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Terror in Großbritannien
"Erstaunlich, wie wenig das den Alltag beeinflusst"

Der Terroranschlag von Manchester werde wohl keinen größeren Einfluss auf das Leben der Briten und die Gesellschaft haben, sagte der britische Kolumnist Peter Bild im DLF. Der Anschlag werde auch im Wahlkampf keine Rolle spielen. Die meisten Politiker würden sich kaum trauen, das Thema zu instrumentalisieren.

Peter Bild im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Menschen sitzen auf einer Terasse auf der Canal Street in Manchester. Das Leben scheint nach dem Terroranschlag auf ein Popkonzert wieder normal weiter zu gehen. 22 Menschen waren dabei am Montagabend getötet und Dutzende verletzt worden.
    Menschen sitzen an der Canal Street in Manchester. Das Leben scheint nach dem Terroranschlag auf ein Popkonzert wieder normal weiter zu gehen. (dpa / Teina Ryynänen)
    Tobias Armbrüster: Es sind bewegende Bilder, die wir da seit gestern Morgen aus Manchester bekommen haben, trauernde, weinende Menschen, Trauer, Gedenkveranstaltungen überall im ganzen Land. In ganz Großbritannien sind Menschen auf die Straße gegangen, um ihr Mitgefühl zu zeigen mit den Opfern und mit den Angehörigen der Opfer dieses Anschlags. Die britische Regierung hat ebenfalls gestern einen weiteren Schritt getan und die höchste Terror-Alarmstufe für das gesamte Land ausgegeben. Das heißt, auch das britische Militär wird jetzt in diesem Kampf gegen Terror aktiv.
    Wie sehr prägt diese Entwicklung den britischen Alltag? Darüber können wir jetzt mit Peter Bild sprechen. Er war lange Jahre Korrespondent in Deutschland für viele britische Tageszeitungen. Heute lebt er wieder in Großbritannien. Schönen guten Morgen nach London.
    Peter Bild: Ja, guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Bild, mit welchem Gefühl sind Sie heute Morgen aufgewacht?
    "Ich werde meinen Alltag nicht ändern"
    Bild: Mit einem traurigen Gefühl. Das Leben geht weiter, das wissen wir inzwischen, auch wenn diese Terrorstufe jetzt auf kritisch ausgerufen wurde. Ich fühle mich ja nicht irgendwie kritisch bedroht. Das Leben muss einfach weitergehen. Ich werde auch genauso wie an jedem Tag spazieren gehen und werde meinen Alltag nicht ändern, und das gilt, glaube ich, für die meisten Leute. Natürlich wird man ein bisschen wachsamer sein, vielleicht wenn man zum Fußball geht. An diesem Wochenende haben wir den großen Pokal und auch ein Rugby-Match haben wir und da werden wir sicherlich auch mehr Militär sehen als üblich. Aber der Alltag geht weiter. Man ist traurig, aber man fürchtet sich nicht von einem Tag zum anderen.
    Armbrüster: Nun hat Großbritannien vor allem in den vergangenen Monaten so einige bedrohliche Situationen erlebt und auch einige Anschlagssituationen. Kann man sagen, dass sich die Briten langsam an diese Terrorgefahr gewöhnen?
    Bild: Nicht nur langsam; seit Langem ist man daran gewöhnt. Wenn ich zurückdenke in die 60er- und 70er-Jahre, wo ich auch damals in London gelebt habe, war ich viermal nicht weiter als einen Kilometer entfernt von einer Bombe, aber damals von der IRA, also von den irischen Revolutionären. Und nicht eine Bombe habe ich gehört, obwohl ich da ganz in der Nähe war. Es ist erstaunlich, wie wenig das den Alltag beeinflusst.
    Armbrüster: Ist das eine gute Sache, oder ist das bedrohlich, wenn man so einfach mit so einer Gefahr leben kann?
    "Mehr als aufpassen kann man nicht tun"
    Bild: Natürlich. Ich finde, es ist eine gute Sache für die Gesellschaft. Natürlich soll man aufpassen, dass man nicht unnötig stirbt oder dass man nicht unnötig bedroht wird. Aber das ist genauso, wie wenn man über die Straße geht. Man soll dann aufpassen. Aber mehr kann man ja nicht tun, wenn man in einer normalen Gesellschaft wohnen und leben will, die nicht durch den Terror zerstört wird.
