Sie sind klein und sie sind überall. Lange Zeit haben Forscher die winzigen Teilchen aus Plastik übersehen. Inzwischen aber verschmutzen sie sämtliche Weltmeere, bedrohen dort die Meeresorganismen und letztlich am Ende der Nahrungskette auch den Menschen. Pessimistischen Schätzungen zufolge werden jährlich 2,5 Millionen Tonnen Mikroplastik direkt in die Meere eingetragen, etwa aus Autoreifenabrieb und Textilfasern. Dazu addiert sich der Plastiksmog, der entsteht, wenn größere Teile zerfallen.
Im Meer werden die Partikel zu kleinen Welten, der Plastisphäre. Einige der Mikroorganismen, die sich auf dem Kunststoff ansiedeln, scheinen daran zu knabbern. Könnte es sein, dass die Plastikwelten sich quasi von selbst auflösen? Nur kurz flackerte die Hoffnung auf: Zu langsam geht der Abbau vonstatten, zu wenig effektiv. Nun suchen Forscher unter Hochdruck nach Lösungen, die winzigen Partikel aufzuhalten, bevor sie das Meer erreichen. Ein Feature über Strategien für ein gigantische Problem mit kleinsten Teilchen.
Das ganze Jahr über kicken: Das geht in kühlen Ländern wie Schweden und Norwegen nur auf Kunstrasen. Um den Boden weicher zu machen, enthalten die meisten Gummigranulat. Und das stammt aus alten Autoreifen.
Regen wäscht die Partikel aus. Wenn es schneit, vermischt sich der Schnee mit dem Mikroplastik. Der wird abgeräumt und letztlich ins Meer gekippt.
"Wir haben hier in Schweden ein Problem mit Kunstrasen. Zwei- bis dreitausend Tonnen Gummigranulat von Sportplätzen landen jährlich in der Natur."
Damit trägt Kunstrasen im Norden erheblich zum Mikroplastik in den Gewässern bei, sagt Per-Olov Samuelsson, Umweltgutachter im schwedischen Stenungsund.
"Diese Gummipartikel enthalten Giftstoffe. Forscher haben sie schon in Muscheln und anderen Meerestieren entdeckt. Das Problem mit dem Mikroplastik ist wirklich ein heißes Eisen."
Bis zu 2,5 Millionen Tonnen landen pro Jahr im Meer, schätzt die Weltnaturschutzunion IUCN. Dieses primäre Mikroplastik ist schon an Land kleiner als 5 Millimeter. Kunstfasern aus synthetischer Kleidung, der Abrieb von Autoreifen, Reste von Schuhsohlen, Fahrbahnmarkierungen, Peeling-Partikel aus Kosmetika. Aber auch die großen Plastikteile zerfallen irgendwann. UV-Strahlung macht den Kunststoff spröde. Wellen und Strömung zerreiben ihn in immer kleinere Stücke.
"Diese Partikel können auch von kleineren Organismen aufgenommen werden. Und sie binden Gifte und transportieren sie über weite Strecken."
Wie kann Plastik abgefangen werden?
Während die Müllmenge im Meer immer weiter wächst, fahnden Erfinder, Ingenieure und Aktivisten nach Wegen, das Plastik abzufangen. An kreativen Vorschlägen fehlt es nicht. Nur welche davon taugen?
An der Universität Göteborg führt Bethanie Carney Almroth in den Keller.
In sechs Aquarien schwimmen hier kleine, blau-gelb gestreifte Fische.
"Hier behandeln wir Zebrafische mit Chemikalien, die wie Hormone wirken. Weichmacher zum Beispiel. Diese Chemikalien heften sich gern an das Plastik. Wir mischen sie deshalb dem Futter bei und testen, wie die Tiere reagieren."
"Die Frage ist, ob über das Plastik Gift in die Fische gelangt."
"Das untersuchen wir gerade. Und es sieht so aus, als wäre das tatsächlich so."
