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Terror in den 70er-Jahren
Geheimes Stillhalteabkommen zwischen der PLO und der Schweiz

In den 70er-Jahren wurden drei Schweizer Flugzeuge Ziele eines Terroranschlags der PLO. Angeblich soll es danach zu einem Deal zwischen der Schweiz und der Terrororganisation gekommen sein, wie der Journalist Marcel Gyr in einem Buch aufdeckt. Ein Deal, der allerdings für die Schweiz nicht nur Vorteile hatte.

Von Marc Engelhardt |
    Flagge Schweiz
    In den 70er-Jahren gab es drei Terroranschläge der PLO auf Schweizer Flugzeuge. (picture alliance / dpa / Patrick Seeger)
    Samstag, 21. Februar 1970. Swissair-Flug 330, auf dem Weg von Zürich-Kloten nach Tel Aviv, meldet Feuer an Bord. Der Pilot versucht, umzukehren, doch Rauch steigt in das Cockpit. Die Coronado stürzt in ein Waldstück nahe Würenlingen. Schon bei der Pressekonferenz kurz nach dem Unglück zeichnet sich ab: Es war ein Terrorakt.
    "In dieser Phase hier hat der Pilot eindeutig gesagt: We suspect an explosion in the aft compartment. Der Pilot überdrehte ein bisschen, wurde wieder nach links, gegen Norden abgedreht - und in dieser Phase hier meldete der Pilot, dass er Feuer an Bord hätte. Und er hat schlussendlich noch die Polizei verlangt, bei der Landung, um diesen Vorfall zu untersuchen."
    Erster Terroranschlag mit 47 Toten
    47 Menschen starben im Wald von Würenlingen. Es ist bis heute der schwerste Terrorangriff auf Schweizer Boden. Kurz zuvor war bereits eine El Al-Maschine in Zürich beschossen worden. Die Schweiz war im Schockzustand, weiß Marcel Gyr, der nicht weit von der Absturzstelle aufwuchs.
    "Das war für die Schweiz völliges Neuland, es löste eine Staatskrise aus. Man muss sich vorstellen, innerhalb von anderthalb Jahren drei Mal wird die Schweiz getroffen von solchen Anschlägen, von tödlichen Anschlägen. Und das erklärt auch, dass der Bundesrat, der Außenminister namens Pierre Graber, alle Mittel ergriffen hat, um in Zukunft weitere Anschläge zu verhindern."
    Diese Mittel sind Gegenstand von Gyrs Buch "Schweizer Terrorjahre". Hinter dem Anschlag von Würenlingen, das stand schnell fest, steckten palästinensische Terroristen, ebenso wie hinter der Entführung eines Swissair-Flugs nach Jordanien sieben Monate später. In Bern koordinierte Außenminister Graber die Verhandlungen mit den Terroristen. Auf dem Rollfeld in Zerqa standen auch entführte Maschinen aus Großbritannien und den USA. Offiziell lautete die Linie: keine Alleingänge.
    Doch Gyrs Ermittlungen mehr als 45 Jahre später ergeben ein anderes Bild. Demnach schloss der Schweizer Außenminister Graber ein geheimes Abkommen mit der PLO, um weitere Terroranschläge in der Schweiz zu verhindern. Im Gegenzug bekam die PLO, damals noch eine geächtete Terrororganisation, eine Vertretung am UNO-Standort Genf.
    "Ich habe zwei anonyme Quellen, die mir das nach Erscheinen des Buches wieder einwandfrei bestätigt haben, zu ihrer Darstellung stehen. Diese zwei Quellen sind anonym. Dazu kommt Jean Ziegler, der sehr detailliert erzählt. Dazu kommt die Gegenseite. Ich habe mit dem Verhandlungspartner der PLO gesprochen, das ist Herr Farouk Kaddoumi, er war jahrzehntelang die Nummer 2 der PLO hinter Yassir Arafat. Herr Farouk Kaddoumi lebt im Exil in Tunis. Und ich habe ihn dort aufgesucht und zweimal getroffen. Und er hat alles bestätigt."
    Keine schriftlichen Beweise
    Schriftliche Beweise hat Gyr nicht. Doch seine Beweiskette ist stichhaltig. Jean Ziegler, damals mit der PLO gut vernetztes Enfant terrible der Schweizer Sozialdemokratie, heute über 80 und als Globalisierungskritiker auch in Deutschland bekannt, ist ein glaubwürdiger Zeuge. Die Motive der Akteure sind stimmig. Und auch der letzte Überlebende der damaligen Krisenrunde in der Regierung, der 90-jährige Bundeskanzler Walter Buser, bestätigt im Kern geheime Verhandlungen.
