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Tempelberg-Unruhen
"Deeskalieren müssen die Parteien vor Ort"

Seit einer Woche kocht um den Jerusalemer Tempelberg der israelisch-palästinensische Konflikt neu hoch. Die USA könnten da nicht schlichten, sagte Sylke Tempel, Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik", im Dlf. Die Streithähne vor Ort müssten ihre kompromisslosen Ansprüche aufgeben.

Sylke Tempel im Gespräch mit Silvia Engels |
    In der Altstadt von Jerusalem kam es nach den Zugangsbeschränkungen zum Tempelberg zu Auseinandersetzungen zwischen der israelischen Polizei und palästinensichen Gläubigen
    Palästinensern ist der Tempelberg wichtig als Freiraum ohne Kontrollen, Israelis füchten dort Waffenschmuggel, sagte Sylke Engels im Dlf. Im Bild: Ausschreitungen in der letzten Woche. (Ahmad GHARABLI / AFP)
    Silvia Engels: Eine Woche ist es her, dass drei arabischstämmige Israelis in der Nähe des Jerusalemer Tempelbergs zwei israelische Polizisten erschossen. Die israelischen Behörden reagierten mit einer Verschärfung der Sicherheitskontrollen für die Muslime, die zum Gebet auf den Tempelberg wollen. Die neuen Maßnahmen sehen auch Metalldetektoren vor und das führt seit Tagen immer wieder zu Unruhen mit Toten und Verletzten. Heute zu den Freitagsgebeten könnte sich die Lage noch einmal verschärfen, fürchten Beobachter.
    Das Auswärtige Amt hat dazu aufgerufen, die Altstadt von Jerusalem und die angrenzenden Ostjerusalemer Stadtviertel ab sofort zu meiden.
    Am Telefon ist Sylke Tempel. Sie ist die Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik", die die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik herausgibt. Und sie beobachtet die Nahostregion seit Jahren. Guten Tag, Frau Tempel.
    Sylke Tempel: Schönen guten Tag!
    Engels: Für den Beobachter in Europa ist es ja etwas schwer zu verstehen, warum eine zusätzliche Kontrolle durch Metalldetektoren, wie Israel sie nun gegenüber muslimischen Gläubigen praktiziert, tagelange Unruhen auslösen kann. Warum ist das so?
    Tempel: Weil da verschiedene Faktoren zusammenkommen. Das eine ist: Es gibt eine ganz komplizierte Verwaltungsstruktur für den Haram al Sharif alias Tempelberg. Unten ist ja die Klagemauer, oben ist die al-Aqsa-Moschee und der Felsendom. Die obere Hälfte, also das muslimische Heiligtum, steht unter Autorität des Waqs, der nun wiederum Jordanien verpflichtet ist. Die Palästinenser wollen es natürlich für sich und sagen, weder Jordanien, noch Israel hat da was zu suchen. So ist dieses Areal, das ja nicht besonders groß ist, in einer seltsamen Verwaltungsstruktur und dazu kommt natürlich, dass es auf der einen Seite schon eine ganz lange Delegitimierungsaktion der Palästinenser gibt, die sagen, hat mit einem jüdischen Heiligtum überhaupt nichts zu tun - wissen wir natürlich, dass das historisch nicht stimmt.
    Für viele ein wichtiger Freiraum
    Auf der anderen Seite gibt es viele Jerusalemer Palästinenser und die sind interessanterweise gerade die Aktiven, die sagen, dieses Areal, das grün ist, das anders ist, das ruhiger ist, ist eines der wichtigsten, wo wir die Besatzung nicht so sehr spüren. Deswegen regen sie sich auch so über die Metalldetektoren auf, weil sie sagen, immer werden wir kontrolliert sowieso, aber an diesem einen Ort sollt ihr uns nicht kontrollieren. Und die Israelis sagen natürlich wieder, ihr sitzt da oben und es werden oft nicht nur Steine nach unten geschmissen, sondern es werden natürlich auch unschöne Dinge da raufgeschmuggelt, und da müssen wir drauf achten, dass das nicht passiert, und deswegen haben wir Metalldetektoren da. Das ist die Gemengelage.