In einem ersten Versuch hat Almroths Kollege Stichlinge mit Gummigranulat gefüttert. Es stammt aus Kunstrasen von einem Göteborger Fußballplatz. Offenbar beeinträchtigt das Granulat die Nahrungsaufnahme der Tiere, was bisherige Studien mit Mikroplastik bestätigt.
"Aus Laborversuchen wissen wir, dass zwar ein Teil des Plastiks wieder ausgeschieden wird. Doch die verbleibenden Partikel schädigen den Magen-Darm-Kanal. Unsere Kollegen haben festgestellt, dass Fische sich anders verhalten und sich der Fettgehalt im Körper verändert. Und eine Gruppe hat sogar beobachtet, dass die Gehirnfunktion der Fische beeinflusst wird, wenn sie Nanoplastik aus Polystyrol ausgesetzt werden. Das sind Teilchen, die noch viel kleiner sind als Mikroplastik. Die Fische ändern dann ihr Verhalten – sie schwimmen und jagen ihre Beute anders als vorher."
Noch rätseln die Forscher, was schlimmer ist für die Meeresbewohner. Die Chemikalien, die sich an das Plastik heften? Oder die Giftstoffe im Kunststoff selbst? Flammschutzmittel zum Beispiel oder krebserregende PCBs.
Doch es gibt nicht nur Verlierer. Während der Müll durch die Meere treibt, finden unzählige winzige Lebewesen auf dem Mikroplastik eine neue Heimat.
Plastisphäre – die natürliche Lösung?
Es sind ganz eigene Ökosysteme, die da entstehen – selbst auf kleinsten Fragmenten aus Plastik. Entdeckt hat sie die Mikrobiologin Linda Amaral-Zettler. Die US-Amerikanerin arbeitet am Königlich Niederländischen Institut für Meeresforschung.
"Wir finden auf dem Plastik ganz andere Lebensformen als sonst im Meer. In der Wassersäule schwimmen normalerweise sehr kleine Einzeller, die Photosynthese betreiben. Die Mikroben auf dem Plastik aber sind fadenförmig und kommen normalerweise auf Oberflächen vor. Das ist ganz anders als das, was wir sonst im offenen Ozean finden."
Linda Amaral-Zettler hat der neuen Welt einen eigenen Namen gegeben: Die Plastisphäre. Auf Wasserproben aus verschiedenen Regionen der Meere fand sie ganz unterschiedliche Lebensformen, darunter sogar potenzielle Krankheitserreger. Die Vielfalt überraschte auch ihren Mann und Kollegen Erik Zettler:
"Der Kunststoff war vollständig bedeckt von Kieselalgen. Das sind photosynthetische Zellen mit wunderschön verzierten Schalen. Außerdem Bakterien in verschiedenen Formen und eine Art Schleim. Die Zellen geben ihn ab und er bildet einen Biofilm um die Partikel. Darin lebt eine sehr vielfältige Lebensgemeinschaft."
Den Zettlers fiel dabei eine ganz besondere Mikrobenart auf: Sie saß in winzigen Höhlen, die genau zu ihrer Form passten. Die kleinen Dellen im Plastik machten die Forscher stutzig.
"Das war das erste Mal, dass wir Zellen entdeckten, die direkt mit dem Plastik zu interagieren schienen. Diese Höhlenbauer hatten die kleinen Ausbuchtungen in der Oberfläche des Plastiks offenbar selbst verursacht. Aber wie machen die das, haben wir uns gefragt? Ist das ein aktiver Prozess – tun sie das gezielt, um aus dem Plastik Energie zu gewinnen? Oder sind es vielleicht nur ihre Stoffwechselprodukte, die das Plastik zersetzen?"
Auf Müllkippen und im Erdreich hatte man bereits Organismen entdeckt, die sich über Kunststoff hermachen. Nun sah es danach aus, als könnte es sie auch im Meer geben.
Weltweites Interesse an Fund
Der Fund von Linda Amaral-Zettler, ihrem Mann und dem Meereschemiker Tracy Mincer schaffte es weltweit in die Schlagzeilen.
