Oliver Thoma: Das Tauchparadies an der Südspitze der Sinai-Halbinsel war auch Schauplatz erfolgreicher Nahost-Friedensverhandlungen, von der Unesco wurde es deshalb als Stadt des Friedens ausgezeichnet. An der Peace Road, der Friedensstraße, liegen auch die großen Touristenhotels in Naama Bay, auch das Ghazala Garden, wo am Samstagmorgen ein Selbstmordattentäter mit Autobombe in die Halle raste. Michael Lüders ist Nahost- und Terrorismusexperte, Islamwissenschaftler, Journalist, Autor vieler Bücher und jetzt am Telefon. Guten Morgen.
Michael Lüders: Schönen guten Morgen.
Thoma: Scharm el-Scheich – wird aus der Stadt des Friedens jetzt die Stadt des Terrors, ist das genau das, was die Attentäter wollen?
Lüders: Ja, davon muss man wohl ausgehen, dass sie Scharm el-Scheich aus zwei Gründen ins Visier genommen haben: zum einen wie schon erwähnt wurde, weil es hier eine Stadt war, in der immer wieder Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Arabern stattgefunden haben und zum anderen, weil man die Tourismusindustrie schädigen will. Die Einbrüche sind zu erwarten, auch wenn sie möglicherweise in der Tat nicht so hoch ausfallen. Es ist eine neue Dimension des Terrors für Ägypten. Es gab ja schon mal einen verheerenden Anschlag Ende 1997 in Luxor, wo ebenfalls sehr viele Touristen ums Leben kamen und das Ergebnis war, dass die terroristische Gruppe, die dafür verantwortlich zeichnete, die islamische Gruppe, daraufhin so unbeliebt wurde in der ägyptischen Bevölkerung, dass sie sich mehr oder weniger selber auflöste, denn viel zu viele Ägypter leben direkt oder indirekt vom Tourismus, als dass die Menschen glücklich wären oder auch nur Sympathien empfinden würden für solche Terroranschläge. Es muss also hier eine neue Generation von Terroristen am Werke sein, die sich sagt, wir wollen Ägypten einmal mehr ins Visier nehmen, vor allem deswegen, weil es so enge Beziehungen zu den USA unterhält: Jedes Jahr bekommt die Regierung in Kairo zwei Milliarden Dollar überwiesen aus Washington, vor allem weil Ägypten einen Friedensvertrag geschlossen hat 1981 mit Israel.
Thoma: Die westlichen Touristen, die hier sind und natürlich die Ägypter, die muslimische Traditionen verraten – kommt hier wirklich alles zusammen?
Lüders: Es ist in jedem Fall ein Brennpunkt. Ägypten ist neben Saudi-Arabien das sicherlich am meisten gefährdete arabische Land, weil aus der Sicht von El Kaida die engen Beziehungen beider Staaten zu den USA ein Anlass sind, dort nun wieder terroristisch aktiv zu werden. Der wichtigste Verbündete von Osama bin Laden ist seinerseits ein Ägypter, der viele der Anschläge der mittlerweile nicht mehr existenten islamischen Gruppe ausgeführt hat oder ausführen ließ in den 90er-Jahren. Auch vor diesem Hintergrund ist sicherlich zu sehen, dass es ein großes Interesse von El Kaida gibt, in Ägypten zuzuschlagen, denn er ist jemand, der zwar aus sehr vornehmen, guten Verhältnissen stammt und ein einflussreicher und vermögender Chirurg sein könnte in Ägypten, aber er hat sich für den Kampf gegen die ägyptische Regierung entschieden und ist darin genauso entschlossen wie Bin Laden, der wiederum eine persönliche Obsession hat mit Saudi-Arabien.
Thoma: Haben die Italiener also dann sogar recht, wenn sie eine Reisewarnung nach Scharm el-Scheich ausgesprochen haben wie heute? Sollten auch deutsche Touristen die Stadt jetzt lieber meiden?
