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Teilnahme Deutschlands an Anti-Rassismuskonferenz noch offen

Im Streit um den Inhalt der Abschlusserklärung für die am Montag beginnende Anti-Rassismus-Konferenz der UNO haben Diplomaten offenbar Fortschritte erzielt. Aus EU-Kreisen verlautete, die Erklärung sei nun auch für die Europäische Union annehmbar. Der außenpolitische Berater der Bundeskanzlerin, Christoph Heusgen, sagte dazu, die Bundesregierung werde im Laufe des Wochenendes entscheiden, ob sie an der Konferenz teilnehmen werde. Der iranische Präsident Ahmadinedschad dürfe die Konferenz nicht als Plattform für seine polemischen Ausfälle gegen Israel nutzen, so Heusgen.

Christoph Heusgen im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Christoph Heusgen leitet im Bundeskanzleramt die Abteilung Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Guten Morgen!
    Christoph Heusgen: Guten Morgen, Frau Schulz!
    Schulz: Herr Heusgen, nimmt Deutschland teil an der Konferenz?
    Heusgen: Sie haben ja eben hingewiesen, dass am Montag die Konferenz in Genf beginnt, und nach dem Abschluss der Vorarbeiten gestern finden am Wochenende noch die Abstimmungsgespräche zwischen den Außenministerien der EU-Staaten statt, um festzulegen, ob und ebenfalls wie wir an dieser Konferenz teilnehmen. Eine Entscheidung ist also noch nicht getroffen?
    Schulz: Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung?
    Heusgen: Im Laufe des Wochenendes.
    Schulz: Und wie weit sind Sie in der Abstimmung mit den anderen Europäern auch?
    Heusgen: Sie hatten ja schon hingewiesen, dass bei den außereuropäischen Ländern USA, Kanada, Israel nicht teilnehmen werden, und innerhalb der Europäischen Union gibt es Stimmen, die für eine Teilnahme sich aussprechen. Die sagen, ja, das Dokument ist ausreichend genug, um als Verhandlungsgrundlage zu dienen, ausreichend genug, was die Balance anbelangt. Es gibt dann die Stimmen, die sagen, ja, also es steht zu befürchten, dass diese Konferenz überschattet wird von einseitiger Kritik an Israel, so wie dies bei der ersten Durban-Konferenz der Fall war. Und Sie hatten es in Ihrem Vorspann schon erwähnt, für viele ist der Gedanke unerträglich, dass man vertreten ist, und das gilt dann gegebenenfalls auch für Deutschland, dass Deutschland vertreten ist, wenn der iranische Präsident Ahmadinedschad die Konferenz als Plattform für seine polemischen Ausfälle gegen Israel nutzt.
    Schulz: Wenn jetzt aber Ahmadinedschad auftritt in Genf und die EU - wenn wir das unterstellen oder mit dem Szenario uns beschäftigen - die Sitzung und die Konferenz boykottiert, birgt das nicht auch die Gefahr oder stellt sich nicht das Bild so dar, dass man Ahmadinedschad, dem Holocaust-Leugner, die Bühne überlässt?
    Heusgen: Wissen Sie, durch eine Anwesenheit würde man diese Äußerungen als etwas in einer solchen Konferenz Normales akzeptieren, man würde ihm eine gewisse Legitimierung geben, und deswegen, wie gesagt, halte ich den Gedanken für unerträglich, dass Deutschland vertreten wäre, wenn Ahmadinedschad dort auftritt.
    Schulz: Aber umgekehrt, einem Auftritt offensiv entgegenzutreten oder bei dem Auftritt dann den Saal zu verlassen, wäre das nicht ein deutlicheres Zeichen?
    Heusgen: Ich hatte das ja auch gerade angeführt, man muss den Gesamtzusammenhang sehen. Diese Konferenz, diese Anti-Rassismus-Konferenz, hatte ja schon bei ihrer ersten Version insgesamt doch zum Inhalt, dass in erster Linie, wenn man sich vergleicht, wie die rassistischen Entwicklungen auf der Welt gezeichnet waren dadurch, dass sich in erster Linie auf Israel konzentriert wurde, und das ist einfach, wie ich sagte, für mich unerträglich. Und deswegen sollte man nicht die Gelegenheit geben, denjenigen Kritikern Unterstützung zu geben, die sagen, ja, also seht her, da ist die ganze internationale Staatengemeinschaft vertreten, und deswegen macht sich die gesamte Staatengemeinschaft diese Kritik zu eigen.
    Schulz: Und umgekehrt gesprochen, sollte es zu dem Boykott gekommen, was wäre gewonnen im Kampf gegen Rassismus?