"Welcome to World Ocean Radio. Articles in the Economist and multiple press releases worldwide recently reported, quote, the discovery of a new ecological habitat in the oceans. A vast new human-made flotilla of microbial communities that they have dubbed the Plastisphere.”
"US Forscher haben entdeckt, dass auf (den) kleinen Plastikstückchen Bakterien in einer Vielfalt siedeln, wie sie sonst nur selten im Meer zu finden sind."
"Y hoy, de que hablamos? Vamos a hablar de la plasticosfera! Algo positivo es que se ha observado que algunos de estos microbios pueden degradar los plasticos.”
Erik Zettler: "Einige Leute sagen, wenn die Mikroben den Plastikmüll für uns zersetzen, ist das doch gut. Die Sache hat aber mehrere Haken. Wenn die Mikroben das tatsächlich machen, dann sehr langsam und ganz sicher nicht schnell genug, um das Plastik im Meer loszuwerden. Außerdem haben viele der Plastikteile eine giftige Ladung im Gepäck. Die Frage ist dann, ist es besser für das Ökosystem, wenn die Bakterien diese Giftladung aufbrechen und wieder ins Ökosystem abgeben? Da fehlt mir die Antwort.”
Im Nordatlantik wurden aus dem Oberflächenwasser immer wieder Proben genommen und die Plastikfracht dokumentiert. Über zwei Jahrzehnte zeigte sich kein Anstieg. Wird das Plastik vielleicht biologisch abgebaut?
Es gibt andere mögliche Erklärungen. Vielleicht fressen sich einige Tiere den Magen voll und das Plastik verschwindet aus dem Blick der Forscher.
Oder die Teilchen werden so zerkleinert, dass sie den Netzen der Forscher entwischen. Vielleicht sinken sie auch in die Tiefsee ab.
Filter für Gullies und Klärwerke
Daniel Venghaus: "In Deutschland geht man davon aus, dass ungefähr 111.000 Tonnen Reifenabrieb auf den Straßen verbleiben und vermutlich mit dem Regenwasser in die Kanalisation gespült werden."
Daniel Venghaus ist einer wichtigen, aber noch relativ unbekannten Form des Mikroplastiks auf der Spur: Wenn Autofahrer auf die Tube drücken, steigt der Druck auf ihre Reifen. Der Abrieb aus synthetischem Kautschuk legt sich als feiner Staub auf die Straßen.
An der TU Berlin sucht Venghaus nach Abhilfe. Zusammen mit Bastian Batilla testet er für ein Unternehmen ein spezielles Filtersystem.
"Dabei handelt es sich um eine Filterkartusche, also einen zylinderförmigen Filter, der außen mit einem Edelstahlsieb versehen ist und dann ein mineralisches Filtermaterial enthält, mit dem auch speziell halt auch unsere Mikroplastikpartikel zurückgehalten werden sollen."
Die Filterkatusche lässt sich einfach unter den Gully hängen. In der großen Versuchshalle entwickeln Batilla und Venghaus auch ein komplettes Schachtsystem, mit einem Granulat aus porösem Mineralgestein.
"Die ersten Vorversuche mit den beiden Filtersystemen waren sehr vielversprechend. Gerade grobe Partikel wurden sehr gut zurückgehalten. Jetzt die feineren Partikel, die Tests dazu laufen gerade, aber auch hier lässt sich vermuten, dass wir einen nennenswerten Rückhalt bekommen werden."
95 Prozent des Mikroplastiks von der Straße konnten die Forscher mit ihrem System nach eigenen Angaben einfangen.
"In den Außenbezirken Berlins wird das Regenwasser über das sogenannte Trennsystem entwässert. Und hier erfährt ein Großteil des Regenwassers keinerlei Behandlung. Wir können in Berlin ungefähr von 35 Millionen Kubikmeter pro Jahr ausgehen."
Die Menge an Abrieb, den Autoreifen auf der Straße lassen, ist enorm. Etwa ein Drittel aller primären Mikropartikel stammt aus dieser Quelle, schätzt die Weltnaturschutzunion IUCN. Auch die Reste von Fahrbahn-Markierungen gehören dazu. Filter für Gullis und Klärwerke, wie Forscher von der TU Berlin sie gerade testen, könnten das Problem eindämmen.