    Engels: Emotionale Aufladung – der Tempelberg, der ja nun auch noch für alle Seiten ein sehr heiliger Ort ist. – Dazu kommt nun auch noch die generelle Zugangsbeschränkung, dass heute nur muslimische Gläubige über 50 Jahre überhaupt auf den Tempelberg dürfen. Was wird das denn nun wieder in der palästinensisch-arabischen Gemeinde auslösen?
    Tempel: Das kennt man eigentlich schon ein bisschen. Das machen die Israelis im Grunde genommen immer, dass sie sagen, wenn es richtig heiß hergeht, lassen wir die jungen Männer da nicht rauf, weil es dann wirklich hoch hergeht.
    "Diese Verbohrung auf beiden Seiten"
    Und das Interessante ist: So was kann sich wirklich in kürzester Zeit entzünden. Das geht eine Weile hin und her, dann beruhigt es sich mal wieder, aber dann gibt es so einen Moment: Eine Flasche wird geworfen oder jemand glaubt, eine Flasche sei geworfen worden, oder überhaupt etwas sei geworfen worden, und zack gehen die Emotionen hoch, weil das einfach aus vielerlei Gründen – hatte ich ja eben geschildert – ein so emotionaler Ort ist. Deswegen hat man diese Zugangsbeschränkungen. Es wäre aber das erste Mal, dass das jetzt ein paar Mal hintereinander passiert, dass gerade das Freitagsgebet so eingeschränkt ist, und das ist natürlich auch noch mal ein empfindsamer Moment.
    Das was, glaube ich, daran einfach so unglaublich schwierig ist, ist diese Verbohrung auf beiden Seiten, dass Israelis immer hergehen und sagen, wir müssen jetzt mal dieses und jenes einführen. Und anstatt zu sagen, wir suchen uns ein paar Leute, mit denen wir das besprechen können, damit wir das vielleicht mal gemeinsam auf den Weg kriegen können, oder irgendeine Abmachung trifft, versucht man es von der Seite durchzuboxen, und daraufhin kommt natürlich von der anderen Seite das Zurückboxen. Die Israelis sind dann auch schon angefressen, weil seit Jahren diese Kampagne läuft, dass die Juden nichts mit dem Tempelberg zu tun hätten, was natürlich Quatsch ist. Hier wird einfach oft nicht deeskaliert oder einfach auch nicht weise gehandelt, und auch diese Regierung handelt gerade nicht so besonders weise.
    "Nachgeben? Wir doch nicht!"
    Engels: Darauf wollte ich zu sprechen kommen. Gestern sah es ja eine Zeit lang so aus, als könne man sich mit mehreren Seiten darauf einigen, dass man die Metalldetektoren abbaut. Warum hat sich denn der israelische Premierminister Netanjahu am Ende doch dagegen entschieden und stattdessen nun doch auf diese Eskalation gesetzt?
    Tempel: Aus zwei Gründen, die man wahrscheinlich nur nennen kann. Das eine ist, die sind tatsächlich wichtig. Ich sagte schon, es werden oft auch Dinge raufgeschmuggelt, die da nicht hingehören. Und man will natürlich vermeiden, dass dann auch mal Waffen mit dabei sind oder Messer. Das ist schon ein Sicherheitsmoment. Aber man hätte es auch anders hinkriegen können, indem man sich bespricht. Und dann kommt das zweite Moment dazu, und das heißt einfach: Nachgeben? – Wir doch nicht! Und das ist ja nun etwas, was man aus dem Nahen Osten als Dauerzustand und Dauermodus kennt: Nachgeben? – Wir doch nicht! Sollen doch die anderen nachgeben.
