Das zeige auch die verhaltene Reaktion des US-Präsidenten, keine Bodentruppen zu entsenden. "Die Amerikaner haben die Nase von außenpolitischen Verwicklungen voll", sagte Hacke weiter. Obama habe zudem den US-Wahlkampf im Fokus.
Das Hauptproblem im Irak sei die Regierung unter Nuri al-Maliki in Bagdad. 2011 hätten die Amerikaner nicht hart genug mit ihm verhandelt und auf sein Geheiß das Land verlassen. Nun sitze Maliki "in der Misere und ruft nach den Amerikanern", sagte Hacke weiter.
USA muss auf Isis-Unterstützer einwirken
Die Isis-Truppen versuchen, die bisherigen Grenzen auszuhebeln. Dadurch werden neue rechtsfreie Räume entstehen, in denen Staaten keinen Einfluss mehr haben werden, warnte Hacke. Für sehr wichtig stufte Hacke den Einfluss der USA auf die Erdöl exportierenden Staaten ein. Diese übten eine "völlig verantwortungslose Politik" aus: "Diese Länder fahren seit Jahrzehnten eine Strategie, Isis und Al-Kaida zu unterstützen, um innenpolitische Ruhe damit zu erkaufen. Das ist eine trügerische Angelegenheit", sagte er. Namentlich nannte er Saudi-Arabien, die Golfstaaten und den Iran.
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Die Vereinigten Staaten, der Westen und der Irak. Unser Thema jetzt mit Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Professor Christian Hacke. Guten Tag nach Berlin!
Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt, Herr Müller!
Müller: Herr Hacke, müssen die Amerikaner jetzt wieder ran?
Hacke: Das ist schwer zu sagen. Die Lage ist ja sehr unübersichtlich, und sie hat sich so dynamisiert, dass nichts auszuschließen ist. Aber Präsident Obama hat ja selbst die Eckpunkte genannt, also kein direktes Eingreifen durch Bodentruppen, und wenn, dann überhaupt begrenzte Luftschläge – das ist alles noch sehr unübersichtlich, zeigt aber im Ganzen, dass die Amerikaner lange nicht mehr die Rolle spielen, die sie im Nahen Osten und im Irak natürlich und in Afghanistan gespielt haben. Sie sind relativ ratlos.
Müller: Fangen nicht viele Kriege mit Luftschlägen an?
Hacke: Ja, sicherlich. Und deshalb möchte er sich auch gar nicht reinziehen lassen. Es ist der Primat der Innenpolitik, der jetzt seine außenpolitischen Überlegungen auch diktiert, und da ist ganz klar der Wahlkampf im Auge, und dass er hier auch die isolationistische Grundstimmung – die Amerikaner haben die Nase voll von außenpolitischen Verwicklungen –, und da wird er also versuchen natürlich, diesem Trend zu folgen, um seiner Partei natürlich auch Bodengewinne zu garantieren.
Müller: Sie sagen, Barack Obama oder ganz Washington ist ratlos. Auch deshalb, weil es nie ein Nachfolgekonzept gegeben hat?
Hacke: Ja, es ist schon richtig, was vorhin gesagt wurde. 2011 ist das Stichwort. 2008 schien die Lage stabilisiert, auch Al-Kaida schien kontrolliert sogar am Boden, aber dann, 2011, haben die Amerikaner nicht genügend hart mit Maliki verhandelt, der hat sich durchgesetzt und hat gesagt, alle Truppen, alle amerikanischen Truppen verlassen das Land. Das passierte 2011, und jetzt sitzt Maliki selbst in der Misere, und jetzt ruft er nach amerikanischer Hilfe. Also der Hauptproblemfaktor ist im Moment die Regierung in Bagdad, zweifelsohne.
Müller: Herr Hacke, Sie kennen sich gut mit Kriegen aus. Sie kennen sich gut mit Bürgerkriegen aus, mit ethnischen Konflikten, also überall dort, wo Menschen umgebracht werden in größerem Ausmaß, systematisch. Wenn wir jetzt nur auf Afghanistan schauen, wenn wir auf den Irak schauen, wenn wir auch noch auf Libyen schauen, also drei Schauplätze in der langfristig, mittelfristigen Konsequenz des 11. September, ursächlich oder weniger ursächlich – hätte man sich das alles sparen können?