Lüders: Das ist ganz schwer zu sagen, denn wir wissen nicht, ob es zu weiteren Anschlägen kommen wird in Ägypten oder nicht. Wenn wir uns die Ereignisse in London ansehen, muss man natürlich sehr vorsichtig sein insoweit als es eine neue Dimension darstellt, dass Anschläge kurz hintereinander stattfinden und dann mit solch verheerenden Konsequenzen. Insofern ist man natürlich gut beraten, sich sehr sorgfältig zu überlegen, wohin man reist. Ägypten ist sicherlich mehr gefährdet als ein Badeort in Europa, aber auch das gilt natürlich mit Einschränkungen, denn wenn man sich die Logik von El Kaida vor Augen hält, dann sind natürlich auch europäische Länder im Visier. Großbritannien haben wir gerade gesehen, Italien ist ein Land, von dem die meisten Sicherheitsexperten erwarten, dass es dort auch sehr bald zu Anschlägen kommen könnte. Es ist wirklich sehr schwierig, Reiseempfehlungen abzugeben. Ich glaube, dass der Terrorismus auf absehbare Zeit zu den allgemeinen Lebensrisiken gehören wird. Wir werden uns schlichtweg daran gewöhnen müssen und lernen, eine gewisse Gelassenheit zu entwickeln, um nicht unser Leben vollständig beherrschen zu lassen von der Angst vor dem Terror.
Thoma: Auch im Irak gab es ja den Mord an dem führenden Ägyptischen Gesandten und die Anschläge dort richten sich immer häufiger gegen arabische Einrichtungen. Gibt es da einen Zusammenhang mit den Vorfällen in Ägypten, eine neue Dimension des Terrors?
Lüders: Ich glaube nicht, dass es einen logistischen oder organisatorischen Zusammenhang gibt zwischen den Anschlägen in Ägypten und im Irak, aber es gibt doch dieselbe Ideologie oder Mentalität, die hier zuschlägt. In beiden Fällen versucht man, so viele Zivilisten und Unschuldige zu töten wie es nur möglich ist. Das ist eine Entwicklung wie sie im Irak ihren Anfang genommen hat in dieser massiven Form. Die Sakawi-Gruppe tötet ja mittlerweile fast im Tagesrhythmus 20 bis 30 Menschen und diese Menschenverachtung überträgt sich nun auch auf andere Anschlagsorte wie Scharm el-Scheich. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die meisten Toten dort Ägypter waren, nicht Touristen und das ist eine neuen Dimension insoweit als in der Vergangenheit in erster Linie Touristen ins Visier genommen wurden und nicht Einheimische.
Thoma: Das müsste doch eigentlich vor allem in Ägypten aber auch in anderen arabischen Staaten dazu führen, dass der Widerstand gegen den Terror auch der Menschen größer wird. Wird das passieren, kann auch die Regierung jetzt mehr tun?
Lüders: Wir haben ja schon gesehen, dass in Scharm el-Scheich die Menschen und Beschäftigten jetzt die Sorge haben, nun ihre Arbeitsplätze in der Tourismusindustrie zu verlieren, bereits demonstriert haben. Die Regierungen bemühen sich, diesen Terror zu besiegen, aber weder im Irak, noch in Ägypten noch anderswo in der arabischen Welt ist das bisher erfolgreich gelungen. Es gibt zu viele unzufriedene Menschen, zu viele Leute, die glauben, sie hätten eine Rechnung zu begleichen mit den jeweiligen Regierungen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass der öffentliche Diskurs geprägt wird entweder von islamischen Fundamentalisten oder aber von Vertretern des Regimes während aufgeklärte und vernünftige Stimmen eigentlich eher in der Minderheit sind. Die Fähigkeit zur Selbstkritik ist nicht sehr ausgeprägt, so sagte etwa der ägyptische Innenminister auf die Frage, ob denn die fehlende Demokratie in Ägypten zusammenhängen könnte mit diesen Anschlägen, sinngemäß im arabischen Satellitenfernsehen El Arabia, er verstehe sie eigentlich gar nicht, denn Ägypten sei doch eigentlich seit der griechischen Antike die am besten funktionierende Demokratie weltweit. Und das ist natürlich eine Selbstwahrnehmung, die sehr erstaunt.
Thoma: Sie haben schon öfter darauf hingewiesen, dass es am wichtigsten ist, die Bildung der Menschen zu stärken, auch das Selbstbewusstsein. Ist es auch das, das einzige vielleicht, worauf der Westen setzen kann in den arabischen Ländern?