    Engels: Nun hat sich Palästinenserpräsident Abbas direkt an die Vereinigten Staaten gewandt. Er hat dort um Vermittlung gebeten in diesem speziellen Konflikt um den Tempelberg. Ist denn hier eine deeskalierende Rolle durch die Administration Trump und seinen Schwiegersohn Jared Kushner, der ja für diese Fragen zuständig ist, wahrscheinlich?
    Tempel: Eher nicht. Ich sehe jetzt auch nicht, warum die Trump-Administration, egal was man jetzt von der hält oder nicht hält, da eingreifen kann. Das ist auch einer der Fehler, der dort immer wieder gemacht wird. Anstatt einen Gesprächskanal offenzuhalten, der es auch einem Abbas ermöglicht, mit einer israelischen Regierung zu sprechen und zu sagen, wie kriegen wir die Kuh hier vom Eis, wird dann zugeguckt, dass man eine andere größere Macht mit einbezieht, um dem Gegner zu zeigen, dass er jetzt keine Chance mehr hat. So deeskaliert man natürlich nicht. Ich glaube auch nicht, dass die Trump-Administration oder Kushner da in irgendeiner Weise regulierend eingreifen kann. Sie ist mir ja noch nicht aufgefallen als eine Administration, die grundsätzlich ein Händchen für Deeskalation hätte.
    Konflikte müssen vor Ort gelöst werden
    Engels: Nun fallen die USA ja schon seit Monaten eigentlich als Akteur, der vermitteln könnte, ein wenig aus in diesem Konflikt. Gibt es denn irgendeinen anderen nationalen oder internationalen Vermittler, der genug Gewicht auf die Waage bringt, um diesen Konflikt rasch zu entschärfen?
    Tempel: Konflikte können am Ende - Die anderen können eigentlich immer nur Vermittler sein. Diesen Fehler machen wir grundsätzlich mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt, dass sowohl die Linke als auch die Rechte glaubt, man müsse nur die richtigen Partner finden, damit sie jeweils dem anderen sagen, was der zu tun hat. Nur kommen wir immer wieder darauf: Diese Konflikte müssen vor Ort ausgekaspert werden, und das ist genau das, wozu nicht gezwungen wird. Der Ansatz müsste eigentlich der sein:
    Jungs, Netanjahu und Abbas, ihr müsst das aussortieren. Wenn es dort ein Sicherheitsproblem gibt, dann muss Abbas eigentlich hergehen und seinen Leuten sagen, wir müssen dafür sorgen, dann können wir unter Umständen die Metalldetektoren haben, wir sehen zu, dass da nichts passiert, und es muss irgendeine Garantie dafür geben, und die Israelis hätten eigentlich seit dem Besuch von Arik Scharon auf dem Tempelberg, der nicht wirklich der Hauptauslöser, aber ein Mitauslöser der zweiten Intifada war, sagen müssen, jedes Mal, wenn wir versuchen, unsere knallharten Souveränitätsansprüche da durchzudringen, enden wir am Ende mit weniger, als wir vorher gehabt haben, richtig klug ist das auch nicht. Deeskalieren müssen die Parteien vor Ort und diejenigen, die vermitteln, müssen es diesen Parteien vermitteln, dass sie diejenigen sind, die verantwortlich sind, das wieder runterzubringen.
    "Es kann durchaus sein, dass es da jetzt knallt"
    Engels: Kurz zum Schluss: Mit welcher weiteren Entwicklung rechnen Sie denn realistischerweise?
    Tempel: Realistischerweise muss man im Nahen Osten eigentlich immer mit der rechnen, die am wenigsten schön ist. Es kann durchaus sein, dass es da jetzt knallt. Das heißt noch lange nicht, dass es eine dritte Intifada gibt. Und hoffen tue ich natürlich, dass man sich auf Einlenken beschränkt und sagt, lasst doch den Bürgern Jerusalems diesen einen Ort, an dem sie das Gefühl haben, da haben sie mal ein bisschen Ruhe.
    Engels: Sylke Tempel, Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik". Wir sprachen mit ihr über die sich zuspitzende Entwicklung am Jerusalemer Tempelberg. Vielen Dank!
    Tempel: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.