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Terror in der Türkei
"Die Spannungen könnten kaum größer sein"

Die Tatsache, dass in Istanbul Angehörige der Staatsmacht attackiert wurden, deute auf einen PKK Anschlag hin, sagte Hans-Georg Fleck von der Friedrich-Naumann-Stiftung Istanbul im DLF. Erdogans Ziel, die PKK zu zerschlagen, könne somit ungemindert fortgesetzt werden. Es gehe für Erdogan in erster Linie darum, Stärke zu demonstrieren.

Hans-Georg Fleck im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bombenanschlag auf einen Polizeibus in Istanbul.
    Bombenanschlag auf einen Polizeibus in Istanbul. (picture alliance/dpa - EPA)
    Bettina Klein: Hans-Georg Fleck arbeitet für die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung in Istanbul. Ich habe mit ihm über das deutsch-türkische Verhältnis gesprochen, aber auch über den Anschlag heute in Istanbul. Erdogan meint ja, kurdische Extremisten stünden dahinter. Ist das Ihrer Meinung nach glaubhaft?
    Hans-Georg Fleck: Ich denke mal, die Tatsache, dass es ein doch wohl sehr gezielter Anschlag auf zwei Polizeifahrzeuge, Personentransporter der Polizei gewesen ist, diese Tatsache deutet darauf hin, dass das ein Anschlag nach dem Muster der PKK ist, die ja gezielt den Staatsapparat beziehungsweise die Sicherheitsorgane des Staates attackiert und eben nicht, wie das bei anderen Anschlägen der Fall war, die auch dann andere Täter wohl hatten, gezielt irgendwelche Personengruppen, unbeteiligte Personengruppen.
    Klein: Wenn sich diese Hintergründe bewahrheiten sollten, was bedeutet dann dieser erneute Anschlag für das innenpolitische Klima in der Türkei, das ja schon angespannt genug ist?
    PKK im ländlichen Südost-Anatolien ausmerzen
    Fleck: Ja. Ich denke mal, dass man das ganz nüchtern so sehen muss. Das trägt eigentlich nur dazu bei, dass die Spannung so hoch ist, wie sie ist. Sie könnte kaum höher sein, was die Auseinandersetzung des Staates mit der PKK anbelangt. Die Kämpfe, die weiterhin toben in Südost-Anatolien, gehen unvermindert fort.
    Der Staat glaubt, der Öffentlichkeit weißmachen zu können, dass die Kämpfe in den Städten Südost-Anatoliens erfolgreich bestanden worden sind, aber es gibt ständig Auseinandersetzungen, die auch in den Städten laufen. Man spricht jetzt davon, dass der Staat seinen Kampf im Wesentlichen auf die ländlichen Gebiete Südost-Anatoliens ausdehnen wird, um dort die PKK auszumerzen. Es deutet nichts darauf hin, dass irgendetwas sich an der Intensität der Auseinandersetzung verringert hätte.
    Klein: Schlagen wir mal an dieser Stelle den Bogen zu den deutsch-türkischen Beziehungen, die ja im Augenblick wieder ausgesprochen angespannt sind, nachdem Erdogan Bundestagsabgeordnete wirklich beleidigt hat und teilweise auch bedroht hat. Da war auch die Rede davon, sie seien der verlängerte Arm der PKK, um bei diesem Stichwort mal zu bleiben. Wie ernst muss man solche Anfeindungen nehmen?
    Der Anfang von Maßnahmen gegen die Freiheit
    Fleck: Die muss man insofern ernst nehmen, als die Beschuldigung, einer Terrororganisation zuzugehören, praktisch immer der Anfang ist von Maßnahmen, die sich gegen die Freiheit, die freie Meinungsäußerung, die persönliche Freiheit von politischen Gegnern Erdogans richten. Insofern ist das nicht als eine der vielen fragwürdigen Äußerungen von Präsident Erdogan abzutun. Das ist schon ernst zu nehmen. Aber man sollte andererseits auch sehen:
    Die Situation ist natürlich dadurch angespannt, dass die Türkei, die türkische Regierung meint, in irgendeiner Weise auf die Resolution des Bundestages zum Genozid gegen die Armenier reagieren zu müssen und der Öffentlichkeit dort gegenüber auch Stärke zeigen zu müssen. Wenn man das zugrunde legt, diese Tatsache, dann muss man sagen ist die türkische Reaktion bisher eigentlich zwar verbal wie oft bei Erdogan sehr laut, sehr schrill, aber de facto doch relativ gemäßigt.