Lüders: Ich würde es in der Tat so sehen. Das Bildungsdefizit in der arabischen Welt, die hohe Analphabetenquote (in Ägypten liegt sie bei 60 Prozent), das ist natürlich ein Reservoir, wo Gewalttäter, Terroristen und hasserfüllte Menschen immer wieder neue Aktivisten finden. Das ist eine große Gefahr und die eigenen Regime sind nicht sonderlich interessiert daran, den Bildungsstandard zu heben, denn Regime in der arabischen Welt sind nicht wirklich der eigenen Bevölkerung verpflichtet, sondern in erster Linie der eigenen Selbstbereicherung.
Michael Lüders: Schönen guten Morgen.
Thoma: Scharm el-Scheich – wird aus der Stadt des Friedens jetzt die Stadt des Terrors, ist das genau das, was die Attentäter wollen?
Lüders: Ja, davon muss man wohl ausgehen, dass sie Scharm el-Scheich aus zwei Gründen ins Visier genommen haben: zum einen wie schon erwähnt wurde, weil es hier eine Stadt war, in der immer wieder Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Arabern stattgefunden haben und zum anderen, weil man die Tourismusindustrie schädigen will. Die Einbrüche sind zu erwarten, auch wenn sie möglicherweise in der Tat nicht so hoch ausfallen. Es ist eine neue Dimension des Terrors für Ägypten. Es gab ja schon mal einen verheerenden Anschlag Ende 1997 in Luxor, wo ebenfalls sehr viele Touristen ums Leben kamen und das Ergebnis war, dass die terroristische Gruppe, die dafür verantwortlich zeichnete, die islamische Gruppe, daraufhin so unbeliebt wurde in der ägyptischen Bevölkerung, dass sie sich mehr oder weniger selber auflöste, denn viel zu viele Ägypter leben direkt oder indirekt vom Tourismus, als dass die Menschen glücklich wären oder auch nur Sympathien empfinden würden für solche Terroranschläge. Es muss also hier eine neue Generation von Terroristen am Werke sein, die sich sagt, wir wollen Ägypten einmal mehr ins Visier nehmen, vor allem deswegen, weil es so enge Beziehungen zu den USA unterhält: Jedes Jahr bekommt die Regierung in Kairo zwei Milliarden Dollar überwiesen aus Washington, vor allem weil Ägypten einen Friedensvertrag geschlossen hat 1981 mit Israel.
Thoma: Die westlichen Touristen, die hier sind und natürlich die Ägypter, die muslimische Traditionen verraten – kommt hier wirklich alles zusammen?
Lüders: Es ist in jedem Fall ein Brennpunkt. Ägypten ist neben Saudi-Arabien das sicherlich am meisten gefährdete arabische Land, weil aus der Sicht von El Kaida die engen Beziehungen beider Staaten zu den USA ein Anlass sind, dort nun wieder terroristisch aktiv zu werden. Der wichtigste Verbündete von Osama bin Laden ist seinerseits ein Ägypter, der viele der Anschläge der mittlerweile nicht mehr existenten islamischen Gruppe ausgeführt hat oder ausführen ließ in den 90er-Jahren. Auch vor diesem Hintergrund ist sicherlich zu sehen, dass es ein großes Interesse von El Kaida gibt, in Ägypten zuzuschlagen, denn er ist jemand, der zwar aus sehr vornehmen, guten Verhältnissen stammt und ein einflussreicher und vermögender Chirurg sein könnte in Ägypten, aber er hat sich für den Kampf gegen die ägyptische Regierung entschieden und ist darin genauso entschlossen wie Bin Laden, der wiederum eine persönliche Obsession hat mit Saudi-Arabien.
Thoma: Haben die Italiener also dann sogar recht, wenn sie eine Reisewarnung nach Scharm el-Scheich ausgesprochen haben wie heute? Sollten auch deutsche Touristen die Stadt jetzt lieber meiden?
Lüders: Das ist ganz schwer zu sagen, denn wir wissen nicht, ob es zu weiteren Anschlägen kommen wird in Ägypten oder nicht. Wenn wir uns die Ereignisse in London ansehen, muss man natürlich sehr vorsichtig sein insoweit als es eine neue Dimension darstellt, dass Anschläge kurz hintereinander stattfinden und dann mit solch verheerenden Konsequenzen. Insofern ist man natürlich gut beraten, sich sehr sorgfältig zu überlegen, wohin man reist. Ägypten ist sicherlich mehr gefährdet als ein Badeort in Europa, aber auch das gilt natürlich mit Einschränkungen, denn wenn man sich die Logik von El Kaida vor Augen hält, dann sind natürlich auch europäische Länder im Visier. Großbritannien haben wir gerade gesehen, Italien ist ein Land, von dem die meisten Sicherheitsexperten erwarten, dass es dort auch sehr bald zu Anschlägen kommen könnte. Es ist wirklich sehr schwierig, Reiseempfehlungen abzugeben. Ich glaube, dass der Terrorismus auf absehbare Zeit zu den allgemeinen Lebensrisiken gehören wird. Wir werden uns schlichtweg daran gewöhnen müssen und lernen, eine gewisse Gelassenheit zu entwickeln, um nicht unser Leben vollständig beherrschen zu lassen von der Angst vor dem Terror.
