900 Zuhörer kamen in den Dresdener Kulturpalast, um eine Diskussion zweier Schriftsteller über Meinungsfreiheit zu verfolgen. Allein das zeigt schon, welche Lunte da brennt. Es ist natürlich gut, wenn Veranstaltungen dieser Art stattfinden und wenn sich nicht nur Gleichgesinnte in abgeschirmten Hinterzimmern oder auf Facebook austoben. Und es war der Part von Durs Grünbein, solch vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu betonen: die Vorteile von Meinungspluralismus und einer demokratischen Öffentlichkeit, die Lust an Vielfalt und unterschiedlichen Erfahrungen. Umso auffälliger war, wie sich Uwe Tellkamp dagegen positionierte. Ein Schriftsteller, der vor einigen Jahren mit dem Roman "Der Turm" den Deutschen Buchpreis, also die publikumswirksamste Auszeichnung erhielt, fühlt sich in Deutschland missverstanden. Und wendet sich sogar affektiv gegen eine tonangebende "Mainstream-Presse", die unliebsame Meinungen nicht zu Wort kommen lasse.
Die Frage ist: Wie geht man mit so etwas um?
Das ist natürlich alles absurd. Schon ein Vergleich zwischen Leitartikeln etwa von Jasper von Altenbockum in der "FAZ" und von Heribert Prantl in der "Süddeutschen" zeigt ein Meinungsspektrum, das ausgedehnter kaum vorstellbar ist. Wer so etwas ignoriert, bekundet von vornherein, dass er es gar nicht wahrnehmen will, dass es hier nicht um Argumente geht. Der Hauptantrieb scheint vor allem die Bestätigung einer prekären Trotz- und Bunkermentalität zu sein. Und die Rede von den Flüchtlingen, deren Antrieb zu 95 Prozent nur darin bestünde, vom deutschen Sozialsystem profitieren zu wollen, entzieht sich auf dieselbe Weise den allgemein akzeptierten Diskussionsgrundlagen. Die Frage ist: Wie geht man mit so etwas um?
Ernst Jünger'sche Verwegenheitsfantasien
In Sachsen ist der Ausländeranteil lächerlich gering. Probleme mit Einwanderern gehören zweifellos nicht zu den bedrängendsten Alltagsproblemen in Dresden. Sie übernehmen in erster Linie die Funktion eines Sündenbocks. In weiten Teilen Ostdeutschlands existiert eine spezifische Opfermentalität, das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein, und so etwas wird politisch schnell explosiv. Uwe Tellkamp hat das mit Ernst Jüngerschen Verwegenheitsfantasien schon in seinem Roman "Der Eisvogel" vorgeführt, bevor er mit dem "Turm" ein ideales deutsches Geist-Bürgertum imaginierte, das es in der Geschichte so nie gegeben hat. Tellkamp ist zum literarischen Wortführer eines ostdeutschen Freund-Feind-Denkens geworden, und es rächt sich zunehmend, wie stark nach 1989 die Probleme der Vereinigung zwischen West und Ost unterschätzt worden sind. Die handelnden Politiker gingen davon aus, dass die freie Marktwirtschaft schon allein alles richten werde. Dass zu einer Demokratisierung nach einer Diktatur viel mehr gehört als Spekulationsgewinne und Wildwestkapitalismus, ging in der Euphorie der vermeintlichen Sieger der Geschichte unter.
Demokratie ist anstrengend
Dabei hätten die ersten Jahrzehnte der alten Bundesrepublik mit ihren zähen ideologischen Auseinandersetzungen als warnendes Beispiel dienen können. Auf das, was sich da jetzt im Osten zusammengebraut hat, reagiert man immer noch erschreckend hilflos. Das Verständnis für Tellkamps Tiraden und für sogenannte "berechtigte Sorgen der Bürger", hinter denen sich nur dumpfe Ressentiments verbergen, ist auf jeden Fall der falsche Weg. Demokratie ist anstrengend und muss immer wieder neu erkämpft werden. Das Problem ist nicht, ob und wie sich der Suhrkamp-Verlag von seinem Autor Uwe Tellkamp distanziert hat. Das Problem sind die Aussagen Uwe Tellkamps selbst.