Ganz lösen werden sie es nicht. Ein Teil entwischt, ein anderer wandert auf anderem Weg in die Flüsse und ins Meer – nämlich über die Luft
Faserbeutel für Waschmaschine
"Ich hab einfach bei mir in der Dusche den Abwasserschlauch der Waschmaschine abgemacht vom Abfluss und dann das rauslaufende Wasser durchgefiltert und dann geguckt, was bleibt da liegen. Und da braucht’ ich kein Mikroskop, um das zu sehen. Da ist schon relativ viel!"
Oliver Spies ist Mitinhaber eines Ladens für Surferbedarf. Zur Ausrüstung, die man bei ihm kaufen kann, gehören auch viele Sachen aus Synthetik. Doch das bringt den Surfer in die Zwickmühle. Bei jeder Wäsche entweichen tausende kleinster Kunstfasern und landen in der Kanalisation. Auch Spies’ Geschäftspartner Alexander Nolte will sich nicht damit abfinden.
Unsere Ausgangsthese war im Prinzip, wir dürfen keinen Fleece-Pulli mehr verkaufen, ohne irgendeine Lösung dafür zu haben.
Im Klärwerk hält der Schlamm zwar einiges zurück. Trotzdem finden Meeresforscher die winzigen Fasern an den abwegigsten Stellen: Im Sediment der Tiefsee, in den Mägen von Fischen, in Muscheln. Das Mikroplastik landet also auch auf dem menschlichen Speiseteller.
Als Oliver Spies und Alexander Nolte davon hören, setzen sich die beiden Naturfreunde im Biergarten zusammen und entwickeln eine Idee: Ein Waschbeutel als Fasernfänger für die Waschmaschine.
"Es ist nicht ganz so einfach, so’n Gewebe zu entwickeln, weil auf der einen Seite muss Lauge und Wasser eben an die Textilien rankommen, weil nach wie vor ist die primäre Idee, dass das sauber wird, und auf der anderen Seite dürfen diese kleinen abbrechenden Mikrofasern, diese Mikroöffnungen eben nicht verstopfen."
Nach anderthalb Jahren Entwicklung ist der Beutel endlich fertig. Ein weißes, transparentes Netz aus einem Kunststoff, der sonst in der Medizin eingesetzt wird, knapp 30 Euro pro Stück. Wer seine Textilien hinein packt, fängt die meisten Mikrofasern schon zu Hause ein.
Alexander Nolte: "Die meisten Leute sind überrascht, dass sie durch das Waschen ihrer synthetischen Kleidung überhaupt so einen Beitrag zur Umweltverschmutzung leisten. Und deswegen ist auch die Aufgabe, hier ein Stück weit eine Aufklärung zu betreiben, um das Problem des Microwaste überhaupt mal in den Köpfen von Endkonsumenten zu verankern und damit auch nachher ‘ne bessere Entscheidung treffen zu können beim Kauf dieser Kleidung."
Sanfter waschen, Wäsche schützen
Beim Blick auf die Etiketten großer Bekleidungshersteller wird schnell klar: Fast in jedem Kleidungsstück stecken synthetische Fasern. Das wird sich nicht einfach ändern, meint Textilwissenschaftlerin Francesca De Falco.
"Es ist nicht machbar, nur natürliche Fasern zu nutzen. Denn die gesamte globale Textilproduktion basiert heute auf synthetischen Polymeren wie Polyester, Polyamid oder Polyacryl. Wir können also nicht einfach sagen, wir verzichten darauf und kaufen ab jetzt nur noch Baumwolle oder Hanf oder andere natürliche Fasern.
Francesca De Falco promoviert am Institut für Polymere, Komposite und Biomaterialien des Nationalen Forschungsrats in Italien. Im Projekt "Mermaid” untersucht sie, wie viele Mikrofasern tatsächlich beim Waschen austreten.
