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Tempo, kleine Schnecke!

Umwelt. - Der Klimawandel bringt die Ökosysteme der Erde in Bewegung. Mit steigenden Temperaturen verlagern Tiere, teilweise auch Pflanzen ihren Lebensraum nach Norden oder in höhere Regionen der Berge. Eine Studie in "Science" belegt nun, dass die durchschnittliche Geschwindigkeit der tierischen Umsiedler wesentlich höher ist, als bislang gedacht.

Von Volker Mrasek |
    Die Reaktion auf steigende Temperaturen spielt sich in zwei Dimensionen ab. Es gibt Tiere und Pflanzen im Flachland, die dehnen ihr Territorium polwärts aus, in Richtung höherer und damit kühlerer geographischer Breiten. Und es gibt Arten im Gebirge, die wandern gipfelwärts und erobern so gleichfalls Gefilde, die kühler sind. Wie stark dieser Ausbreitungstrend schon heute ausgeprägt ist, haben die britischen Forscher in ihrer neuen Studie berechnet. Chris Thomas, Professor für Biologie und Naturschutz an der Universität York in England:

    "Das letzte Mal wurde eine solche Studie im Jahr 2003 vorgelegt. Damals hat man noch abgeschätzt, dass Arten im Schnitt sechs Kilometer pro Jahrzehnt polwärts wandern. Inzwischen liegen viel mehr Daten vor, und wir kommen jetzt auf einen Wert von 17 Kilometern pro Dekade. Das heißt: Arten bewegen sich fast dreimal schneller."

    Ein ähnliches Bild bei Flora und Fauna des Gebirges, wo die Temperatur mit der Höhe abnimmt:

    "Hier bewegen sich Arten im Mittel zwölf Meter pro Jahrzehnt bergauf. Das ist doppelt so viel wie nach der alten Schätzung. Es kann nun wirklich keinen Zweifel mehr daran geben, daß Arten ihren Verbreitungsraum ausdehnen - in Richtung größerer Höhen beziehungsweise höherer Breitengrade."

    Die neue Arbeit von Chris Thomas und seinen Kollegen ist eine sogenannte Meta-Analyse. Dafür werteten sie mehr als 50 Studien über den Klimawandel und seine Folgen für Pflanzen und Tiere aus. Verschiedene Forschergruppen hatten sie in jüngerer Zeit veröffentlicht. Am häufigsten wurden dabei Insekten untersucht. Der Biologe David Roy vom Zentrum für Ökologie und Hydrologie im englischen Wallingford:

    "Es gibt eine Reihe von Schmetterlingsarten, die sich sehr rasch nordwärts in Europa ausbreiten. In England genauso wie in Deutschland zum Beispiel. Ein gutes Beispiel ist der C-Falter. Er kommt heute in Schottland vor, obwohl er seine Heimat eigentlich in Mittelengland hat. Dieser Schmetterling ist innerhalb von rund 20 Jahren etwa 200 Kilometer nach Norden vorgestoßen."

    Die britischen Biologen werten ihre Studie als Beleg dafür, dass der Klimawandel Flora und Fauna längst stark beeinflusst. Es gibt allerdings auch Arten, die ihr Territorium kaum erweitert haben, manche sogar überhaupt nicht ...

    "Einige Arten sind nicht imstande, sich auszubreiten. Sei es, weil sie spezielle Ansprüche an ihren Lebensraum haben, die sich weiter im Norden nicht erfüllen lassen. Sei es, weil sie nicht so mobil sind wie etwa der C-Falter, der sich rasch neue Lebensräume erschließt, sofern ihm die Bedingungen dort genehm sind."

    Grundsätzlich ist es kein schlechtes Zeichen, wenn Pflanzen und Tiere so mobil auf die Erwärmung reagieren. Zeigt es doch, daß sie anpassungsfähig sind und sich ziemlich rasch auf eine Verschiebung von Klimazonen einstellen können. Allerdings gebe es Grenzen der Mobilität für Flora und Fauna, warnt Chris Thomas:

    "Vor allem viele seltene Arten haben kaum Ausweichmöglichkeiten. Manchmal beschränkt sich ihr Lebensraum auf die obersten hundert Meter eines Berges. Solche Arten sind langfristig ernsthaft gefährdet."

    Die meisten der analysierten Studien stammen aus Europa und Nordamerika, einige wenige aus Bergwäldern der Tropen. Untersuchungsergebnisse aus der Südhemisphäre fehlen dagegen weitgehend. Fehlanzeige auch im tropischen Flachland. Ausgerechnet dort ist der Artenreichtum aber am höchsten. Diese Datenlücken, das wünschen sich die Biologen, sollten so bald wie möglich geschlossen werden. Denn erst dann könne man sich ein vollständiges Bild über die Folgen des Klimawandels für Flora und Fauna machen.