Krause ist Professor an der Universität Kiel. Er betonte, bei Ereignissen wie dem von München stelle sich immer die Frage: "Wie reagieren wir?" Er habe etwa ARD und ZDF geschaut und das "schlimm" gefunden. Es habe über lange Zeit nichts zu berichten gegeben, daher habe sich vieles im Konjunktiv abgespielt.
Hinzu kämen die Falschmeldungen in den sozialen Medien wie Facebook und Twitter. Grundsätzlich wolle er diese Medien nicht kritisieren. Sie seien aber ambivalent zu beurteilen: Auf der einen Seite könnten sie zwar authentische Informationen liefern. Auf der anderen Seite böten sie aber auch Raum für viel "Müll", wie er es nannte. Gestern Abend seien die sozialen Medien von Menschen missbraucht worden, um Falschmeldungen unterzubringen.
Zu den Sicherheitskräften sagte Krause, sie seien gut vorbereitet gewesen und hätten gezeigt, was sie können. Es sei eine Leistung, in wenigen Stunden 2.300 Kräfte in München zusammenzuziehen.
Das Interview in voller Länge:
Martin Zagatta: Verbunden sind wir jetzt mit Professor Joachim Krause, er ist der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Guten Morgen, Herr Krause!
Joachim Krause: Guten Morgen, Herr Zagatta!
Zagatta: Herr Krause, 2.300 Polizisten waren da gestern im Einsatz, die GSG 9 wurde hinzugezogen, die Sondereinheit der Bundespolizei. Hat es aus Ihrer Sicht einen solchen Einsatz, etwas Vergleichbares in Deutschland schon einmal gegeben?
Krause: Nee, also das ist in dieser Größenordnung etwas Neues, und ich weiß halt nicht, ob das tatsächlich gerechtfertigt gewesen ist, aber die Polizei hatte wohl in München Grund zu der Annahme, dass es mehrere Täter sein könnten, und deswegen sind sie auf Nummer sicher gegangen, aber ich fand das schon ein bisschen sehr viel.
"Wir müssen lernen, Gelassenheit zu entwickeln"
Zagatta: Aber das Szenario war ja, auch als die meisten von uns da um Mitternacht irgendwann oder danach ins Bett gegangen sind, dass man immer noch davon ausging, drei schwer bewaffnete Täter möglicherweise sind da in der Stadt unterwegs, bedrohen die Bevölkerung, die sollte zu Hause bleiben. Ist das nicht das Szenario, auf das sich die deutschen Sicherheitsbehörden mittlerweile vorbereiten? Man hat ja da offensichtlich bis zu diesem Zeitpunkt dann einen terroristischen Anschlag auch befürchtet.
Krause: Ja, das ist eigentlich der Hintergrund. Alle Welt wartet drauf, dass demnächst so ein Anschlag wie in Brüssel oder Paris bei uns geschieht, und dann werden natürlich die großen Kaliber gezogen. Tatsächlich war es dann doch wahrscheinlich "nur" ein Amokläufer, bei dem man noch gar nicht weiß, aus welchen Gründen er gehandelt hat, aber es ist so die Frage, die wir uns stellen müssen.
Natürlich sind solche Anschläge möglich, und sie sind sehr wahrscheinlich, aber wie reagieren wir eigentlich drauf und wie gelassen sollten wir da eigentlich sein. Gestern Abend habe ich den Eindruck gehabt, die Gelassenheit fehlte, auch gerade bei den Medien. Ich hab mir drei Stunden ARD angetan und noch mal kurz ZDF, es war schlimm, muss ich sagen, weil es gab eigentlich nichts zu berichten, und es wurde eigentlich nur im Konjunktiv gesprochen.
Das bringt eigentlich nicht viel, es führt nur dazu, dass manche Leute, die Selbstmord begehen wollen oder Anschläge begehen wollen, eigentlich sich sagen, Mensch, da kann ich mit relativ wenig Einsatz relativ großen Erfolg erzielen. Wir müssen also mal lernen, Gelassenheit zu entwickeln, das haben wir hier in Deutschland überhaupt nicht.
