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Medien in der Ukraine
"Telemarathon": Kaum Kritik an Selenskyj

Gleich zu Kriegsbeginn hat die ukrainische Regierung die größten TV-Kanäle des Landes in einem Programm vereint, den "Telemarathon". Kritik an Selenskyj kommt darin kaum vor. Kleinere Sender werden seitdem nicht mehr ausgestrahlt. Selenskyj wolle damit regierungstreue Berichterstattung sichern, fürchten Kritiker.

Von Florian Kellermann |
Eien Frau sitzt in einem Raum und schaut TV
Nur noch ein Sender für alle: TV-Programm in der Ukraine (picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Für die meisten Beobachter kam es überraschend, als der Oligarch Rinat Achmetow ankündigte, seine Mediengeschäfte in der Ukraine einzustellen. Ein Grund dürfte sein, dass der Krieg vor allem ihn wirtschaftlich trifft, wie der stellvertretende Chefredakteur von Forbes Wolodymyr Landa einem ukrainischen Fernsehsender sagte: "Natürlich leiden alle unter der russischen Aggression. In wirtschaftlicher Hinsicht trifft es die Reichsten in absoluten Zahlen am stärksten. Wir haben das Vermögen von Rinat Achmetow vor dem Krieg auf 13,7 Milliarden US-Dollar geschätzt. Jetzt noch auf vier bis fünf Milliarden US-Dollar. Das liegt vor allem an seinen beiden Metall-Unternehmen in Mariupol, die zerstört wurden."
Achmetow gibt an, Auslöser für seinen Schritt sei ein neues Gesetz. Das sogenannte Anti-Oligarchen-Gesetz sieht vor, dass sogenannte Oligarchen auf eine Liste gesetzt und überwacht werden. Das gilt für ihre Kontakte zu Politikern wie für ihre Einkünfte. Dadurch, dass Achmetow seine Medien abgegeben hat, gilt er laut Gesetz nicht mehr als Oligarch.
Oksana Romaniuk vom "Institut für Massenmedien", das den ukrainischen Medienmarkt beobachtet, hält auch das nur für einen von vielen Gründen. Achmetow könne derzeit schlicht keinen politischen Nutzen aus seinen Medien ziehen. Denn die ukrainische Regierung hat zu Kriegsbeginn die größten Fernsehkanäle in ein Programm zusammengefasst – den sogenannten „Telemarathon“. Eingeladen wurden dabei neben dem staatlichen Fernsehen die Sender von verschiedenen Oligarchen.

"Wir haben etwas gebraucht"

„Zu Beginn des Kriegs war der Telemarathon nötig", sagt Romaniuk. "Wir waren alle so erschüttert und haben etwas gebraucht, an dem wir uns festhalten konnten. Die Idee, uns auch bei der Berichterstattung zu vereinen, war da gut und naheliegend. Aber heute hat sich die Idee des Telemarathons erschöpft.“
Die Gesellschaft habe den ersten Schock überwunden, so Oksana Romaniuk. Viele Ukrainer hätten sich ein Netz von verlässlichen Quellen über den Verlauf des Kriegs aufgebaut, vor allem in Messenger-Diensten wie „Twitter“ und „Telegram“.

Kritiker: Zwang zur einheitlichen, regierungstreuen Berichterstattung

Präsident Wolodymyr Selenskyj und die Regierung halten dennoch am „Telemarathon“ fest. Denn, so meinen Kritiker, es zwinge die Fernsehsender zu einer einheitlichen, regierungstreuen Berichterstattung. Tatsächlich kommen beim „Telemarathon“ kaum Stimmen vor, die Kritik an Selenskyj üben würden.
Anders in kleineren Fernsehsendern, die nicht zum Marathon gehören. Sie haben allerdings seit einigen Monaten Probleme, ihr Programm in guter Qualität zu verbreiten. Ihr digitales Signal wird nicht mehr über die landesweit installierten Sendemasten verbreitet, ist also nur noch im Internet oder über Satellit zu empfangen. Damit verloren diese Sender etwa die Hälfte der Zuschauer. Regierungsvertreter begründeten diesen Schritt nur unvollständig und widerwillig.

Kleine Sender appellieren an EU

Witalij Portnikow, Journalist beim betroffenen Kanal „Espreso TV“, hofft nun auf die EU: „Die Pressefreiheit ist eine der Grundfesten eines zivilisierten Staats. Deshalb hat EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen bei ihrem jüngsten Besuch angemahnt, dass wir ein Mediengesetz verabschieden. Solche Behördenwillkür darf es nicht geben. Ohne Pressefreiheit bleibt die Ukraine an der Schwelle der Europäischen Union. Es wird keine Beitrittsverhandlungen geben.“
Wie es die ukrainische Regierung mit der Pressefreiheit hält, wird sich auch daran zeigen, wie es mit dem „Telemarathon“ weitergeht. Der TV-Sender „Der fünfte Kanal“ möchte die Slots übernehmen, die durch das Ausscheiden des Achmetow-Senders freiwerden. Dieser Sender steht jedoch Petro Poroschenko nahe. Er ist der Vorgänger von Präsident Selenskyj und dessen politischer Widersacher. Auch der kleinere Sender „Pryamyj“ zeigt Interesse, in den „Telemarathon“ einzusteigen, auch er berichtet kritisch. Aus der Regierung gibt es dazu bisher keine Reaktion.

Ausweichen aufs Internet

Das heiße aber nicht, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer von kritischen Informationen abgeschnitten wären, sagt Oksana Romaniuk vom Institut für Massenmedien. „Im Internet gibt es keine Zensur. Ja, unsere Gesellschaft ist durch den Krieg traumatisiert, das wirkt sich auf die Berichterstattung aus. Aber das Internet ist voll mit Kritik an der Staatsmacht.“
„Espreso TV“ etwa, das nicht mehr über Antenne zu empfangen ist, hat nun eine Million Abonnenten auf Youtube. Wichtige Rechercheplattformen veröffentlichen auf ihren Internetseiten.