    "Erst bei unserem zweiten Treffen erinnert sich der frühere Bundeskanzler doch noch an ein wichtiges Detail. Am Rande einer Sitzung habe Graber beiläufig erwähnt, dass es gewisse Kontakte mit palästinensischen Kreisen gäbe. Dass Pierre Graber seine Bundesratskollegen nur beiläufig über die von ihm in die Wege geleiteten Verhandlungen mit der PLO informierte, überrascht den langjährigen Bundeskanzler Walter Buser nicht. Es habe Grabers Persönlichkeit widerstrebt, einzugestehen, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen - zumal diese Hilfe vom politischen Paradiesvogel Jean Ziegler stammte."
    Über die Frage, warum nach 1970 in der Schweiz keine Terroranschläge mehr verübt wurden, ist schon früher spekuliert worden. Der Hamburger Politologe Wolfgang Kraushaar schrieb ein Buch über die Verwicklungen linksradikaler Antisemiten in den Palästinenserterror. Der britische Autor David Yallop brachte die These ins Spiel, die Swissair und andere Airlines hätten Terroristen dafür bezahlt, sie zu verschonen. Doch Gyrs Version der Geschehnisse ist die bislang einleuchtendste. Denn sie könnte auch erklären, warum den Attentätern von Würenlingen bis heute kein Prozess gemacht wurde. Dabei war schnell bekannt, wer in München die Paketbombe aufgegeben hatte, die dann in Flug 330 detonierte. Doch der Schweizer Bundesanwalt stoppte das Verfahren nach dem Abkommen mit der PLO, glaubt Gyr. Fest steht: Die PLO eröffnete bald nach dem angeblichen Deal ein Büro in Genf, trotz Warnungen des damaligen Schweizer Geheimdienstes, der Bundespolizei.
    "Der damalige Chef der Bundespolizei, Herr André Amstein, hat von Anfang an gewarnt, weil es die Schweiz erpressbar machte. Das hat sich dann später auch bestätigt, weil die PLO konnte ständig Forderungen geltend machen gegenüber der Schweiz. Das hat sie auch mehrfach gemacht, das ist sehr genau protokolliert. Dieser Herr Barakat, der erste Diplomat des PLO-Büros in Genf, kam wiederholt nach Bern und hat gesagt, es sei ihm jetzt gerade noch knapp gelungen, weitere Attentate von der Schweiz abzuhalten. Aber damit er das weiterhin garantieren könne, müsse das und das erfüllt werden. Und er hat dabei mehrere Forderungen aufgestellt."
    Barakat hatte eine zwielichtige Rolle
    Dabei hatte Daoud Barakat womöglich alles andere als eine weiße Weste. Unmittelbar nach dem Anschlag auf die Olympischen Spiele in München 1972 machte das US-Nachrichtenmagazin "Newsweek" ihn als Drahtzieher für das Attentat verantwortlich. Angeblich stand er auf einer Todesliste des israelischen Geheimdienstes, doch einem Protokoll zufolge, das Gyr vorliegt, bat Geheimdienstchef Amstein darum, nichts gegen Barakat zu unternehmen, solange er sich in der Schweiz aufhalte. Heute lebt Barakat unbehelligt in Deutschland. Es gilt die Unschuldsvermutung.
    In der Schweiz hat das Buch des "NZZ"-Reporters eine kontroverse Debatte ausgelöst. Vor allem im Konkurrenzblatt der "Neuen Zürcher Zeitung", dem "Tages-Anzeiger", kommen Kritiker und Zweifler zu Wort. Zweifellos ist das Dilemma von einst bis heute aktuell.
    "Es stellt sich die Grundsatzfrage: Soll man mit Terroristen verhandeln, darf man das? Es stellen sich viele schwierige Fragen, die eine Debatte wert sind."
    In "Schweizer Terrorjahre" ist es Marcel Gyr gelungen, eine schlüssige Beweiskette aufzustellen, die gründlich recherchiert und spannend zu lesen ist. Die Frage, wie der Staat mit Terroristen umgeht, ist zudem in Zeiten von IS und Al-Qaida aktuell wie lange nicht.
    Buchinfos:
    Marcel Gyr: "Schweizer Terrorjahre. Das geheime Abkommen mit der PLO", Verlag Neue Zürcher Zeitung 2016, Preis: 34,00 Euro