"In erster Linie habe ich die Hysterie der Medien erlebt"
Zagatta: Also Gelassenheit bei den Medien, da stimme ich Ihnen voll uneingeschränkt zu, darum bemühen wir uns auch, aber bei der Polizei ist es da nicht etwas anderes? Da kann man ja schlecht gelassen bleiben, wenn man Meldungen bekommt, dass möglicherweise drei, vier Attentäter in einem Einkaufszentrum schießen auf Leute. Wie kann man in so einem Moment gelassen bleiben, das geht doch gar nicht.
Krause: Ja, Sie müssen natürlich gelassen bleiben, und ich glaube auch, dass die Polizei dort weitgehend gelassen geblieben ist, also zumindest die Vertreter, die man sehen konnte, die waren eigentlich immer ganz ruhig. Wenn es solche Hinweise gibt, muss die Polizei dem nachgehen …
Zagatta: Ich meine jetzt auch Aktionen, also man muss ja dann relativ schnell handeln und auf das Schlimmste vorbereitet sein.
Krause: Klar, man muss handeln, man muss alle Möglichkeiten einbeziehen, weil wenn dann tatsächlich was Schlimmes ist und man ist nicht gelassen, sondern, ich sag mal, zu nachlässig gewesen, dann ist die Polizei natürlich sofort dran. Das heißt, ich kann verstehen, dass die Polizei sagt, wir müssen davon ausgehen, dass mehrere schwer Bewaffnete durch den Ort gehen, durch München gehen, und da muss man dann eben Vorsorge treffen.
Mit solchen Sachen muss man leider heute rechnen, das ist nicht auszuschließen. Insofern würde ich sagen, die Polizei war gelassen, aber sie war auch alarmiert. Ich wollte auch jetzt die Kritik nicht auf die Polizei ausweiten, weil in erster Linie habe ich jetzt mal die Hysterie der Medien erlebt, und die, muss ich sagen, war nicht besonders gut.
"Soziale Medien sind für Falschmeldungen missbraucht worden"
Zagatta: Es hat ja gestern Abend immer wieder Meldungen gegeben, die die Polizei dann auch ernst genommen hat, es gäbe weitere Schießereien, von Schießereien am Marienplatz war die Rede, teilweise sogar mal von einer Geiselnahme. Die Polizei hat darauf sogar auch reagiert, hat dann jedes Mal gemeldet, man habe dort Einsatzkräfte hingeschickt, hat das ernst genommen. Wie erklären Sie sich diese Panik?
Krause: Ja, das liegt an den neuen sozialen Medien. Ich hab mir gestern Abend auch mal so verschiedene Medien angeschaut, und es sind ja lauter Falschmeldungen dabei. Dann sieht man Bilder, angeblich aus München, tatsächlich sind das Bilder aus Beirut oder sonst wo gewesen, da machen sich manche Leute den Spaß und stellen bei Facebook oder Twitter oder anderswo irgendwelche Meldungen ein und freuen sich nachher, wenn das im Fernsehen erwähnt wird.
Und das ist ja in einer Phase, in der sozusagen jedes Körnchen Information aufgenommen wird, natürlich eine Riesenversuchung. Also was wir gestern Abend erlebt haben, ist gerade, dass die neuen sozialen Medien missbraucht worden sind von Leuten, die gesagt haben, och, jetzt könnte ich doch mal vielleicht sehen, ob ich jetzt irgendeine Falschmeldung noch mal unterbringe.
Soziale Medien: "Da ist eine Menge Müll mit dabei"
Zagatta: Auf der anderen Seite hat die Polizei offenbar auch wichtige Informationen durch soziale Medien bekommen, durch Videos, die ihr zugespielt worden sind. Das ist eine zwiespältige Sache, oder?