"Das war nicht wirklich klar, deshalb haben wir dafür ein Messverfahren entwickelt."
Wer seine Wäsche sanfter wäscht, gibt weniger Mikrofasern ins Abwasser. Bei niedrigen Temperaturen etwa oder geringerer Schleuderzahl. Der Einsatz eines Weichspülers kann die Zahl der Fasern schon um die Hälfte verringern.Der verursacht allerdings wieder eigene Umweltprobleme. Deshalb empfehlen die Forscher in einem gerade veröffentlichten Report Gegenmaßnahmen schon bei der Produktion.
"Der nächste Schritt wird sein, eine Methode zur Behandlung synthetischer Fasern zu entwickeln.Dabei soll eine Schicht über den Textilien entstehen, die sie beim Waschen schützt."
Bisher haben Francesca de Falco und ihre Kollegen für diese Schutzschicht synthetische Stoffe eingesetzt. Demnächst sollen sie ersetzt werden durch natürliche Polymere wie dem pflanzenbasierten Pektin oder Chitosan aus Garnelen.
Plastik als Schleifkörper für Hautpeelings
Winzige Kunststoffpartikel finden sich heute überall. Auch dort, wo Konsumenten sie gar nicht brauchen:
"Wir arbeiteten schon eine Weile am Plastikmüll im Meer. Eines Tages stellten wir fest, dass es da einen neuen Trend gab, nämlich Plastik in Kosmetika zu mischen."
Umweltwissenschaftler Jeroen Dagevos hat eine der erfolgreichsten Kampagnen gegen Mikroplastik organisiert: Hautpeelings und Zahnpasten enthalten als Schleifkörper oder Glitzerperlen winzige Teilchen aus Polypropylen. Dagegen machten Dagevos und sein Team von der Plastic Soup Foundation mobi.
Ihr Motto: "Beat the Microbead”.
"Als wir die Kampagne starteten, erfanden wir die "Microbeads”. Dann übernahm die Industrie das Wort. Und sie sagten in ihren Statements, Ok, wir nehmen die Mikrokügelchen aus unseren Peelings und Reinigungsprodukten heraus. Manche meinten damit aber nur Polyethylen, kein anderes Plastik. Und dann ging eine Diskussion darum los, was in die Definition von Microbeads fällt und was nicht. Ich glaube, es geht den Produzenten darum, Zeit herauszuschlagen, in der sie ihre alten Produkte noch eine Weile verkaufen können."
Zahlreiche Umweltorganisationen schlossen sich der Plastic Soup Foundation an und erstellten schwarze Listen mit belasteten Produkten. Im Dezember 2015 verabschiedete der damalige US-Präsident Barack Obama schließlich den Microbeads Free Waters Act.
Jeroen Dagevos: "Ich denke, das Problem mit Mikroplastik in Peelings und Zahnpasta ist fast gelöst – das gibt es nur noch sehr selten. Aber in vielen Lippenstiften, Cremes und in sehr vielen Mascaras findet man immer noch Plastik in unterschiedlicher Form. Wir sind also noch nicht am Ziel. Ich glaube, die einzig vernünftige Lösung ist ein globaler Bann.
Callum Roberts: "People are very inventive, and they’re finding ways to catch plastics from the oceans!”
Lars Gutow: "Aber was sollen denn das für Geräte sein, die das alles einsammeln?"
Boyan Slat: "I believe the Great Pacific Garbage Patch can completely clean itself - in just 5 years.”
Lars Gutow: "Also ich denke, das ist im wahrsten Sinne des Wortes, ist das 'ne Sisyphusarbeit."
Selten haben sich für ein Umweltproblem so viele Menschen engagiert wie für dieses. Ein junger Erfinder arbeitet mit jeder Menge Crowdfunding an einer gigantischen Säuberungstechnik für die großen Meereswirbel, ein Umweltschützer versucht feine Partikel per Elektrostatik aus dem Sand zu filtern. Jeder klammert sich an seine eigene Hoffnung.