Isis hebt traditionelle Grenzen auf
Hacke: Hinterher, Sie wissen den Spruch, wenn man vom Rathaus kommt, ist man immer klüger, und ich denke auch, selbst vor 14 Jahren, 13 Jahren, hat man viele Dinge in dieser langfristigen Konsequenzen überhaupt nicht übersehen können, aber heute wird klar, dass das der massivste Fehler war der amerikanischen Politik im 20. Jahrhundert, muss man fast sagen. Und das ist bitter, dass heute nun Präsident Obama diese Suppe auslöffeln muss. Und er versucht es, aber er ist jetzt natürlich in einer schwierigen Situation. Sie haben heute einen Krisenbogen, wie Sie eben, Herr Müller, zu Recht direkt angedeutet haben, der den ganzen Nahen Osten umfasst, Nordafrika ja auch zum Teil, wie wir wissen, Zentralafrika, wo auch die radikalen Islamisten wirken, dann rüber bis Afghanistan. Wir haben die letzten Meldungen der letzten Woche, in Pakistan, wo auch natürlich auch die Schwierigkeiten wachsen, und das war interessant aus dem Bericht von Washington: Es gibt keine Grenzen mehr. Verstehen Sie, die traditionellen Grenzen zwischen Staaten werden durch Isis aufgehoben, und der Name ist ja Programm. Isis heißt ja nichts anderes als ein islamischer Staat als Zielsetzung, die Wiederherstellung des alten Kalifats? Im Raume Irak und Syrien. Und damit kein Missverständnis auftritt – dazu gehört in deren Verständnis der Libanon, Jordanien, Israel, Palästina. Also da ist noch einiges vor uns, und es ist nun das Problem: Die Grenzen sind überwunden und neue, rechtsfreie Räume entstehen, wo Staaten nicht mehr die Kontrolle und das Machtpotenzial haben, wie eben auch Bagdad nicht mehr, und da kann Isis, in diesen rechtsfreien Räumen agieren, und das ist die große Gefahr.
Müller: Kann man jetzt, in dieser Situation, froh sein, dass die NSA über die Handynummer von Bashar al-Assad verfügt und die Amerikaner jetzt ihn mal anrufen können, ob er jetzt nicht mit ihnen zusammenarbeitet?
Assad ist Gewinner
!!Hacke:!! Ich hab jetzt auch natürlich immer daran gedacht, was würden Drohneneinsätze bringen, ich meine, der Anführer von Isis, al-Baghdadi, ist natürlich ein Phantom, aber was nützt es, wenn ein Mann umgebracht werden würde – dann sind andere wieder an seiner Stelle. Es ist eine so verteufelt schwierige Situation eingetreten, die auch zunehmend geostrategisch in die Nähe Europas rückt. Wir müssen klar sehen, dass Europa zunehmend ins Visier selbst von Isis rückt. Wenn Sie jetzt erstaunt die Augenbrauen rümpfen, dann darf ich nur dran erinnern, dass eben der Anschlag auf das jüdische Museum in Brüssel vor wenigen Wochen auch von Isisi ausgeführt wurde, dass wir mittlerweile durch die Erfahrungen in Syrien viele idealistische, fanatische Dschihadisten haben, die aus Europa kommen, aus Deutschland kommen, und das ist ein Potenzial, was sicherlich von Isis jetzt ausgebildet wird, um dann in Europa selbst eingesetzt zu werden. Also die Perspektiven sehen für uns überhaupt nicht gut aus.
Müller: Herr Hacke, sagen Sie noch mal einen Satz zu Bashar al-Assad. Ist der jetzt wichtig? Brauchen wir den jetzt?
Hacke: Ja, das ist – er ist der Gewinner. Assad ist der Gewinner, weil nun nicht mehr er im Visier steht, sondern möglichst eine neue Gemeinsamkeit von Interessen gegen die radikalen Isis-Kämpfer, und da muss natürlich Iran ins Boot geholt werden, und, was ich finde, ganz wichtig, was immer übersehen wird: Es sind natürlich die ganzen Erdölstaaten, die Scheichtümer, Saudi-Arabien vorweg, die eine völlig verantwortungslose Politik betreiben, indem sie ISIS und andere radikale Kräfte unterstützt. Und hier müssen die Amerikaner ihren Einfluss stärker ausüben. Da ist natürlich wieder noch die Ölabhängigkeit, aber das ist ein Faktor, der bislang zu wenig gesehen wird. Und wir sehen natürlich nur eine stabile Zone im Moment, das ist eben der Norden, das sind die Kurden im Nordirak, und es könnte sein, dass über kurz oder lang eine stärkere Aufspaltung in einen schiitischen Kernteil, dann natürlich in einen sunnitischen Teil und in einen zunehmend autonomen kurdischen Teil entsteht. Aber dieser Teufelskreis von Fanatisierung jetzt des innerkulturellen Konflikts zwischen Schiiten und Sunniten in der islamischen Welt, das ist eine furchtbare Sache, und das sind, wie alle Religionskriege –
Müller: Mir fällt das schwer, Sie zu unterbrechen, wegen des argumentativen Flusses, der hochinteressant ist, Christian Hacke. Ich muss es dennoch tun, ich habe noch ein paar Fragen. Sie haben das Stichwort genannt, Saudi-Arabien als ein Beispiel, Omar, Katar – für die Experten von außen, für die Beobachter, für Sie auch ganz klar: Das sind die Finanziers dieser Truppe, dieser Soldaten, dieser Gotteskrieger. Jetzt müssen wir uns mit der Kritik ein bisschen zurückhalten, weil 2022 wollen wir da Fußball spielen.
