Musik mit dröhnenden Bässen, die Aussicht auf Meer, tanzende junge Männer und Frauen – im normalen Leben ein gewöhnliches Bild, zu Coronazeiten eher nicht. Aber dass einer der Tanzenden der deutsche Tennisprofi Sascha Zverev ist, das erzürnt die Gemüter innerhalb und außerhalb der Tenniswelt. Abgespielt hat sich die Szene offenbar in einem Club bei Monte Carlo, hochgeladen in die Instagram-Story des deutschen Designers Philipp Plein. Das Video hat Plein am Sonntag (28.06.2020) auf Instagram veröffentlicht, mittlerweile ist die entsprechende Szene gelöscht.
Noch vor einer Woche hatte Zverev angekündigt, sich nach der Adria Tour, infolge derer mehrere Spieler positiv auf Covid-19 getestet wurden, in Quarantäne zu begeben. Er schrieb: "Ich entschuldige mich bei allen, die ich potenziell gefährdet habe, indem ich diese Tour spielte."
Eigentlich gilt für das Coronavirus eine mögliche Inkubationszeit von 14 Tagen. Die hätte Zverev mit seinem Ausflug in die monegassische Clubszene definitiv nicht eingehalten.
Zverevs australischer Profikollege Nick Kyrgios machte seinem Ärger wiederum in seiner eigenen Instagram-Story Luft: "Sascha, wieder und wieder... Wie egoistisch kann man sein? Wenn man sich schon über seinen Manager bei der Öffentlichkeit entschuldigt, bleib wenigstens zu Hause."
Grund für Zverevs Quarantäne war die Adria Tour, ein Turnier in vier Balkanländern, das ursprünglich auf vier Wochen verteilt ausgetragen werden sollte. Doch nach der zweiten Station in der kroatischen Stadt Zadar wurde die Adria Tour abgebrochen. Vier Spieler hatten sich bis dato infiziert: Der Organisator und Gesicht der Veranstaltung, Novak Djokovic, Grigor Dimitrov, Borna Coric und Viktor Troicki. Unter anderem infizierten sich auch Djokovics Frau und dessen Trainer, Goran Ivanisevic. Es folgten reumütige Stellungnahmen:
"Niemand hätte selbst in einem Worst-Case-Szenario ahnen können, dass dies passieren würde. Wir haben entsprechend der Vorgaben gehandelt. Das Coronavirus ist unvorhersehbar und wir können es nur mit Gottes Hilfe bekämpfen", heißt es in der Stellungnahme von Neven Nakić, dem Cheforganisator der Adria Tour in Zadar und Vizepräsidenten des kroatischen Tennisverbands. ⠀
Djokovic selbst schrieb zu seinem positiven Coronatest, die Adria Tour sei aus einer philantropischen Idee heraus geboren worden, um Geld für Menschen in Not zu sammeln. Die Organisation habe zu einem Moment stattgefunden, in dem das Virus geschwächt gewesen sei - im Glauben, dass die Voraussetzungen für die Tour erfüllt gewesen seien.
Während der ersten Station in der serbischen Hauptstadt Belgrad hatte der Weltranglistenerste Djokovic noch selbst Videos gepostet, die ihn feiernd und singend Arm in Arm auf einer Party zeigen. Außerdem wurden Bilder von Djokovic und den anderen Tennisprofis beim Fußballspielen, bei Umarmungen und in großen Gruppen öffentlich. Beim Turnier selbst waren die Zuschauerränge gut gefüllt. Verwunderung darüber hatte er als "Kritik speziell aus dem Westen" abgetan und auf die niedrigen Infektionszahlen in Serbien verwiesen.
Doch inzwischen hat das Balkan Investigative Reporting Network veröffentlicht, dass zweieinhalb Mal so viele Menschen mit oder an Covid-19 gestorben sind und dass sich zuletzt mit 300 Menschen pro Tag drei Mal so viele Menschen infizierten wie offiziell bekannt. Grund könnte die Parlamentswahl gewesen sein, die die serbische Regierung unter allen Umständen durchführen wollte.
