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Tempelstreit im indischen Ayodhya
Jubel bei Hindus, Protest bei Muslimen

Indien ist eine säkulare Demokratie, die aber auch von Religionskonflikten erschüttert wird: etwa wegen eines umstrittenen Geländes in Ayodhya. Dort darf nun ein Tempel gebaut werden. Das haben die Obersten Richter entschieden. Wie reagieren Muslime und Hindus auf das Urteil?

Von Bernd Musch-Borowska |
Hindus aus Ayodhya feiern die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs
Hindus aus Ayodhya feiern die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (imago images / Hindustan Times / Deepak Gupta)
Die Hindus in Indien freuen sich über die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes. Alle Seiten, Hindus und Muslime sollten zufrieden sein, so Vishnu Shankar Jain, der Anwalt der Hindus vor Gericht, nach der Urteilsverkündung:
"Das Gelände wurde den Hindus zugesprochen. Die Regierung soll eine Treuhandgesellschaft gründen, die das Gelände verwaltet. Die Muslime werden zwei Hektar Land an einer anderen Stelle erhalten."
Ayodhya gilt als der Geburtsort des Gottes Rama, eine der bedeutendsten Gottheiten des Hinduismus. Auf dem seit Jahrzehnten umstrittenen Gelände hatte seit dem 16. Jahrhundert eine Moschee gestanden, bis diese 1992 von radikalen Hindus zerstört wurde.
"Wir lassen uns nicht mit Almosen abspeisen"
Die einstige Babri-Moschee sei seinerzeit auf den Ruinen eines Hindu-Tempels gebaut worden, stellte der Oberste Gerichtshof fest und bezog sich dabei auf die Ergebnisse einer umstrittenen archäologischen Untersuchung. Damit bestätigten die obersten Richter den Anspruch der Hindus auf das Gelände. Die Muslime wiederum, so hieß es, hätten keine Nachweise für ihren Besitzanspruch vorlegen können.
Die Babri Moschee in Ayodhya wurde im Dezember 1992 von fundamentalistischen Hindus zerstört.
Jubelnde Hindus auf der Kuppel der eroberten Moschee: Am 6. Dezember 1992 zerstörten radikale Hindus die 1528 erbaute Babri-Moschee in Ayodhya, um an deren Stelle einen Tempel zu errichten. Die dadurch entstandenen Unruhen forderten im ganzen Land rund 1.200 Menschenleben. (picture alliance / ANN)
Die indischen Muslime sehen das anders, wollen die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes überprüfen lassen. Asaduddin Owaisi, ein muslimischer Oppositionspolitiker aus Hyderabad:
"Die Muslime in Indien sind zu schwach und werden diskriminiert, das ist offensichtlich. Aber wir sind nicht so schwach, dass wir uns nicht selbst zwei Hektar Land kaufen könnten, um ein Haus für Allah zu bauen. Wir haben für unser Recht gekämpft und lassen uns nicht mit Almosen abspeisen."
Initiative ging von Hindu-Nationalisten aus
Begonnen hatte die geradezu fanatisch geführte Kampagne für den Bau eines Tempels in Ayodhya in den 1980er-Jahren. Die heutige Regierungspartei BJP unter Premierminister Narendra Modi war damals eine kleine hindu-nationalistische Bewegung ohne großen politischen Einfluss. Zusammen mit ihrer straff organisierten Untergruppierung RSS organisierten die BJP-Führer einen Marsch von Gujarat im Westen Indiens, durch das ganze Land, bis nach Ayodhya. Sie forderten die Vertreibung der Muslime vom Geburtsort des Gottes Rama und den Bau eines Tempels.
Der RSS, der sich für die Errichtung eines Hindu-Nationalstaates in Indien einsetzt, das nach seiner Verfassung eigentlich ein säkularer Staat ist, ist eine rechte nationalistische Gruppierung, deren öffentliche Auftritte an Nazi-Aufmärsche in Deutschland in den 30er-Jahren erinnern. Ihr Anführer Mohan Bhagwat forderte einen baldigen Beginn des Tempelbaus:
"Wir sind zuversichtlich, dass die Regierung schnell die Initiative ergreift und die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes umsetzt. Wir sollten die Vergangenheit hinter uns lassen und unserer Verpflichtung nachkommen, am Geburtsort unseres Gottes Rama einen Tempel zu bauen."
Tempelbau schon vorbereitet
Auch Modi begrüßte die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes für den Tempelbau in Ayodhya, rief aber gleichzeitig zu Frieden und Harmonie auf:
"Das ist kein Anlass für Bitterkeit oder andere negative Gefühle. Der Oberste Gerichtshof hat alle Seiten angehört und eine Entscheidung im Konsens mit allen Seiten getroffen. Dies sollte alle Inder näher zusammen rücken lassen."
Vorbereitungen für umstrittenen Hindu-Tempelbau aus dem Jahr 1998
Vorbereitungen für umstrittenen Hindu-Tempelbau gab es schon im Jahr 1998 (AFP-MANORAMA/epa/Jayachandran)
Am Geburtsort von Rama in Ayodhya ist inzwischen alles vorbereitet für den Bau eines Tempels. Auf einem riesigen Bauhof, gleich neben dem umstrittenen Gelände, lagern Hunderte Säulen, Deckenfresken und Marmorblöcke - sortiert und durchnummeriert. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes solle umgehend mit dem Bau begonnen werden, sagt Sharad Sharma, der Leiter des Bauhofs, während er vor einem großen Glaskasten das Holzmodell des künftigen Tempels, Ram Mandir, präsentiert.
"Der Tempel wird rund 80 Meter lang und 42 Meter breit sein und eine Höhe von 39 Metern haben. Auf der unteren Ebene wird es 108 Säulen geben, und 106 auf der oberen. Und auf all diesen Plattformen hier sollen insgesamt 16 Statuen von Lord Rama stehen."
BJP-Mitglieder an Moschee-Zerstörung beteiligt
Die Zerstörung der Babri-Moschee im Jahr 1992 sei illegal gewesen, stellten die Obersten Richter fest. Unklar ist noch, ob das zu einer Strafverfolgung von Teilnehmern oder Anführern der Aktion führen wird. Führende Mitglieder der heutigen Regierungspartei BJP waren daran beteiligt, unter anderem der heute 92-jährige langjährige Vorsitzende der Bharatiya Janata Partei, Lal Krishna Advani.