Vor kurzem machte eine zufällige Beobachtung Schlagzeilen: Spanische Forscher hatten Wachsmotten dabei beobachtet, wie sie sich durch Plastiktüten fraßen und das offenbar sogar gerne. Doch selbst wenn sich herausstellen sollte, dass Raupen Plastikverpackungen in nennenswerten Mengen vertilgen, dann tun sie dies sicher nicht im Meer, denn das ist nicht ihr Lebensraum. Womöglich verschärfen sie das Problem sogar, weil sie die Tüten nur zerkleinern und als Mikroplastik wieder ausscheiden.
Immerhin: Der Tütenverbrauch hat sich in einzelnen Ländern drastisch reduziert, seit in den Geschäften dafür bezahlt werden muss.
Marcus Ericsen: "The real solutions are happening upstream. They are happening in your supermarkt, they’re happening in your local government.”
Melanie Bergmann: "Es müsste meiner Meinung nach insgesamt zu einer Drosselung der Plastikproduktion kommen."
Globales Plastik-Abkommen
Die Weltnaturschutzunion IUCN schätzt, dass höchstens ein Drittel des Mülls im Meer aus Partikeln besteht, die schon als Mikroplastik im Meer landen. Das heißt: Der Hauptteil des Problems liegt bei den größeren Teilen, die zerfallen – all den alten Fischernetzen, Plastiktüten, Wasserflaschen, Zigarettenstummeln und Verpackungen.
Oder auch Kämmen, Gabeln, Feuerzeugen, Computergehäusen, Autoteilen, Einmalrasierern, Kugelschreibern, Plastiktellern, To-Go-Bechern.
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist die weltweite Produktion rasant gestiegen. 2015 wurden 322 Millionen Tonnen Kunststoff produziert, fast 190 mal so viel wie noch Anfang der 50er Jahre.
"Plastik ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass ich Stoffe kreieren und produzieren kann, auch in erheblichen Mengen, für die ich am Ende ihres Lebenszyklus noch nicht so richtig weiß, was ich damit mache."
Nils Simon ist Projektmanager bei Adelphi, einer Beratungsfirma für Umwelt- und Entwicklungsfragen. Er plädiert dafür, das Problem endlich auch international anzugehen.
"Warum nicht einfach ein globales Abkommen gegen Plastik-Verschmutzung fordern? Das könnte wirklich ein Aufhänger sein, um vor allem auch den Fokus darauf zu lenken, was an Land passiert. Um dafür zu sorgen, dass das, was am meisten fehlt, nämlich Unterstützung von Schwellen- und Entwicklungsländern dabei, effektive Abfallwirtschafts-Systeme aufzubauen und das mehr in den Vordergrund zu rücken."
Auch Karen Raubenheimer von der Universität Wollongong in Australien sieht die Zeit gekommen, über ein multilaterales Abkommen nachzudenken.
"Man hat Produkte, die in Amerika designt werden, aber in Indien hergestellt, in Russland verkauft und in China recycelt. Wie reguliert man so eine globale Industrie? Das ist eine echt schwierige Frage, wir müssen uns da den ganzen Lebenszyklus des Plastiks anschauen."
In einem Paper in der Fachzeitung Marine Policy skizziert Raubenheimer, wie ein globales Abkommen aussehen könnte. Es könnte sich am Montreal-Protokoll orientieren, mit dem die Ozonschicht gerettet wurde.
Damit begann 1987 der schrittweise Ausstieg aus den ozonschädigenden FCKWs, die etwa in Haarsprays enthalten waren.
Das Plastik-Problem ist weitaus komplizierter. Doch ein Abkommen könnte den Weg ebnen für weniger Produktion und weniger giftige Zusatzstoffe. Ganz zentral wäre, dass viele Länder unterschreiben:
"Ich denke, dass das ein ähnlich komplexes Problem ist wie der Klimawandel. Aber ich denke, es gibt Wege, die wir gehen können.
