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Terror in Nizza
"Dieser Anschlag passt in ein Muster"

Dass der Anschlag in Nizza einen islamistischen Hintergrund hat, hält Joachim Krause, Sicherheitsexperte und Professor für Politikwissenschaften an der Universität Kiel, für wahrscheinlich. Die Tat von Nizza sehe sehr nach einem terroristischen Anschlag aus, sagte er im DLF. Gleichzeitig warnte er davor, alle Muslime unter Verdacht zu stellen.

Joachim Krause im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Lkw mit Polizeiauto und Krankenwagen
    Der Lkw, der in Nizza in die Menge raste (dpa/picture-alliance/Fernandes)
    Thielko Grieß: Frankreichs Nationalfeiertag liegt in jedem Jahr auf dem 14. Juli. In der Hauptstadt defiliert dann die Armee, das Land genießt einen freien Tag, man erinnert sich des Beginns der französischen Revolution, einer Revolution, die ein Markstein war für Menschenrechte, für Gleichheit und Brüderlichkeit, für große Worte, die Frankreich an so einem Tag mit Inhalt füllt - nicht nur in Paris, in kaum zählbaren Städten im ganzen Land, auch kleineren Orten, natürlich auch in der Mittelmeer-Großstadt Nizza gestern Abend. Es hat ein Feuerwerk gegeben zum Abschluss dieses Tages und dieses Feuerwerk ist gerade vorüber gewesen, als ein LKW in die Menschenmenge auf einer Promenadenstraße direkt am Meer fährt und dabei Dutzende Menschen tötet.
    Joachim Krause ist Sicherheitsexperte an der Universität Kiel, Professor für Politikwissenschaft in Kiel. Mit Joachim Krause haben wir kurz vor dieser Sendung, vor wenigen Minuten ein Interview aufgezeichnet, das wir Ihnen jetzt senden. Ich habe Joachim Krause zuerst gefragt, dass es ja eine begriffliche Verwirrung gibt. Manche sprechen von Terror, manche von Attentat, manche von Amokfahrt. Der französische Präsident Francois Hollande spricht von einer Tat mit terroristischem Charakter. Herr Krause, welcher Begriff passt in Ihren Augen?
    Joachim Krause: Ich glaube mal, dass der französische Präsident Recht hat. Das ist ein Anschlag, der sehr nach einem terroristischen Anschlag aussieht. Natürlich ist noch nicht alles geklärt, ob derjenige, der den Anschlag verübt hat, auch tatsächlich derjenige ist, dessen Ausweis man im Auto gefunden hat. Da werden wir noch abwarten müssen. Aber dieser Anschlag passt in ein Muster hinein, welches die Anschläge des Islamischen Staates sind, und insofern würde es mich nicht wundern, wenn auch hier die Spuren nachher zum Islamischen Staat führen.
    Grieß: Was für ein Muster haben Sie da vor Augen?
    Krause: Der Islamische Staat hat seine Anhänger aufgefordert, so viele Ungläubige wie möglich zu töten in den Ländern des Westens, und das hat hier offensichtlich einer getan. Ob er das alleine gemacht hat oder zusammen mit anderen, weiß ich nicht. Die Person, dessen Ausweis man dort gefunden hat, ist ja bekannt gewesen als Kleinkrimineller. Auch das ist ein typisches Muster, was wir bei Attentätern aus dem islamistischen Umfeld haben: Leute, die Versagertypen sind, die kleinkriminell sind und irgendwann in die Fänge von islamistischen Hasspredigern geraten.
    Grieß: Jetzt gibt es zur Stunde heute Mittag noch keinen Bekenner-Tweet oder irgendeine Nachricht des Islamischen Staates, der dieses Attentat für sich reklamieren würde. Macht Sie das stutzig?
    Krause: Nein, auch das nicht, weil das ist ein Muster, was man auch immer wieder sieht, dass überhaupt gar keine Bekenner-Tweets erscheinen.
    "Es fällt schon schwer, die Zahl der bekannten Gefährder zu überwachen"
    Grieß: Aber das wäre ja aus Sicht des Islamischen Staates - entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche - ein Propagandaerfolg. Da würde man doch in der Propagandaabteilung des IS sehr schnell draufspringen.
