Archiv

Telemedizin in Polen
Überwachung per Datengürtel

Sprechstunde am Bildschirm, Videokonsultationen vor oder während Operationen: In Zeiten knapper Personal-Kapazitäten bieten in Polen moderne Technologien verlockende Perspektiven. Aus diesem Grund drängen auch immer mehr polnische IT-Firmen mit neuen Produkten in das Gesundheitsgeschäft.

Von Ernst-Ludwig Aster |
Kardioweste für Herzpatienten, Überwachungsgerät für Diabetiker, Datengürtel für Schwangere: Modelle der polnischen Comarch-Gruppe für die digitale Gesundheitsüberwachung werden an Schaufensterpuppen präsentiert
Kardioweste für Herzpatienten, Überwachungsgerät für Diabetiker, Datengürtel für Schwangere: Modelle der polnischen Comarch-Gruppe für die digitale Gesundheitsüberwachung (Deutschlandradio/ Anja Schrum)
"Recepcia" steht über dem eleganten Empfangstresen im Foyer. Zwei junge Frauen kümmern sich um die Wünsche der Patienten. Wer lieber online einen Arzt-Termin vereinbaren will, der kann ein Computer-Terminal nutzen.
"Das ist unser Medical Center 'I Med 24'", sagt Dr. Joanna Dróżdż-Gradzikiewicz. Eines der neuesten Gesundheitszentren in Krakau. Die Ärztin, im schlicht-eleganten schwarzen Kleid, bittet zum Rundgang. Das Zentrum gehört der Comarch-Gruppe, erzählt sie, ebenso wie die umliegenden Forschungsinstitute.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Der polnische Patient".
Comarch, das ist eines der größten IT-Unternehmen Polens. Mit Filialen in Deutschland, der Schweiz und Österreich und mehr als 300 Millionen Euro Umsatz pro Jahr. Vor vier Jahren stiegen die Software-Entwickler in den Gesundheitsbereich ein. Mit dem neuen I-Med-Zentrum. Drozdz-Gradzikiewicz ist die Leiterin:
Moderne Geräte für die Untersuchung, Radiologen für die Diagnose – Patienten finden hier alles unter einem Dach, erzählt die Ärztin, während sie mit schnellen Schritten durch die langen Flure führt. Die modernen bildgebenden Verfahren - das ist ein Grundpfeiler des Geschäfts. Der traditionelle Bereich, mit direktem Arzt-Patienten-Kontakt. Doch die IT-Tüftler arbeiten schon seit Jahren an einem zweiten, virtuellen Bereich, der Telemedizin: der Überwachung, Untersuchung und Diagnose via Datenübertragung.
GPS-Modul erfasst den Aufenthaltsort der Patienten
In einem Büro im zweiten Stock laufen Patientendaten über große Bildschirme. Zwei Mitarbeiter sitzen vor ihren Rechnern, beobachten den Datenstrom.
"Daniel, wieviel Patienten betreuen wir gerade?", möchte Drozdz-Gradzikiewicz wissen. "600" antwortet der junge Mann, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden. Ob der Rentner in Warschau oder die Großmutter nahe der ukrainischen Grenze: Alle Patienten tragen ein sogenanntes E-Care-Armband. Ein GPS-Modul erfasst rund um die Uhr ihren Aufenthaltsort, eine Notruf- und eine Telefon-Taste stellen jederzeit eine Verbindung in die Zentrale nach Krakau her, ein Sensor überwacht ununterbrochen den Herzschlag.
"Das ist alles in Echtzeit", sagt die Ärztin, während der Herzschlag des Warschauer Patienten über den Monitor läuft. Gesundheitsfernüberwachung. Im ersten Schritt checkt ein Algorithmus automatisch die Daten, zeigen sich Auffälligkeiten, überprüft Daniel den Verlauf auf dem Bildschirm. Wenn nötig, schaltet er einen Arzt ein. Der sitzt einige Räume weiter.
"Es gibt mehrere Reaktionsmöglichkeiten. Wenn sich die Parameter verschlechtern, wenn der Herzschlag zu schnell ist, dann sprechen wir hier zuerst mit dem Arzt hier im Center, dann kontaktieren wir den Patienten, dass er vielleicht eine Extra-Tablette nehmen sollte. Wenn sich dann nix ändert und es weiter ernst ist, dann können wir eine Dreierkonferenz machen, zwischen uns, dem Patienten und dem Rettungsdienst. Und am Ende können wir auch einen Krankenwagen schicken.
Fernüberwachung und Nahversorgung – die einfache Version kostet im Abo pro Monat knapp 25 Euro, wenn der Vertrag über ein Jahr abgeschlossen wird. Ein Einstiegsangebot.
Kardioweste, Überwachungsgerät, Datengürtel
An drei Schaufenster-Puppen präsentiert das Unternehmen weitere Messgeräte. Eine Kardioweste für Herzpatienten, ein Überwachungsgerät für Diabetiker. Einen Datengürtel für Schwangere. Alles hergestellt von der Comarch-Gruppe. Software-Plattform und Medizintechnik entwickeln, dann die Daten verarbeiten – das ist die Geschäftsidee.
"Vor sieben, acht Jahren, als ich mit der Telemedizin angefangen habe, da sagte ich: " Liebe Kollegen, ich werde in Zukunft die Tele-Medizin vorantreiben. Und sie sagten: "Du bist doch verrückt, worüber redest Du?" Und wenn ich nun mit ihnen über die technischen Möglichkeiten spreche, etwa Videokonsultationen, dann fragen sie nur noch: "Wann geht es los?" Es hat sich also eine Menge geändert."
Noch aber übernimmt der staatliche Gesundheitsfonds nur in Ausnahmefällen die Kosten. Doch die Ärztin ist optimistisch. Die Krise im polnischen Gesundheitssystem, vor allem der Personalmangel, ebnet den Weg für neue, technologische Lösungen. Und dabei will das IT-Unternehmen mitverdienen. Zurzeit etwa werden einige tausend Senioren mit Überwachungs-Armbändern ausgestattet. Vor allem alleinstehende, chronisch Kranke und behinderte Personen, die in ländlichen Regionen leben.
"Das Projekt wird von der Kommunalregierung mitfinanziert. Es wurde ein ganz neues medizinisches Zentrum aufgebaut. Wir haben dafür die gesamte IT geliefert, auch die Armbänder kommen von uns. Und von dem Zentrum im Süden Krakaus werden nun ältere Patienten überwacht. In der Kooperation mit Ärzten und Krankenschwestern. Auch die Caritas ist daran beteiligt."
Finanziert wird das Projekt zu großen Teilen aus EU-Mitteln: Der Name des Programms: "Tele-Aniol" – "Tele-Engel".