"Sie sehen ja, hier läuft überall das Wasser runter. Also ganz dicht ist der Berg nicht."
Mit seinem Mietwagen ist Daniel Bick in einen Autobahntunnel gefahren – eine zehn Kilometer lange Röhre quer durchs Gran-Sasso-Massiv in Mittelitalien. Auf halber Strecke ist der Physiker rechts abgebogen und langsam durch ein massives Metalltor gerollt – der Eingang zum größten Untergrundlabor der Welt. Es liegt 1400 Meter tief im Gestein.
"Wir betreten jetzt die Experimentierhalle C. Wenn wir jetzt durch diese Tür treten, sehen Sie hinten das Borexino-Experiment. Gehen wir einfach mal rein."
Daniel Bick läuft durch die Halle, sie ist lang wie ein Fußballfeld. Ganz am Ende steht sein Experiment: Borexino, so heißt es, wurde vor ein paar Jahren von einem internationalen Physikerteam mitten in den Berg gebaut. Ein Koloss aus Stahl und Öl.
"Jetzt kommen wir an den großen Stahltank. Der ist 16,9 Meter hoch, 18 Meter im Durchmesser. Und der beherbergt den Detektor. Das Herzstück ist der Szintillator. Der ist ganz innen drin. Das sind 278 Tonnen Szintillator, das ist im Prinzip ein Mineralöl."
Ein Öltank tief im Berg – er dient Bick und seinen Leuten als eine Art Geisterjäger. Es ist eine Kamera für Neutrinos. Das sind Elementarteilchen, die in unvorstellbaren Massen durchs All rasen. Dennoch haben die Physiker ihre liebe Mühe, sie aufzuspüren. Denn Neutrinos sind ausgesprochen flüchtig.
"Die reagieren in erster Linie erst mal gar nicht, fliegen durch die Erde durch. Ganz wenige reagieren dann aber doch, indem sie mit einem Elektron zusammenstoßen. Das Elektron ist danach in Bewegung. In dem Szintillator lösen geladene Teilchen, die sich bewegen, einen Lichtimpuls aus. Dieses Licht sehen wir dann."
Im Inneren von Borexino lauern 2000 Lichtsensoren auf ein schwaches Funkeln – der Hinweis, dass ein Neutrino mit dem Öl reagiert hat. Nur: Andere Teilchen leuchten ebenfalls im Öl, vor allem die sogenannten Myonen aus der kosmische Höhenstrahlung.
"An der Erdoberfläche haben wir permanent einen Fluss von Myonen aus der Höhenstrahlung. Das sind an der Erdoberfläche ungefähr 140 bis 150 pro Quadratmeter und Sekunde. Die meisten davon werden durch den Berg abgeschirmt."
Nur tief im Untergrund ist das Störfeuer so schwach, dass Borexino die Neutrino-Leuchtspuren entdecken kann. Dabei hat es der Detektor auf besondere Neutrinos abgesehen.
"Das primäre Ziel ist die Vermessung von Neutrinos aus der Sonne. Unsere Sonne produziert Energie durch Fusion. Bei diesen Fusionsprozessen entstehen Neutrinos unterschiedlicher Energie. Dieses Energiespektrum zu vermessen, ist Aufgabe von Borexino."
In der Sonne entstehen Unmengen an Neutrinos, von denen Borexino jeden Tag ein paar Dutzend auffängt. Für die Physiker reicht das, um buchstäblich in die Sonne hineinschauen zu können. Dadurch wollen sie eine alte Frage klären: Besteht die Sonne fast nur aus Wasserstoff und Helium? Oder enthält sie in nennenswerter Konzentration auch schwerere Elemente? Seit einiger Zeit aber ist Borexino auch in der Lage, eine weitere Sorte von Neutrinos aufzuschnappen – Neutrinos, die aus dem Inneren der Erde kommen, sagt Bicks Kollegin Livia Ludhova aus Mailand.
"Diese sogenannten Geoneutrinos werden erzeugt, wenn im Erdinneren radioaktive Stoffe wie Uran und Thorium zerfallen. Indem wir diese Geoneutrinos mit Borexino auffangen, erhalten wir Informationen aus den Tiefen unseres Planeten. Tiefen, die wir mit anderen Methoden nie erreichen können."
Der riesige Öltank im weltgrößten Untergrundlabor hat ein neues Forschungsgebiet begründet. Die Spezialkamera kann so tief in die Erde blicken wie derzeit kein anderes Verfahren.