Tophoven erläuterte, möglicherweise hätten sich in Brüssel die Warnungen konkretisiert, die schon vor einigen Tagen aus Österreich gekommen seien. Belgien sei ein Hotspot des europäischen Dschihadismus, ein Vorposten ebenso wie ein Rückzugsraum für Terrorkommandos.
Die belgische Polizei hatte zwei Verdächtige festgenommen, weil sie in Brüssel am Silvestertag Anschläge geplant hätten - an einigen "symbolträchtigen" Orten, darunter offenbar auch der zentrale "Grand Place". Tophoven sprach mit Blick auf die Anschlagsplanung von einer "professionellen" Aktion, hinter der ein Netzwerk stehen müsse und nicht zwei Einzeltäter.
Die Islamisten bewiesen, dass sie trotz der massiven Fahndungen nach den Anschlägen von Paris im Januar und November über operative Energie verfügten.
Tophoven betonte, in Deutschland sei es auch dem Glück zu verdanken, dass die Terrorbekämpfung bislang erfolgreich gewesen sei. Andererseits aber hätten die Behörden seit dem 11. September 2001 und den Anschlägen in den USA viele Kenntnisse über den militanten Islam gesammelt, und die Geheimdienste tauschten sich intensiv aus.
Für den Silvestertag riet Tophoven, genauso zu feiern wie immer. Er räumte ein, dass es sich zwar um einen - Zitat - "Reiztag" handle. Andererseits sei das Beste, darauf gelassen und souverän zu reagieren und nicht zuhause zu bleiben.
Das Interview mit Rolf Tophoven in voller Länge:
Jochen Spengler: Die Polizei hat womöglich in letzter Minute Anschläge in Brüssel zum Jahreswechsel vereitelt. Zwei Menschen wurden unter dem Verdacht festgenommen, Attentate an mehreren beliebten Orten in Belgiens Hauptstadt während der Silvesterfeierlichkeiten geplant zu haben, wie die Generalstaatsanwaltschaft heute Morgen bekannt gab. Es habe ernsthafte Bedrohungen gegeben.
Vor drei Tagen hatte die österreichische Polizei davor gewarnt, dass es zwischen Weihnachten und Neujahr an Orten mit Menschenansammlungen in europäischen Hauptstädten zu Attentaten mit Sprengstoff oder Schusswaffen kommen könnte. Dieser Hinweis komme von einem befreundeten Geheimdienst, hieß es. Daraufhin hat auch Deutschland seine Sicherheitsmaßnahmen verschärft. Am Telefon ist der Publizist und Terrorismusexperte Rolf Tophoven. Guten Tag, Herr Tophoven!
Rolf Tophoven: Guten Tag, Herr Spengler!
Spengler: Angesichts der Festnahmen heute in Belgien, sehen Sie einen Zusammenhang zu den Warnungen aus Österreich?
Tophoven: Man muss davon ausgehen, dass es sich um eine ganze Kette von Warnungen handelt, die über Österreich dann hier jetzt weiter nach Kerneuropa, nach Frankreich, Belgien und Deutschland gelaufen sind. Was eigentlich sehr überraschend nicht sein kann, ist die operative Energie.
Die operative Energie, die die militanten, islamistischen Terroristen dokumentieren trotz der massiven internationalen, besonders europäischen Fahndungsmaßnahmen der Polizei seit dem 7. Januar dieses Jahres, nach "Charlie Hebdo", und erst recht nach dem 13. November, nach der Terrorserie in Paris.
Belgien als "Hotspot des europäisch-dschihadistischen Terrorismus"
Spengler: Wie ernst müssen wir denn dann die Warnung aus Österreich nehmen?
Tophoven: Die österreichische Warnung ist ernst zu nehmen, aber möglicherweise hat sie sich verifiziert jetzt ganz konkret in Belgien. Und es ist ja nicht von ungefähr, dass Belgien schon seit Langem ein Hotspot des europäisch-dschihadistischen Terrorismus ist. Belgien ist nicht nur eine Art Vorposten des militanten islamistischen Terrorismus, es ist auch, wie die Anschläge in Paris gezeigt haben, eine Art Rückzugsraum, Ruheraum für Terrorkommandos, die herüber- und hinüberschwappen von Belgien nach Paris und von Frankreich nach Belgien.