    Krause: Kann sein! Kann sein, kann auch nicht sein. Wir haben immer schon Fälle gehabt, wo sich niemand zu irgendetwas bekannt hatte, auch andere Fälle, wo sie sich sehr schnell zu etwas bekannt haben, obwohl das zweifelhaft war, ob das tatsächlich gesteuert war vom IS. Und es kann auch sein, dass das jemand war, der sich durch IS- oder durch Al-Kaida-Propaganda hat radikalisiert, ohne dass dieser Anschlag jetzt abgesprochen war mit irgendeinem Führungsoffizier des IS. Das werden wir alles in den nächsten Tagen und Wochen, denke ich mal, genauer wissen.
    Grieß: Der Täter - das wissen wir, das haben Sie auch gerade erwähnt - ist als Kleinkrimineller bislang aufgefallen, aber ansonsten nicht weiter. Muss das bedeuten, dass es da Lücken in der Erfassung gibt, in der Überwachung auch solcher möglicher Täter?
    Krause: Ja, das Problem ist, Sie können ja nicht alle Kleinkriminellen dauerhaft überwachen. Es fällt schon schwer, die Zahl der bekannten Gefährder aus dem islamistischen Raum zu überwachen. Das ist nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland so der Fall. Und es hat immer wieder Fälle gegeben, wo gerade Leute sich aus diesem Bereich, Kleinkriminelle Losertypen relativ schnell radikalisiert haben und das ist dann auch niemandem aufgefallen, wenn bestenfalls aus dem engeren Familienumkreis oder Freundeskreis, und dann werden diese Botschaften aber nicht notwendigerweise an die Polizei weitergegeben. Das ist etwas, was, ich sage mal, nicht auffällig ist, dass jemand sich relativ rasch radikalisiert.
    Grieß: Es gibt einen Tätertypus, der so eine Tat vorbereitet, mit sich das im Wesentlichen ausmacht, vielleicht mit engen Freunden oder der Familie darüber spricht, und das gelangt dann nicht an die Polizei. Aber er hängt es vorher tatsächlich nicht an die große Glocke und in diesem Fall hat er sich offenbar einen LKW gemietet und ist dann losgefahren?
    Krause: Ja, ja. Dieses Profil haben wir doch immer wieder gehabt und manchmal entdeckt man, dass es doch noch irgendeine Steuerungsperson im Hintergrund gab. Aber oftmals sind das auch Täter, denken Sie an die Attentäter in Boston, das waren zwei Brüder, die haben sich gemeinsam radikalisiert und haben diesen Anschlag gemeinsam durchgeführt, und selbst im engeren Umkreis ist das nicht aufgefallen, dass sie diese Vorbereitungen gemacht haben.
    Grieß: Die Polizei, die Sicherheitskräfte sind sicherlich vorbereitet gewesen auf Anschläge, Attentate, die mit Pistolen, mit Maschinengewehren, mit Maschinenpistolen hätten verübt werden können. Jetzt ist es dort ein LKW gewesen, ein Fahrzeug, ein Alltagsgegenstand. Auf welche Gegenstände muss man sich denn noch vorbereiten?
    Krause: Im Prinzip auf alles, was irgendwie einen großen Schaden anrichten kann, und ich befürchte auch, dass dieser Anschlag möglicherweise Vorbild für andere Personen sein könnte, es dem Täter nachzutun. Denn es ist schon schwierig, an Waffen zu geraten. Es ist noch leichter, an einen Lastwagen zu geraten. Man kann ihn ganz einfach mieten. Und mit so einem Lastwagen können Sie sehr viel schlimme Sachen anstellen. Wir kennen das ja auch aus Israel, wo zum Teil PKW genutzt worden sind, um irgendwo in eine Menschenmenge reinzurauschen und möglichst viele Menschen zu töten. Die Idee ist ja nicht neu, aber dieses Mal mit einem Lastwagen, das ist natürlich sehr viel tödlicher, todbringender als nur mit einem PKW, und ich befürchte, dass es Nachahmungstäter geben wird.
