Jürgen Zurheide: Wie sieht die Sicherheit in Deutschland aus? Über dieses Thema wollen wir jetzt reden und zum Beispiel fragen in einer deutschen Großstadt, Essen zum Beispiel, knapp 600.000 Einwohner und ein Weihnachtsmarkt, Fußballspiele, all das ist Normalität. Am Telefon begrüße ich den Polizeipräsidenten der Stadt Essen Frank Richter, guten Morgen, Herr Richter!
Frank Richter: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Richter, Sie haben in dieser Woche den Weihnachtsmarkt in Essen eröffnet. Mit welchen Gefühlen?
Richter: Mit ganz normalen Gefühlen. Wir dürfen uns da wirklich nicht in eine Panik begeben, die einer zwar abstrakten und ernsthaften Gefahr entgegensteht, aber ohne dass wir als Polizei auch ganz konkrete Erkenntnisse haben in der Frage eines Anschlages.
Zurheide: Jetzt könnte ich sagen, das ist so ein bisschen Pfeifen im Walde, denn alle Welt ringsum sagt, da ist eine Gefahr, auch wenn sie nicht ganz konkret ist, eben weil wir nicht genau wissen, wo möglicherweise irgendetwas passieren wird. Wo kommt man so von abstrakt zu konkret und wie gehen Sie da vor Ort mit um?
Richter: Der Weg von der abstrakten zur konkreten Gefahr liegt für uns immer dann vor, wenn wir ganz konkrete Erkenntnisse haben. Für uns ist es momentan so, dass selbstverständlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Staatsschutzes wirklich hoch professionell arbeiten, wir haben eine Vielzahl von Hinweisen, leider Gottes auch ganz, ganz viele Trittbrettfahrer, die versuchen, also diese schrecklichen Ereignisse in Paris zu nutzen, um sich selber in den Vordergrund zu stellen, wir arbeiten hier wirklich sehr gut, sehr gut auch zusammen mit den anderen Sicherheitsbehörden, das macht auch die Polizei in Deutschland aus. Wir haben hier sehr kurze Wege, ob das die Länderpolizeien sind oder die Bundespolizeien sind oder andere Sicherheitsorgane, und wir werden erst dann handeln, wenn wir wirklich Erkenntnisse haben, die dafür sprechen, dass wirklich diese abstrakte Gefahr in eine konkrete Gefahr sich umwandelt.
Zurheide: Sie haben gerade angesprochen, dass die Zusammenarbeit der verschiedenen Polizeibehörden besser geworden ist, es gibt ja auch so etwas wie ein nationales Terrorzentrum. Ist das aus Ihrer Sicht wirklich so effektiv, wie es sein sollte? Denn gerade in Frankreich haben wir jetzt doch die eine oder andere Kritik auch an den Behörden gehört und die Hinweise bekommen, na ja, da werden nicht alle Informationen weitergegeben, so wie man sich das wünschen würde.
Richter: Ich glaube, jedes System ist noch verbesserungswürdig, aber insgesamt – das hat auch die Vergangenheit gezeigt – läuft dieser Austausch sehr, sehr gut. Wir sind ja häufig kritisiert worden, eben Länderpolizeien, Bundespolizei und vieles andere mehr, aber bisher funktioniert dieses System. Wie gesagt, es ist immer verbesserungswürdig in vielen Bereichen, dafür sind die Aufgaben teilweise auch zu unterschiedlich zwischen Verfassungsschutz und Polizei. Aber der Austausch in diesen Situationen läuft sehr, sehr gut.
Fußballstadien sind "weiche Ziele"
Zurheide: Wir haben gestern das erste Fußballspiel der Bundesliga wieder gehabt, an diesem Wochenende werden auch viele Spiele stattfinden, gestern hat es ein bisschen länger gedauert, weil man mehr kontrolliert. Kann man mit den Kontrollen schon so viel erreichen oder braucht es am Ende das, worüber auch diskutiert wird, Körperscanner an Fußballstadien? Können Sie sich das vorstellen?
Richter: Also, ich hätte mir vor einiger Zeit auch die schrecklichen Vorfälle in Paris nicht vorstellen können oder vorher in London und Madrid. Der Terrorismus hat natürlich immer das Interesse, größtmögliche Unsicherheit zu verbreiten. Da sind natürlich Fußballspiele, wo viele Menschen zusammenkommen, sogenannte weiche Ziele ... Wir haben ein besonderes Augenmerk bei den Fußballspielen, ähnlich wie auf Weihnachtsmärkten und Großveranstaltungen. Man kann alles nicht verhindern, es gibt da keine 100-prozentige Sicherheit, aber wir sind da sehr, sehr wachsam. Sicherlich wird das eine oder andere etwas länger dauern, jetzt was die Frage von Einsatzkontrollen und vielem anderen mehr angeht, aber wir müssen uns auch dieser Unsicherheit stellen, die die Menschen eventuell teilweise haben. Das tun wir, indem wir präsent sind. Allerdings, man sieht auch hier, dass die Fußballspiele besucht werden, die Menschen lassen sich hier in Deutschland nicht einschüchtern.