Gleichwohl behaupten ja die belgischen Sicherheitsbehörden, dass es keinen Zusammenhang mit den Anschlägen jüngst in Paris gegeben hat. Aber gleichwohl sage ich, die militant-islamistische Ideologie ist in den Köpfen implantiert, und was wir jetzt in Belgien sehen, ist wohl auch eine Art professionelle Operation gewesen, die eindeutig Parallelen zum Beispiel zu dem Januar im belgischen Verviers zeigt, denn in Verviers wurden damals auch Terroristen festgenommen. Es gab ein Shoot-out mit der Polizei.
Und interessant ist, sie hatten – die wurden zwar jetzt nicht gefunden – Waffen gehortet, sie hatten Polizeiuniformen. Und wenn wir hören, dass das Generalpolizeihauptquartier in Brüssel im Fadenkreuz des Terrors stand, dann ist hier wohl auch eine ähnlich professionelle, parallel laufende, größere Terroraktion an Silvester geplant gewesen.
"Dahinter muss ein Netzwerk mit professioneller Planung stehen"
Spengler: Herr Tophoven, haben Sie Hinweise, dass mögliche Anschläge zentral irgendwo in Syrien oder dem Irak koordiniert werden, oder sind das alles lose, autonome Terrorzellen, von denen die Gefahr ausgeht, die also für sich arbeiten?
Tophoven: Man muss das, Herr Spengler, glaube ich, etwas differenzieren. Es gibt sicher, wie Paris gezeigt hat, eine große ferngesteuerte, gleichzeitig durchgeführte, an mehreren Orten stattfindende Terrorplanung. Das ist Professionalität höchster Qualität. Daneben gehen ja seit Langem die deutschen Sicherheitsbehörden davon aus, dass es den sich selbst radikalisierenden Einzeltäter gibt, der mit der Kalaschnikow um sich schießt oder sich mit dem Sprenggürtel in die Luft jagt.
Aber ich glaube, dass die operative Planung, die jetzt in Belgien entdeckt wurde, doch zeigt, dass wir zunehmend ferngesteuerte, möglicherweise durch IS-Kommandos initiierte, größere Terroroperationen vor uns haben, die gleichzeitig an mehreren Orten durchgeführt werden.
Und das ist sicher das Beängstigende, denn in Brüssel, so zeigt mir die bisherige Information, war sicherlich eine Aktion nicht nur von zwei Einzeltätern. Dahinter muss ein Netzwerk stehen mit professioneller Planung.
Spengler: Wie kommuniziert dieses Netzwerk untereinander?
Tophoven: Wir wissen ja seit Langem, dass gerade die sozialen Netzwerke untereinander kommunizieren. Auf der anderen Seite ...
Kommunikation der Terroristen: "Von Sicherheitsbehörden extrem schwer zu knacken"
Spengler: Ja, aber wie? Wie, wenn ich Sie unterbrechen darf?
Tophoven: Paris hat gezeigt, dass beispielsweise die PlayStation, wenn man sich dort einklinkt, ein von den Sicherheitsbehörden kaum zu knackendes Kommunikationsmedium ist. Wir wissen, dass einzelne Terroristen, die in ein Netzwerk eingebunden sind, zum Teil mit zehn Handys in der Tasche herumreisen, und nur mit einem Handy wird oft nur ein halber Satz kommuniziert, und das ist der Zeitpunkt des Anschlages. Das sind Kommunikationsstränge, die auch von den Sicherheitsbehörden extrem schwer zu knacken sind.
Spengler: Ich habe eben am Anfang die deutschen Sicherheitsbehörden erwähnt. Deren Sicherheitsmaßnahmen sind verschärft worden, so heißt es. Was bedeutet das eigentlich konkret – die Sicherheitsmaßnahmen werden verschärft?
Tophoven: Das heißt konkret, dass man erstens sichtbare Präsenz zeigt, also eine Art gefühlte Sicherheit für den Bürger durch massive Polizei, bewaffnete Polizeistreifen darstellt. Auf der anderen Seite, was viel wichtiger ist, sind aber gewisse unsichtbare Aktionen, wo bestimmte kritische Hotspots des militanten Islamismus in Deutschland, die man kennt, beobachtet, möglicherweise auch durch die Verfassungsschutzbehörden abhört, um hier Reisebewegungen festzustellen, wo von A nach B gereist wird, um möglicherweise eine Aktion zu machen.