    Armbrüster: Jetzt haben wir erfahren, der Täter von Manchester war ein junger Mann mit deutlich islamistischem Hintergrund. Die Einzelheiten, die Hintergründe dieser Tat, die sind noch nicht geklärt. Auch über weitere Hintermänner wissen wir nichts. Aber zumindest so viel steht fest: ein deutlicher Zusammenhang zum militanten Islamismus in Großbritannien.
    Bild: Ja, es steht noch nicht völlig fest, aber ist höchst wahrscheinlich. Ich meine, daran wird man sicherlich glauben, außer man findet irgendwas völlig anderes. Es scheint, als ob er seine Eltern, die inzwischen wieder in Libyen leben, neulich besucht hat. Von Libyen ist er vielleicht über Syrien, so viel wird verdächtigt, aber noch nicht gewusst. Man weiß es noch nicht. Eins steht aber fest: Dieser Anschlag ist anders als zum Beispiel der Anschlag auf Westminster und auch die Anschläge, die in Deutschland neulich stattgefunden haben, denn das war eine Bombe. Das war nicht nur ein Lastwagen, der wild gefahren wurde, um Leute umzubringen. Das ist eine Bombe und das braucht jetzt Vorbereitung, und deshalb hat man natürlich etwas mehr Angst, dass es vielleicht ein Netzwerk von Leuten gibt und dass es vielleicht zu einem zweiten Anschlag kommen wird, wenn diese Leute noch frei herumlaufen.
    Armbrüster: Wenn jetzt automatisch die muslimische Gemeinde ins Visier der Ermittler gerät, wie groß ist dann die Gefahr, dass so ein Anschlag auch wieder neue Gräben reißt in der multikulturellen britischen Gesellschaft?
    "Das wird nicht zu Lasten von allen Muslimen gehen"
    Bild: Natürlich gibt es diese Gefahr. Man hat gesehen gestern auf dieser Wache, dass auch viele Muslime da waren. In der Nacht sofort nach dem Anschlag sind Taxifahrer, wovon sehr viele Muslime sind, herumgefahren und haben Leute umsonst weitergebracht oder nach Hause gebracht oder in Krankenhäuser. Die Gesellschaft kommt doch irgendwie solidarisch zusammen und das wird auch anerkannt, dass es nicht jeder Muslime ist. Es sind ganz extreme Terroristen und das wird nicht zu Lasten von allen Muslimen gebracht.
    Armbrüster: Wie sehr wird das jetzt alles den Wahlkampf in den kommenden Tagen prägen, wenn denn der Wahlkampf weitergeht?
    Bild: Wenn der Wahlkampf weitergeht. Inzwischen ist er suspendiert worden, aufgehoben worden. Ich glaube nicht, dass es sich irgendwie auswirken wird, außer vielleicht, dass der eine oder andere Politiker – und das wäre eventuell Herr Corbyn …
    Armbrüster: Von der Labour-Partei.
    Bild: Ja, von der Labour-Partei natürlich. …, wenn er das irgendwie versucht zu entschuldigen. Es gibt keine Zeichen, dass er so was machen würde, obwohl er das vielleicht bei den Iren, bei der IRA früher gemacht hat.
    Armbrüster: Was glauben Sie denn, könnte sich dann im Wahlkampf der Fokus verschieben?
    "Das wird im Wahlkampf keine Rolle spielen"
    Bild: Dies wird im Wahlkampf keine Rolle spielen. So ein Anschlag und die Maßnahmen, die man dagegen trifft, die gehen weit über die Politik. Und ich glaube, die meisten Politiker werden sich kaum trauen, das irgendwie zu instrumentalisieren.
    Armbrüster: Herr Bild, Sie kennen jetzt Deutschland ebenfalls sehr gut als langjähriger Korrespondent hier bei uns in Deutschland. Wenn Sie da einen Vergleich ziehen, würden Sie sagen, gehen die Briten besonnener, vielleicht auch etwas lässiger um mit solchen Gefahren?
    Bild: Das ist mein Eindruck, ich will das nicht verallgemeinern. Aber dass die Leute hier ziemlich phlegmatisch sind und einfach diese Gefahren in Kauf nehmen, ohne darüber zu hysterisch zu werden, ist nicht nur ein Zeichen, glaube ich, in Großbritannien. Auch in Deutschland würde das nicht die ganze Gesellschaft zerstören oder stören sogar. Aber vielleicht ist es doch bemerkbar, dass man hier sehr phlegmatisch damit umgeht.
    Armbrüster: Der ehemalige britische Deutschland-Korrespondent Peter Bild hier heute Morgen live bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr Bild.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.