Kokos und Kork statt Gummigranulat
Per-Olov Samuelsson schließt ein rostiges Tor auf. Es führt zu einem schwedischen Fußballplatz. Der Platz ist leer, nur von weitem schallen die Rufe von zwei kickenden Jungs herüber.
Der schwedische Umweltgutachter nimmt einen Rest Schnee in die Hand. Ein faseriges Material kommt zum Vorschein.
"Hier das Schwarze, das ist Kokos gemischt mit Kork. Dieses Material ist viel umweltfreundlicher als das Gummireifen-Granulat, das auf dem anderen Fußballplatz verwendet wird. Und wie ich gehört habe, kann man auch richtig gut darauf kicken."
Das Material kostet etwa dreimal so viel wie Gummigranulat aus Altreifen, reduziert aber den Plastikeintrag gewaltig.
Ganz ohne Kunststoffe kommt auch dieser Sportplatz nicht aus. Der Rasen enthält zehn Prozent TPE – also thermoplastische Elastomere. Damit der Rasen bei tiefen Temperaturen nicht so schnell festfriert.
"Unsere Sorge war, dass das Material hier oben bei uns im Norden nicht funktioniert. Aber es ist wirklich nur an ganz wenigen Tagen so kalt, dass man auf dem Rasen nicht spielen kann."
Messungen haben gezeigt, dass kaum schädliche Partikel aus dem Kork- und Kokosrasen austreten. Ein Container am Spielfeldrand, in dem abfließendes Wasser gefiltert werden sollte, hat eine neue Aufgabe bekommen.
"Oh, hier steht ja ein Haufen anderes Zeugs rum. Na ja - wir wollten das Filtersystem als Sicherheit haben, aber hier ist es so sauber, dass wir es gar nicht brauchen."
Per-Olov Samuelsson sähe es am liebsten, wenn Kunstrasen mit Gummigranulat in Schweden komplett verboten würden und bestehende Plätze nachgerüstet – mit Filtersystemen, die das Granulat auffangen.
"Für mich ist das eine Herzensangelegenheit!"
Dabei bekommt er Unterstützung von der schwedischen Umweltschutzpartei "Miljöpartiet”, die sich in Göteborg auch für ein Tempolimit stark macht. Maximal 40 Kilometer pro Stunde sollen die Autos im Innenstadtbereich fahren dürfen. Damit die Reifen weniger Gummi abgeben.
Erik Zettler: "Plastik ist eine neue Umwelt, dies gibt es erst seit dem Zweiten Weltkrieg. Es ist wie bei einem Exoplaneten, wir kennen die Bedingungen auf der Oberfläche nicht und wissen nicht, wie Lebewesen mit ihnen interagieren oder wie das die Dinge da draußen ändert."
Mit dem Plastik sind neue Welten im Ozean entstanden, die Forscher wie Erik Zettlergerade erst erkunden. Doch schon jetzt zeichnen sich die Folgen ab: Fische und andere Meerestiere haben das Nachsehen, sagt die Biologin Almroth, wenn der Mensch weiterhin Kleidung aus synthetischen Fasern trägt und mit Vollgas über die Autobahn brettert.
"Man kann auf verschiedenen Ebenen etwas gegen das Plastikproblem tun: Die Regierung kann Gesetze erlassen, Produkte verbieten und ihre Benutzung einschränken. Wir können Klärwerke mit speziellen Filtern umrüsten und die Abfallsysteme verbessern, damit nichts ins Meer gelangt. Jeder sollte auch über seinen eigenen Konsum nachdenken. Wie benutzen und entsorgen wir unsere Sachen? Ich zum Beispiel lese immer die Inhaltsangabe der Produkte, die ich kaufe, und benutze keine Plastiktüten und oder Wegwerfbesteck."
Jeder einzelne kann heute schon viel gegen die Plastikflut tun. Aber die Menschheit muss ihren Einsatz von Kunststoffen auch grundsätzlich überdenken. Die Diskussion um ein globales Abkommen gewinnt gerade an Fahrt. Und das braucht es auch: Eine umfassende Strategie, um die vielen Quellen von Mikroplastik zu schließen.