Krause: Das ist eine zwiespältige Sache, klar, denn man konnte sich gestern gerade über Facebook und vor allen Dingen über YouTube auch Videos ansehen, die im Fernsehen so nicht oder nur immer ganz kurz gezeigt wurden, da sah man den Täter, wie er rumfeuerte vor McDonald's. Das ist natürlich schon eine Authentizität, die Sie sonst nicht haben. Also ich will jetzt nicht in einer Kritik an den sozialen Medien hier zitiert werden, aber diese Medien sind eben ambivalent.
Auf der einen Seite geben sie eine Möglichkeit der Information, die man sonst so nicht hat, die auch jeder einzelne Bürger nutzen kann, auf der anderen Seite ist eine Menge von Müll mit dabei und von Fehlinformationen, auch von Leuten, die sich einfach auch noch einen Spaß machen damit.
Polizeiarbeit hat "möglicherweise einen abschreckenden Effekt"
Zagatta: Herr Krause, Sie beobachten das ja schon sehr lange, wie sind die deutschen Sicherheitsbehörden aufgestellt, wenn man ja wie gestern Abend davon ausgeht, dass möglicherweise da mehrere Täter bewaffnet in einer deutschen Großstadt unterwegs sind. Sind die deutschen Sicherheitsbehörden, wenn man das mit anderen Ländern vergleicht – so wirkte das gestern Abend zumindest – auf so etwas vorbereitet und gut aufgestellt?
Krause: Also den Eindruck hatte ich, dass sie gut vorbereitet sind und gut aufgestellt sind und dass sie auch gestern gezeigt haben, was sie können, und das hat möglicherweise einen abschreckenden Effekt. Das ist sozusagen das Positive dabei, und deswegen würde ich wie gesagt die Kritik am Mangel an Gelassenheit erst mal nicht auf die Polizei und die Sicherheitskräfte anwenden, sondern eher nur auf die Medien. Also ich denke mal, mit 2.300 Mann dort innerhalb weniger Stunden das Gelände abgeriegelt und gesichert zu haben, das ist schon eine Leistung, und das zeigt, dass es nicht so einfach sein wird, wirklich einen regelrechten Anschlag in Deutschland durchzuführen.
Zagatta: In Berlin tagt heute der Bundessicherheitsrat, was kann man da erwarten?
Krause: Das weiß ich auch nicht. Der Sicherheitsrat ist ja nur ein Kabinettsausschuss, der natürlich über die Lage beraten wird, und da wird Bericht erstattet, was passiert ist, und da wird natürlich auch gefragt werden, wie gut die Einsatzkräfte und wie schnell sie präsent waren und wie gut sie aufgestellt waren. Und wenn es da Mängel gibt, dann wird wahrscheinlich diskutiert werden darüber, was man besser machen könnte.
Trennung zwischen inneren und äußeren Sicherheitsgewalten überdenken
Zagatta: Die Diskussion ist gestern Abend schon auch angelaufen, ganz umstritten, es gab erste Forderung, jetzt sei wirklich der Zeitpunkt – nach so einer Bedrohung, wie sie sich gestern Abend ja kurz dargestellt hat –, dass man endlich Voraussetzungen schaffen müsste, die Bundeswehr im Inland vielleicht doch einzusetzen. Aus Ihrer Sicht jetzt, als Fachmann, als Experte: Gibt es da irgendwo dringenden Handlungsbedarf?
Krause: Nein, im Augenblick sehe ich den nicht, aber es ist schon eine komische Sache, dass wir eine Regelung, ich sag mal, die Trennung zwischen den inneren und äußeren Sicherheitsgewalten, die ja letztendlich zurückgeht auf Erfahrungen aus den 20er- und 30er-Jahren, dass wir diese so dogmatisch beibehalten.
Noch sind wir nicht in eine Situation gekommen, in der das wirklich relevant geworden ist, aber das kann man ja durchaus nicht ausschließen. Man sollte dieses Thema einfach mal mit der notwendigen Ruhe und Gelassenheit angehen, also wie gesagt, auch hier Gelassenheit, damit wir nicht eines Tages in eine Situation kommen, wo diese Gewaltenteilung möglicherweise nachteilige Folgen haben könnte.
Zagatta: Professor Joachim Krause, der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Krause, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Krause: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.