    Heusgen: Ich glaube, man würde ein deutliches Signal setzen, dass diese Einseitigkeit dieser Durban-Konferenzen von uns nicht akzeptiert wird. Und ich finde es schon wichtig, auch noch mal festzustellen, dass die USA, die ja jetzt nicht mehr von der von vielen Seiten gescholtenen Bush-Regierung gelenkt wird, sondern dass auch die Regierung unter Präsident Obama entschieden hat, dieser Konferenz fernzubleiben.
    Schulz: Wenn Deutschland sich für eine Teilnahme entscheiden sollte, wer fährt hin?
    Heusgen: Also es ist nicht vorgesehen, dass diese Konferenz auf politischer Ebene wahrgenommen wird, sondern es würde gegebenenfalls ein Vertreter unserer Botschaft in der Vertretung in Genf oder des Auswärtigen Amtes teilnehmen.
    Schulz: Und wo müsste - jetzt wie gesagt für den Fall der Teilnahme gesprochen - die rote Linie verlaufen, ab wann müsste dann der deutsche Teilnehmer, die deutsche Teilnehmerin, die deutsche Vertretung abreisen?
    Heusgen: Also das sind jetzt hypothetische Fragen. Wie gesagt, heute steht erst mal und am Wochenende steht die Frage auf der Tagesordnung, ob überhaupt die Bundesregierung vertreten sein wird bei dieser Konferenz.
    Schulz: Ist auch ein Szenario vorstellbar, dass Europa sozusagen eine unterschiedliche Haltung einnimmt, dass manche Europäer vertreten sind, andere zu Hause bleiben?
    Heusgen: Das will ich nicht ausschließen, dass es zu einer solchen Entwicklung kommt. Auch das ist noch zu früh zu spekulieren.
    Schulz: Sie haben es gerade schon angesprochen oder wir haben gerade schon drüber gesprochen, die USA und Kanada sind von vornherein nicht dabei, Israel auch nicht. In welchem Gremium kann sich denn die internationale Staatengemeinschaft glaubenswert einsetzen gegen das Ächtenswerte, gegen den Rassismus?
    Heusgen: Also, wir haben ja den UN-Menschenrechtsrat und dort es hat ja Bemühungen gegeben in der Vergangenheit, zu einer objektiveren Sicht der Dinge zu gelangen. Beim Menschenrechtsrat hat die amerikanische Regierung unter Obama jetzt gesagt, dass sie einen neuen Anlauf nehmen möchte, dass sie dieser auch vor wenigen Jahren neu eingerichteten Organisation eine Chance geben möchte und dass sie in objektivere Fahrwasser kommt. Und ich könnte mir vorstellen, dass das im Menschenrechtsrat eher möglich ist.
    Schulz: Der Deutschlandfunk im Gespräch mit dem außen- und sicherheitspolitischen Berater der Bundeskanzlerin, mit Christoph Heusgen. Lassen Sie uns noch auf ein anderes Thema blicken, das uns in dieser Woche beschäftigt hat: der Einsatz im Kampf gegen die Piraten vor der Küste Somalias. Ist die Bundeswehr bisher entschieden genug vorgegangen gegen die Piraten?
    Heusgen: Ich darf, Frau Schulz, vielleicht noch mal an den Auftrag unserer Mission erinnern. Die Bundeswehr, unsere Marine nimmt doch teil als eine Komponente des EU-Einsatzes, der UN-Operation Atalanta, und dieser hat zur Aufgabe, in erster Linie die Schiffe der UN, des World Food Programs der Welternährungsorganisation zu sichern, die eingesetzt werden, um die Not leidende Bevölkerung von Somalia mit Lebensmitteln zu versorgen. Und sämtliche Schiffe des Welternährungsprogramms haben Mogadischu, haben den Hafen sicher erreicht. Im Übrigen hat diese Operation Atlanta, haben die Schiffe der EU der Handelsschifffahrt angeboten, jedem zum Schutz zur Verfügung zu stehen, wenn sie durch diese schwierigen Gewässer fahren. Und in den letzten drei Monaten, vier Monaten haben etwa über 100 Schiffe, 120 Schiffe von diesem Angebot Gebrauch gemacht. Deutschland hat allein Konvois mit insgesamt 50 Schiffen sicher durch die Gewässer gebracht.
    Schulz: Herr Heusgen, aber wie kommt es, dass die anderen Europäer das Mandat der EU-Mission Atalanta ja großzügiger interpretieren? Die Franzosen haben im Umgang mit den Piraten schon größere Härte gezeigt als die Bundeswehrsoldaten
    Heusgen: Wissen Sie, das ist eine Frage des Vorgehens. Ich glaube, es ist richtig, dass sich die Bundeswehr bei ihren Einsätzen so verhält, wie sie sich verhält. Das heißt, dass sie erstens dem Mandat nachkommt, und dieses Mandat hat sie hundertprozentig erfüllt. Wenn sie dann von Schiffen, die sich vorher nicht gemeldet haben und den Konvois angeschlossen haben, aber dann überfallen werden, wenn in diesen Fällen die Bundeswehr sagt, also, für uns ist es wichtig, dass wir das Leben der Geiseln versuchen zu schützen, dass wir nicht in Operationen hineingehen, deren Ausgang unsicher ist, wo das Wohl der Soldaten auf dem Spiel steht, wenn man dort vorsichtig vorgeht, so sehe ich darin nichts Falsches.