Es ist also ein ganzes Bündel, was da geschnürt wird. Und zusammenlaufen tun diese von den Ländern gegebenen Informationen ja am gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum GTAZ in Berlin, wo das alles analysiert und entsprechend dann ausgewertet wird.
"Große Kenntnisse der Sicherheitsbehörden über den Islam"
Spengler: Herr Tophoven, dass es in Deutschland seit Jahren nun schon nicht zu einem Terroranschlag gekommen ist, liegt das daran, dass wir einfach Glück gehabt haben, oder daran, dass unsere Sicherheitsbehörden so gut arbeiten und bislang alles vereiteln konnten?
Tophoven: Wir haben zweierlei, Herr Spengler. Einmal haben Sie es erwähnt: Wir haben Glück gehabt. Es gehört immer zu einer erfolgreichen Terrorismusbekämpfung oder zur Vermeidung von terroristischen Operationen Glück dazu. Aber ich denke, dass seit dem 11. September 2001, seit dem 11. September 2001 die deutschen Sicherheitsbehörden massiv auch ideologisch in ihrer Kenntnis über den militanten Islam, über eine Perversion des Islam, die ja die Islamisten für sich beanspruchen, oder sie pervertieren den Islam, dass man große Kenntnisse in den Sicherheitsbehörden heute hat über den Islam und wie man ihn zu interpretieren hat.
Und dann kommt es hinzu, dass innerhalb der Öffnung des Schengenraums die internationalen Dienste, die Nachrichtendienste sehr eng, doch enger als vormals über die Grenzen hinweg zumindest auf der Arbeitsebene – ich rede jetzt mal nicht von der Politik – zumindest von der Arbeitsebene intensiv im Austausch über nachrichtendienstliche Erkenntnisse stehen.
Das hat vielleicht Deutschland bisher verschont. Wir wissen ja auch, dass bisher knapp ein Dutzend geplanter Anschläge in Deutschland verhindert wurden. Aber eine Garantie, dass das morgen oder übermorgen so bleibt, kann Ihnen keiner geben.
"Feiertage fordern die Terroristen geradezu heraus"
Spengler: Ist die Gefahr an Silvester oder Neujahr höher als an anderen Tagen?
Tophoven: Silvester und Feiertage wie jüngst Weihnachten sind immer symbolträchtige Tage. Ich würde fast sagen, sie fordern die Terroristen geradezu heraus als sogenannte "Reiztage", hier etwas zu machen, weil man hier ja in den Nerv eines Volksempfindens trifft, den Nerv von großen, spektakulären Weihnachts- oder, jetzt vor uns stehend, Silvesterfeiern trifft.
All dies sind attraktive Ziele für Terroristen, weil sie wissen, in einem solchen Moment einen Anschlag zu begehen, das hat weltweit die größte mediale Aufmerksamkeit, das ist ein medialer Hype, der kaum zu toppen ist. Von daher sind gerade spektakuläre Veranstaltungen, ob nun gesellschaftlicher oder sportlicher Art immer ein attraktives Ziel für Terroristen.
"Gelassenheit und Souveränität demonstrieren"
Spengler: Kann man sich als Bürger wappnen – Menschenmengen vermeiden, zu Hause bleiben – oder sollte man sich in seinem normalen Leben nicht einschränken? Was meinen Sie?
Tophoven: Man sollte Gelassenheit und Souveränität dokumentieren, demonstrieren. Man sollte nicht zu Hause bleiben. Man sollte als Bürger das tun, was man immer tun möchte an solchen Feiertagen, ganz konkret für Silvester, man sollte die geplante Silvesterfeier besuchen und auf keinen Fall in den eigenen Wänden bleiben.
Spengler: Wenn denn die Silvesterfeier nicht in den eigenen vier Wänden stattfindet. Rolf Tophoven, Danke für ihre Zeit heute Mittag. Einen guten Rutsch und terrorfreie Tage uns allen!
Tophoven: Danke Ihnen, gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.