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Teilchenjagd im Bierkeller

Physik.- Wollen Physiker die Eigenschaften von flüchtigen Teilchen untersuchen, tun sie das mitunter in Autobahntunnels. Unter der Erde sind die nötigen Messgeräte vor der Strahlung an der Oberfläche geschützt. Auch in einem ehemaligen Brauerei-Keller wird Untergrund-Physik betrieben.

Von Jan Lublinski |
    Wenige Kilometer von der Dresdner Innenstadt entfernt, in einem kleinen Tal namens Plauenscher Grund befindet sich die ehemalige Dresdner Felsenkeller-Brauerei. Ein weitläufiges Areal mit dunkelroten Backsteingebäuden und einem markanten Schornstein. Dahinter ragt eine hohe, etwas düstere Gebirgswand empor. Hinter einer Metalltür verbirgt sich ein 50 Meter tiefer Stollen.

    "Das ist ein ehemaliger Brauereistollen, der 1864 angelegt wurde. Im Winter wurde hier Eis eingelagert, um es dann im Sommer zu verkaufen für die Kühlschränke der Haushalte und für die Nutzung in der Brauerei."

    Matthias Köhler vom Verein für Kernverfahrenstechnik und Analytik Rossendorf ist spezialisiert auf die Messung von extrem schwacher Strahlung. Sein Arbeitsplatz befindet sich ganz am Ende des Stollens. Hinter einer weiteren Tür befindet sich hier ein gewöhnlicher Büroflur mit wissenschaftlichen Postern an der Wand.

    "Wir haben uns ganz gut hier eingerichtet, glaube ich. Man hat also nicht den Eindruck, dass man im Bergwerk oder im finsteren Keller sitzt, glaube ich."

    Allerdings fällt keinerlei Tageslicht in diese Räume. Und noch etwas bleibt außen vor: die kosmische Strahlung. Sie ist sonst überall auf der Erdoberfläche vorhanden, wird hier aber durch das umgebende Gestein weitgehend abgeblockt. Das sind die Bedingungen, die Matthias Köhler braucht, um Materialproben gezielt auf schwache elektromagnetische Gammastrahlung hin zu untersuchen. Er misst für verschiedene Auftraggeber die Strahlung von Trink- und Mineralwässern, prüft Proben aus der Sanierung im Uranbergbau oder er hilft bei der genauen Datierung geologischer Gesteinsproben. Weil das Gestein des Felsenkellers selbst aber auch ein wenig strahlt, arbeitet er in einem kleinen Labor, das er Abschirmkammer nennt:

    "Die besteht aus 50 Zentimeter Stahl und Blei, es ist eine Schalenkonstruktion wo etliche Tonnen von diesem Material verbaut sind. Und die führt dazu, dass wir hier im Inneren dieser Kammer uns einen nahezu strahlungsfreien Raum geschaffen haben."

    Gelungen ist dies auch, weil die Wände hier braun gestrichen sind. Weiß wäre Köhler zwar lieber gewesen, aber es stellte sich heraus,...

    "...dass die weiße Farbe für unsere Belange zu hohe spezifische Aktivitäten an natürlicher Radioaktivität enthält. Das gleiche gilt für die Glühlampen, die wir eingesetzt haben, anstelle von Leuchtstoffröhren. Leuchtstoffröhren enthalten Kalium 40 und das hätte uns auch gestört."

    Die eigentlichen Messungen nimmt Köhler in sechs bierfassgroßen Tonnen vor, die noch einmal mit 17 Zentimeter Blei ummantelt sind.

    Das Blei der innersten Schicht stammt aus dem Kiel von historischen Segelschiffen: Denn in diesem alten Blei befinden sich kaum noch strahlende Blei-Atome.

    "Muss man sich vorstellen, diese Segelschiffe sind 300 Jahre oder älter. Das Blei-210 hat eine Halbwertszeit von 20 Jahren, so dass diese geringe spezifische Aktivität entstanden ist durch den langen Zeitraum, den das Blei zur Verfügung hatte, um zerfallen zu können."

    Neuerdings arbeitet Köhler auch mit einem besonders anspruchsvollen Auftraggeber zusammen: Kai Zuber, einem jungen Teilchenphysiker, der vor etwas mehr als einem Jahr Professor an der TU Dresden geworden ist. Er will ein besonders flüchtiges Elementarteilchen untersuchen: Das Neutrino.

    "Wir wissen mittlerweile, es hat eine Masse, aber wir wissen immer noch nicht wie groß sie ist."

    Im Felsenkeller suchen Kai Zuber und Matthias Köhler in seltenen atomaren Zerfallsprozessen nach möglichen Hinweisen auf die Masse der Neutrinos. Und sie prüfen die Reststrahlung von Messgeräte-Bauteilen, die Zuber für ein ambitioniertes Neutrino-Experiment namens "GERDA" benötigt. Dieses baut er derzeit gemeinsam mit deutschen und italienischen Kollegen in einem großen Untergrundlabor am Rande eines Autobahntunnels im italienischen Gran-Sasso-Massiv auf. Dort, unter dem Gebirge, sind die Bedingungen noch günstiger als im Dresdner Felsenkeller.

    Mit "GERDA" wollen die Physiker den dunkelsten Raum der Welt schaffen: einen Ort, an dem ein extrem empfindliches Messgerät nur noch sehr selten Teilchen-Signale registriert. Sollte es ihnen dann tatsächlich gelingen, mit diesem Experiment die Masse der Neutrinos zu bestimmen, wären dies ein großer Schritt. Ein großer Schritt hin zu einem tieferen Verständnis der kleinsten Teilchen und ihrem Ursprung am Anfang des Universums.