Djokovic "in die Irre geführt"
Vor knapp drei Wochen drängten sich beim serbischen Pokal-Halbfinale zwischen Partizan und Roter Stern 20.000 Zuschauer im Stadion in Belgrad. Auch darüber wurde international lebhaft diskutiert.
Der serbische Epidemiologe Zoran Radovanović sagte dem serbischen Fernsehsender "Nova", Djokovic sei von der Regierung aufs Glatteis geführt worden. Die epidemiologische Situation sei viel schlimmer gewesen als man ihm habe weismachen wollen. Es sei seine Schuld, dass er so leichtgläubig gewesen sei. Er habe sich nicht vorstellen können, dass der Staat ihn so in die Irre führe. Die politisch Verantwortlichen wiederum hätten sich keine Gedanken darüber gemacht, dass sie Spieler und Öffentlichkeit gefährdeten.
Der frühere französische Tennisprofi Jean-François Caujolle geht härter mit Djokovic ins Gericht. Ihm zufolge erhebe sich Djokovic über die Gesetze der Natur, wie er der Zeitung "L’Équipe" sagte. Das habe nichts mit persönlicher Unreife zu tun. Djokovic übe einem Guru ähnlich psychischen Druck auf andere aus. "Er ist jemand, der schädlich sein kann."
ATP reagiert nicht auf die Adria-Tour
In Serbien wurde erst vor einer Woche die Einführung einer Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln beschlossen. Laut Auswärtigem Amt wird das "Einhalten von Abstandsregeln empfohlen". Diese im Vergleich zum Rest Europas noch immer recht lockeren Vorgaben entschuldigen das Verhalten der Tennisprofis zwar nicht. Allerdings bewegten sie sich damit auch nicht außerhalb des Gesetzes.
Die ATP, Ausrichterin der höchstklassigen Männer-Profiturniere, hat sich bisher mit Äußerungen zum Verhalten ihrer Profis zurückgehalten. Auf eine Anfrage des Deutschlandfunks, in der unter anderem konkret das Verhalten der Teilnehmer der Adria Tour und mögliche Strafen für die Spieler Gegenstand waren, verwies die ATP auf ein allgemeines Frage-und-Antwort-Dokument. Dort wiederum geht die Organisation nur auf allgemeine Bedenken bei dem Wiederbeginn der ATP-Tour und nicht auf die Adria Tour ein.
In ihrem Code legt die ATP Regeln für das Verhalten auf dem Tennisplatz akribisch fest. Die Adria Tour wurde außerhalb ihrer Strukturen ausgerichtet, was ein Grund dafür sein könnte, wieso man sich mit Äußerungen zurückhält. Dennoch dürfte man dort nicht gerade vom Umgang einiger Tennisprofis mit dem Coronavirus begeistert sein.
Rittner: "Absurde" US Open in New York
Denn die ATP Tour selbst soll bald fortgeführt werden. Der Beginn der US Open ist für den 31. August geplant, die French Open beginnen laut ATP am 27. September. Rafael Nadals Onkel und langjähriger Trainer Toni Nadal sagte dem lateinamerikanischen Fernsehsender ESPN Deporte, der Zeitplan sei "unrealistisch, insbesondere für erfahrene Spieler, die nicht so viele Wochen nacheinander antreten können. Der schottische Profi Andy Murray kritisierte die fehlende Vorbereitungszeit beim Wechsel von Hartplatz auf Sand auf der Tour.
Und natürlich bleibt auch das Coronavirus Thema. Deutschlands Frauen-Teamchefin Barbara Rittner sagte im NDR, sie persönlich hätte sich gewünscht, dass die US Open vom Corona-Hotspot New York an einen anderen Ort verlegt würden. "Es ist für mich ein ganz komisches Gefühl, dort hinzureisen ein paar Wochen später und so zu tun, als sei nichts und ein Tennisturnier zu spielen. Das finde ich geradezu absurd."
Im Tennis wird der Sinn des Neustarts der Saison nun, nach den negativen Erfahrungen mit der Adria Tour, noch leidenschaftlicher diskutiert.