    Schulz: Aber es kommt ja auch Kritik aus der Bundeswehr selbst. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, hat ebenfalls ein härteres Vorgehen gegen die Piraten für geboten erklärt. Wie kommt es zu der Diskrepanz?
    Heusgen: Also, es ist ja nicht so, dass die Bundeswehr nicht hart einschreitet. Es hat ja bereits mehrere Beispiele gegeben, wo die Bundeswehr auch von Waffen Gebrauch gemacht hat und erfolgreich Angriffe abgewehrt hat beziehungsweise dann auch Piraten gefangen genommen hat und nach Kenia überstellt hat. Ich glaube wie gesagt, das Vorgehen ist richtig. Ich möchte nicht wissen, was der Bundeswehrverband sagen würde, wenn bei einer Operation Bundeswehrsoldaten ums Leben kommen würden oder wenn Geiseln dann getötet würden.
    Schulz: Ja, jetzt debattieren wir aber über den Umgang eben mit diesen festgenommenen Piraten auch schon seit mehreren Wochen. Zuletzt haben die Piraten Klage erhoben gegen die Bundesregierung wegen des Menschenrechtsstandards in Kenia, wo ihnen ja der Prozess gemacht werden soll. Ist in Kenia ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet?
    Heusgen: Die Europäische Union hat sorgfältig geprüft das rechtsstaatliche Vorgehen in Kenia, ist zum Schluss gekommen, dass dieses Vorgehen dort auch gewährleistet ist. Ich sehe diesen Klagen mit großer Gelassenheit entgegen. Kenia macht unter den gegebenen Umständen eine gute Arbeit. Wir unterstützen Kenia dabei, und ich sehe keinen Grund, warum wir von diesem Vorgehen abgehen sollten.
    Schulz: Warum fürchtet die Bundesregierung ein Verfahren auf deutschem Boden so sehr? Strafrechtlich gäbe es ja genug Anknüpfungspunkte.
    Heusgen: Also das wird jeweils geprüft, ob es Anknüpfungspunkte gibt, ob es ein Interesse gibt für eine Strafverfolgung in Deutschland. Bisher sind die zuständigen Stellen zum Ergebnis gekommen, dass eine Verfolgung in Kenia ausreichend ist, um deutsches Rechtsinteresse zu wahren. Und ich habe da keinen Grund, an diesen Entscheidungen zu zweifeln.
    Schulz: Wäre ein internationaler Seegerichtshof die Lösung?
    Heusgen: Das habe ich auch gesehen, ich würde das nicht grundsätzlich ausschließen, nur die Erfahrungen, die wir gemacht haben mit internationalen Gerichtshöfen - sei es Gerichtshof Ruanda oder sei es der zu Bosnien oder sei es der zum Libanon -, die Erfahrung zeigt, dass solche Gerichtshöfe Jahre brauchen, bis sie etabliert sind. Und diese Zeit steht jetzt nicht zur Verfügung. Deswegen wie gesagt, ich glaube, dass wir das jetzt vereinbarte Verfahren zwischen der EU und Kenia weiter nutzen sollten.
    Schulz: Herr Heusgen, mit Blick auf die Uhr die Bitte um eine kurze Antwort: Die Erfahrungen mit den internationalen Strafgerichtshöfen ist schlechter als die Erfahrung mit der Gerichtsbarkeit in Kenia, habe ich Sie da richtig verstanden?
    Heusgen: Nein. Die Erfahrung ist nicht schlechter, im Gegenteil. Ich halte die Entwicklung der internationalen Strafgerichtsgebung für unglaublich wichtig und einen der großen Fortschritte im Völkerrecht in den letzten Jahren, wenn man an den internationalen Strafgerichtshof denkt zum Beispiel. Nein, das Problem ist, dass die Etablierung dieser Gerichte sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, bis Sie eine Grundlage für die Gerichte haben. Sie müssen eine Einigung im UN-Sicherheitsrat bekommen, Sie müssen Richter bestellen, Sie müssen Institutionen aufbauen. Das dauert leider eher Jahre. Und deswegen ist es in diesem konkreten Fall für die Probleme, die Sie dargestellt haben, keine Alternative. Jetzt sollte es mit Kenia weitergehen.