Hacke: Ja nun, das wollen wir abwarten, ob wir dort Fußball spielen. Das ist auch nicht so zentral.
Müller: Weiß Angela Merkel das? Macht Angela Merkel mal was?
Hacke: Aber diese Länder fahren ja seit Jahren, fast seit Jahrzehnten eine Strategie, al-Kaida und jetzt Isis zu unterstützen, möglichst weit von ihnen selbst, um innenpolitische Ruhe damit zu erkaufen. Das ist ja eine trügerische Angelegenheit, und hier muss der Westen einsetzen, müssen auch – die UNO, in irgendeiner Form muss deutlich machen, dass in der Verantwortung für die Region auch die regionalen Mächte – das ist ja das Problem, dass im Irak nicht nur die Sunniten und Schiiten gegeneinander aufgehetzt werden, sondern dass eben durch große Mächte von außen, einerseits die Iraner, und andererseits Saudi-Arabien und die Golfstaaten, die die Sunniten unterstützen, das durch diese Mächte das Feuer im Irak natürlich weiter angefacht wird. Und das im Zusammenhang jetzt mit Syrien, weil Sie nach Assad gefragt haben: Der ist erst mal außerhalb vom Spiel. Der wird nicht mehr im Zentrum stehen, sondern es steht Isis im Zentrum, und damit auch eine neue zwangsweise stärkere Kooperation zwischen USA und dem Westen und Russland. Denn wenn ich sage Europa und nenne Brüssel, wo Isis aktiv geworden ist, dann gilt natürlich noch sehr viel mehr die Gefahr für Russland – Stichwort Kaukasus, Tschetschenien – wo die Dschihadisten natürlich eine große Gefahr für Putin darstellen. Und er wird deshalb auch eine stärkere Zusammenarbeit mit dem Westen suchen. Also Russland, Iran, die Golfstaaten – das ist natürlich schwierig zwischen den Golfstaaten und Iran – aber mit dem Westen zusammen. Da muss was getan werden.
Müller: Noch ein Vorschlag, wenn wir die alle jetzt wieder rein nehmen und finden sie plötzlich wieder gut, weil wir sie brauchen, können wir ja Peking auch noch stärker mit einbeziehen?
Wahl zwischen schlimm und schlimmer
Hacke: Nein, es geht nicht darum, dass man sie gut findet. Wir haben keine Option, sondern wir haben nur zu wählen zwischen schlimm und schlimmer. Das ist unsere Lage. Und vor allem mit einem Amerika, das im Moment kaum mehr eine Rolle spielt und auch keine Rolle spielen will im Nahen Osten. Und das ist natürlich schlimm.
Müller: Aber Sie haben das häufig auch bei uns im Deutschlandfunk gesagt, ich möchte das noch mal erwähnen: Saudi-Arabien, Oman, Katar, das sind ja umstrittene Staaten. Dennoch haben wir beste Beziehungen, wir kooperieren wirtschaftlich, auch die Rüstungsgeschäfte laufen nach wie vor. Wie heuchlerisch ist das von der Bundesregierung, da weiter anzuknüpfen?
Hacke: Das ist nicht heuchlerisch, sondern wir müssen sehen, welche Interessen haben wir als Land, welche Interessen haben wir auch jetzt im Zusammenhang mit dem Westen. Und natürlich – inwieweit würden solche Rüstungsgeschäfte nun auch durchschlagen mit Blick auf die Schlagfähigkeit Saudi-Arabiens. Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten schicken ja keine Panzer zu Isis und den anderen, sondern unterstützen sie finanziell. Und wo die dann ihre Waffen wieder her holen – das Wenigste ist da aus Deutschland, sondern das kommt aus ganz anderen Bereichen, die sie überrannt haben, jetzt zum Beispiel aus den Arsenalen der völlig machtlosen 900.000-Mann-Armee, die die Amerikaner mit ungefähr 20 Milliarden aufgepäppelt haben des Irak. Aus den Beständen oder aus den Beständen von Libyen oder aus den Beständen der syrischen Armee.
Müller: Also sagen Sie, es spielt keine Rolle?
Hacke: Nein, das will ich nicht sagen, aber es ist nicht so wichtig, wie Sie es eben vielleicht angedeutet haben.
Müller: Heute mittag bei uns im Deutschlandfunk der Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Professor Christian Hacke. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag!
Hacke: Ich danke Ihnen, Herr Müller!
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