    Klein: Es geht ja noch weiter. Es geht ja dahin, dass Erdogan jetzt zum Beispiel sagt, die Abgeordneten mit türkischen Wurzeln im Deutschen Bundestag, die allesamt deutsche Staatsbürger sind und sein müssen, wenn sie gewählte Abgeordnete sind, "was sind denn das für Türken, ihr Blut müsse durch einen Labortest untersucht werden, sie haben mit Türkentum nichts gemein, ihr Blut ist schließlich verdorben." Sind das nicht ausgesprochen rassistische, völkische Feststellungen, einem solchen Weltbild entsprechend, das man eigentlich woanders im Augenblick vermutet?
    Fleck: Ja, das ist sicher richtig. Das gibt einen, von den Autoren dieser Äußerungen vielleicht gar nicht gewollten Einblick in die Seele, in die politische Seele und in den Zustand der politischen Kultur der Türkei. Es wird der Eindruck erweckt, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit einem türkischen Migrationshintergrund allesamt entweder aus einem kurdischen, oder einem alevitischen Hintergrund oder irgendwo aus einer linken Gruppierung stammen würden und dass sie sich praktisch ihres Türkentums schon von Kindesbeinen an entledigt hätten.
    Ziel ist, türkische Gemeinde in Deutschland aufzumischen
    Ich glaube, die Zielrichtung ist hierbei vor allen Dingen auch die türkische Gemeinde in Deutschland, die man aufmischen möchte, um sie noch mehr in eine konfrontative Situation zur deutschen Gesamtbevölkerung zu bringen. Ich glaube, das ist das Gefährlichere an dieser Sache als diese lauten Töne, die für uns, sagen wir mal, sehr, sehr ungewöhnlich klingen und die wir nicht erwarten von einem Staatsoberhaupt. Es gibt unter den türkischen Mitbürgern in Deutschland, zumindest unter denen, die noch wahlberechtigt sind in der Türkei, einen erklecklichen Anteil, der besonders empfänglich ist für die Argumentation und Propaganda von Herrn Erdogan, denn wir wissen ja, dass die Wahlresultate der AKP in Deutschland relativ besser sind als die Wahlresultate in der Türkei selbst.
    Klein: Angesichts der Tiraden stellt sich natürlich die Frage nach den geeigneten Reaktionen. Die Kanzlerin hat heute davon gesprochen, dass diese Vorwürfe gegen frei gewählte Abgeordnete des Deutschen Bundestages für sie nicht nachvollziehbar seien. Politiker der Grünen, die gerade auch selber betroffen waren von Bedrohungen, glauben, dass das nicht genug ist. Sie hätten sich eine stärkere Reaktion gewünscht. Wie sehen Sie das?
    Modus Vivendi mit der Türkei finden
    Fleck: Ich denke, dass diese Äußerung der Bundeskanzlerin durchaus angemessen ist, denn wir müssen ja in Rechnung stellen, sie kann nicht nur die Frage der Befindlichkeit der Bundestagsabgeordneten, die jetzt attackiert worden sind, im Auge haben, sondern sie muss auch die türkisch-deutschen Beziehungen im Allgemeinen im Auge haben, und die Bundeskanzlerin ist natürlich in einer Situation, wo sie auch darauf angewiesen ist, dass man einen Modus Vivendi mit der Türkei findet. Insofern finde ich diese moderate Äußerung, die man vielleicht als etwas zu moderat ansehen könnte, angemessen und richtig.
    Klein: Sie arbeiten selbst für die Friedrich-Naumann-Stiftung in Istanbul. Wie frei können Sie arbeiten, oder wie viel spüren Sie von Feindseligkeiten oder auch von Drohungen im Augenblick?
    Fleck: Im Moment ist es noch so, dass wir eigentlich unbehelligt unsere Arbeit durchführen können, so transparent, wie wir das immer getan haben und weiter tun werden, sodass jeder sich informieren kann und keine Mutmaßungen anstellen muss darüber, was die Friedrich-Naumann-Stiftung oder auch die anderen politischen Stiftungen aus Deutschland in der Türkei tun.
    Aber wir sind als politische Stiftungen alle im Fokus nationalistischer Kräfte, die versuchen wollen, das deutsch-türkische Verhältnis systematisch zu demontieren, und dazu gehören auch Vorwürfe absurdester Art gegen die Arbeit der Stiftungen, die als die Vorhut einer deutschen Verschwörung gegen die Türkei bezeichnet werden, beginnend mit den Gezi-Park-Demonstrationen, alles das als eine angebliche, von Deutschland aus gesteuerte Aktion zur Destabilisierung der Türkei. Da werden wir in Sippenhaft genommen und das bedeutet für uns: Momentan, wie ich sagte, arbeiten wir noch frei. Das kann sich jeden Tag, jede Stunde ändern.
    Klein: Hans-Georg Fleck von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Istanbul über das deutsch-türkische Verhältnis.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.