Zurheide: Es gibt eine weitere Diskussion, ob die Polizei ausreichend ausgerüstet ist. Braucht man so was wie Sturmgewehre – es hat da erste entsprechende Diskussionen gegeben – oder Maschinenpistolen oder ich weiß nicht was? Können die Kollegen, wenn es eine solche Lage gibt, Kolleginnen sich wirklich so verteidigen, wie es notwendig wäre?
Richter: Die Diskussion kommt natürlich in der Frage der Ausrüstung immer sofort auf. Mir ist ein Punkt ganz, ganz wichtig, und zwar was die passive Sicherheit angeht. Was wir auf jeden Fall brauchen, ist, weil wir eine ganz andere Bedrohung haben, die Terroristen gehen mit AK-47-Sturmgewehren vor, das sind Kriegswaffen. Das ist nicht das, was ein normales polizeiliches Gegenüber im Grunde genommen einsetzt. Was wir brauchen, ist – und ich kann das nur für das Land Nordrhein-Westfalen sagen, darauf ist schon reagiert worden –, wir brauchen andere Schutzwesten, damit wir die Kolleginnen und Kollegen, die wir in die Einsätze schicken, so sicher wie möglich halten. Wir verfügen über Maschinenpistolen, ich will auch so ein ... Man muss das wirklich mit Augenmaß machen. Eine Aufrüstung hat auch immer Gefahren, wo enden sie am Ende, wo hört das dauerhaft auf? Man muss wirklich mit Augenmaß an diese Sache gehen. Was für mich in erster Linie wichtig ist, ist die Sicherheit meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und hier müssen wir zumindest das eine oder andere noch nachjustieren.
Zurheide: Habe ich jetzt verstanden, haben Sie diese Westen schon oder brauchen Sie die noch?
Flüchtlingsstraftaten sind in Essen/Mülheim gering
Richter: Nein, wir haben diese Westen vor allen Dingen für den Bereich der Spezialeinheiten, aber wir haben es ja in Paris gesehen, als Erstes am Tatort sind nicht Spezialeinheiten, sondern die normalen Kolleginnen und Kollegen im Streifendienst. Hier müssen wir da eine oder andere nachbessern. Wir verfügen über Schutzwesten, aber bei einem Einsatz eines AK-47-Sturmgewehrs sind die nicht so sicher wie Schutzwesten, die eine andere Schutzklasse haben.
Zurheide: Lassen Sie uns zum Schluss noch ein anderes Thema ansprechen, was auch immer wieder in dieser Woche eine Rolle gespielt hat: die Kriminalität und die Belastung der Polizei durch möglicherweise Kriminalität im Flüchtlingsbereich, der Flüchtlinge selbst. Da hat das BKA, ich will nicht sagen: Entwarnung gegeben, Sie haben in Essen auch entsprechende Zahlen vorliegen. Ganz kurz, wie sieht das bei Ihnen aus?
Richter: Wir können die Zahlen heruntergebrochen auf die Städte Essen und Mülheim – wir haben circa 5.000 Flüchtlinge momentan in diesen beiden Städten – bestätigen. Es gibt Straftaten, es gibt auch Einsätze. Aber die sind so gering, dass sie im Grunde genommen nicht ins Gewicht fallen. Was wir real haben, ist eine erhöhte Einsatzbelastung, weil wir selbstverständlich auch die jeweiligen Flüchtlingseinrichtungen beschützen, wir patrouillieren sie, aber ...
Zurheide: Das heißt, nicht die Flüchtlinge sind das Problem, sondern die, die gegen die Flüchtlinge vorgehen.
Richter: Das ist der Punkt, warum wir eben hier Streife fahren. Wir möchten also keine Bilder haben in unserer Stadt wie in einigen anderen Städten, dass es also da wirklich zu fremdenfeindlichen und flüchtlingsfeindlichen Aktionen kommt. Das belastet uns. Aber insgesamt, was die Frage von Straftaten angeht, und man muss sich natürlich immer auch anschauen in der Frage der Statistiken, ist es dann ein Straftäter oder ist es nur der Beschuldigte, also, ob es nachher wirklich dann zu einer Strafe kommt, ist ein ganz, ganz anderer Punkt ... Also, hier ist das mehr oder weniger zu vernachlässigen und man kann sagen, dass die Flüchtlinge aus Kriegsgebieten so gut wie nicht daran beteiligt sind.
Zurheide: Wir laufen auf die Nachrichten zu, ich bedanke mich bei Frank Richter, dem Polizeipräsidenten aus Essen, für diese Einsichten um 6:58 Uhr. Danke schön, auf Wiederhören!
Richter: Bitte!
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