    Grieß: Gegen so etwas gibt es keinen Schutz?
    Krause: Ich befürchte nicht. Es gibt natürlich bessere Möglichkeiten, oder man sollte Möglichkeiten prüfen, wem man was verleiht. Aber es ist zumindest meines Erachtens leichter, an einen Lastwagen zu gelangen als an Waffen.
    Grieß: Wir haben ja schon über etliche Anschläge in Frankreich sprechen müssen, auch in Belgien. Aber auch heute sei diese Frage erlaubt: Welche Unterschiede gibt es, was Täterstruktur, Täterpotenzial betrifft, in diesem Fall zwischen Frankreich und Deutschland?
    Krause: Im Prinzip eigentlich keine so großen Unterschiede. Es ist jedes Mal immer ein Milieu von, ich sage mal, radikalisierten Salafisten, die es in Frankreich wie in Deutschland gibt. Aber offensichtlich ist die Größenordnung in Frankreich doch ein bisschen größer als bei uns. Ich meine, bei uns ist sie schon beunruhigend. Wir rechnen mit vier bis 500 Gefährdern, salafistischen Gefährdern allein in Deutschland. Das heißt, das sind Personen, von denen man davon ausgeht, dass sie in der Lage und bereit wären, solche Anschläge auszuführen. In Frankreich dürfte diese Zahl doch noch deutlich darüber liegen und offensichtlich haben die französischen Behörden nicht den Überblick, den sie bräuchten, um tatsächlich die gesamte Szene zu überblicken.
    Krause: Radikalisierung muss verhindert werden
    Grieß: Mit Blick auf Zuwanderungs- und Einwanderungspolitik, welche Konsequenzen schlagen Sie vor?
    Krause: Oh, das ist schwer zu beantworten, weil integrationspolitisch heißt das natürlich, man muss besonders aufpassen, dass junge arabische Menschen nicht außer Tritt geraten und in "Karrieren" rein geraten, wo sie zum Opfer solcher Hassprediger werden oder von Islamisten werden. Das ist einfacher gesagt als getan. Wir sehen ja jetzt, dass mehr Anstrengungen gemacht werden sollen in Deutschland. Aber ich befürchte, da werden wir noch ordentlich zulegen müssen.
    Grieß: Welche Anstrengungen meinen Sie?
    Krause: Ich meine, das sind ganz banale Dinge, aber die sind wichtig, dass die Leute Deutsch können, dass sie lernen, sich hier zurecht zu finden, dass sie Arbeitsplätze bekommen. Das ist eigentlich das Beste, was man machen kann, um zu verhindern, dass junge Männer aus der arabischen Welt radikalisiert werden.
    Grieß: Einbürgerung wie jetzt geschehen - der Täter war ja ein in Frankreich geborener Franzose - reicht nicht?
    Krause: Nein. Ob er eingebürgert ist oder nicht, ist eigentlich völlig egal. Entscheidend ist, ob diese Menschen Perspektiven haben, ob man ihnen die Perspektiven leichter macht, oder ob man ihnen diese Perspektiven schwerer macht. Das ist meines Erachtens die entscheidende Frage. Und ob man sie einbürgert oder nicht, das ist dann eher eine formale Frage. Denn alle Erfahrungen zeigen, die Radikalisierung setzt dann an, wenn Sie junge Leute haben, deren Perspektive einfach sehr, sehr schlecht ist.
    Grieß: An diesem Tag bei Ihnen auch ein wenig Ratlosigkeit?
    Krause: In gewisser Weise ja. Wir sind mit einer Problematik konfrontiert, bei der wir alle nicht genau wissen, wie man sie eigentlich lösen sollte. Da gibt es keine perfekten Lösungsmöglichkeiten. Und diejenigen, die meinen, sie hätten perfekte Lösungsmöglichkeiten, indem sie die gesamten Muslime unter Verdacht setzen, die werden das ganze Problem nur noch verschärfen.
    Grieß: Joachim Krause, Sicherheitsexperte an der Universität Kiel und Professor für Politikwissenschaft. Herr Krause, danke für Ihre Einschätzungen.
    Krause: Gerne geschehen! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.