Thoma: Auch im Irak gab es ja den Mord an dem führenden Ägyptischen Gesandten und die Anschläge dort richten sich immer häufiger gegen arabische Einrichtungen. Gibt es da einen Zusammenhang mit den Vorfällen in Ägypten, eine neue Dimension des Terrors?
Lüders: Ich glaube nicht, dass es einen logistischen oder organisatorischen Zusammenhang gibt zwischen den Anschlägen in Ägypten und im Irak, aber es gibt doch dieselbe Ideologie oder Mentalität, die hier zuschlägt. In beiden Fällen versucht man, so viele Zivilisten und Unschuldige zu töten wie es nur möglich ist. Das ist eine Entwicklung wie sie im Irak ihren Anfang genommen hat in dieser massiven Form. Die Sakawi-Gruppe tötet ja mittlerweile fast im Tagesrhythmus 20 bis 30 Menschen und diese Menschenverachtung überträgt sich nun auch auf andere Anschlagsorte wie Scharm el-Scheich. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die meisten Toten dort Ägypter waren, nicht Touristen und das ist eine neuen Dimension insoweit als in der Vergangenheit in erster Linie Touristen ins Visier genommen wurden und nicht Einheimische.
Thoma: Das müsste doch eigentlich vor allem in Ägypten aber auch in anderen arabischen Staaten dazu führen, dass der Widerstand gegen den Terror auch der Menschen größer wird. Wird das passieren, kann auch die Regierung jetzt mehr tun?
Lüders: Wir haben ja schon gesehen, dass in Scharm el-Scheich die Menschen und Beschäftigten jetzt die Sorge haben, nun ihre Arbeitsplätze in der Tourismusindustrie zu verlieren, bereits demonstriert haben. Die Regierungen bemühen sich, diesen Terror zu besiegen, aber weder im Irak, noch in Ägypten noch anderswo in der arabischen Welt ist das bisher erfolgreich gelungen. Es gibt zu viele unzufriedene Menschen, zu viele Leute, die glauben, sie hätten eine Rechnung zu begleichen mit den jeweiligen Regierungen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass der öffentliche Diskurs geprägt wird entweder von islamischen Fundamentalisten oder aber von Vertretern des Regimes während aufgeklärte und vernünftige Stimmen eigentlich eher in der Minderheit sind. Die Fähigkeit zur Selbstkritik ist nicht sehr ausgeprägt, so sagte etwa der ägyptische Innenminister auf die Frage, ob denn die fehlende Demokratie in Ägypten zusammenhängen könnte mit diesen Anschlägen, sinngemäß im arabischen Satellitenfernsehen El Arabia, er verstehe sie eigentlich gar nicht, denn Ägypten sei doch eigentlich seit der griechischen Antike die am besten funktionierende Demokratie weltweit. Und das ist natürlich eine Selbstwahrnehmung, die sehr erstaunt.
Thoma: Sie haben schon öfter darauf hingewiesen, dass es am wichtigsten ist, die Bildung der Menschen zu stärken, auch das Selbstbewusstsein. Ist es auch das, das einzige vielleicht, worauf der Westen setzen kann in den arabischen Ländern?
Lüders: Ich würde es in der Tat so sehen. Das Bildungsdefizit in der arabischen Welt, die hohe Analphabetenquote (in Ägypten liegt sie bei 60 Prozent), das ist natürlich ein Reservoir, wo Gewalttäter, Terroristen und hasserfüllte Menschen immer wieder neue Aktivisten finden. Das ist eine große Gefahr und die eigenen Regime sind nicht sonderlich interessiert daran, den Bildungsstandard zu heben, denn Regime in der arabischen Welt sind nicht wirklich der eigenen Bevölkerung verpflichtet, sondern in erster Linie der eigenen Selbstbereicherung.