Strahlung durchleuchtet historische Dokumente
    Ziel ist, alle materiellen Komponenten exakt zu kennen, um die alten Schriften optimal restaurieren zu können. Parallel untersuchen die Forscherin und ihr Team auch menschliche Zähne, Haare und Knochen aus Zypern. Die ältesten Proben sind 13.000 Jahre alt.
    Giorgio Paolucci führt in sein Büro. Die Arbeit komme gut voran, sagt er. Im Oktober sei die zweite Runde für die Einreichung neuer Forschungsvorhaben zu Ende gegangen. Rund einhundert Anträge waren es: aus Israel, Pakistan, dem Iran, der Türkei, Jordanien und Ägypten.
    "Die Idee von SESAME ist, dass wir exzellente Wissenschaft betreiben und einen multikulturellen Dialog schaffen. Deswegen steht die Anlage hier im Nahen Osten. Deswegen sind wir eine internationale Organisation aus Mitgliedsländern, die auf anderen Ebenen manchmal gar nicht miteinander sprechen."
    Die Vision von SESAME: Einen multikulturellen Dialog schaffen
    Neben diesem Friedensprojekt steht die wissenschaftliche Forschung im Fokus. Allerdings, beklagt Giorgio Paolucci, der Geldmangel sei ein Problem. Einige der Mitgliedsstaaten seien notorisch klamm. Das halte aber niemanden vom Arbeiten ab.
    "Wir haben die ersten wissenschaftlichen Messungen Ende 2017 durchgeführt. Forschergruppen aus Zypern, Pakistan und Ägypten waren schon hier. Wir stehen noch am Anfang und werten gerade die ersten Daten aus. Daher haben wir noch keine wissenschaftlichen Artikel publiziert, aber das kommt bald."
    Erst zwei Experimentierplätze sind in Betrieb, ausgelegt ist SESAME jedoch auf 20. Ob diese Zahl jemals erreicht wird?
    Von 20 geplanten Experimentierplätzen sind erst zwei in Betrieb
    Immerhin: Die Finanzierung für den dritten Messplatz steht, und Nummer vier soll ebenfalls 2019 in Betrieb gehen. Daher gibt sich der deutsche Physiker Rolf Heuer, Präsident des SESAME-Aufsichtsrates, optimistisch.
    "Es ist ein Anfang gemacht, der eigentlich jeden, der darin arbeitet, stolz machen kann und soll. Es ist jetzt eine prima Stimmung in dem Labor, der Beschleuniger läuft sehr gut, die ersten Experimentierplätze stehen zur Verfügung für Wissenschaftler aus den Mitgliedsländern. Es ist ein tolles Gefühl, da jetzt hinzukommen und diesen Fortschritt zu sehen. Die Spektren, die man misst, kommen mit den besten Spektren auch in anderen Synchrotron-Strahlungsquellen mit."
    Die Recherche erfolgte im Rahmen einer Delegationsreise der Helmholtz-Gemeinschaft. Anlass war die Eröffnung des neuen Auslandbüros in Jordanien.