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Terror
IS macht sich in Libyen breit

In der libyschen Küstenstadt Derna hat sich eine 1.000 Mann starke Truppe der Terrororganisation Islamischer Staat festgesetzt. Experten bezweifeln zwar, dass die Dschihadisten in Libyen weitere Kämpfer anwerben können, doch das Land hat etwas, das der IS gebrauchen kann: Öl.

Von Peter Steffe |
    Blick von oben auf die libysche Küstenstadt Derna, dahinter das Mittelmeer.
    In der libyschen Küstenstadt Derna waren bereits islamistische Gruppen aktiv, bevor sich im Oktober 2014 der Islamische Staat dort festsetzte. (AFP/ Alessio Romenzi)
    Derna, 100.000 Einwohnern, Küstenstadt im Osten Libyens. Bis in die Hafenstadt Benghazi sind es Richtung Westen rund 270, bis zur Mittelmeerinsel Kreta im Norden Luftlinie 350 Kilometer. Seit Anfang Oktober weht über Derna das Banner der Terrormiliz des sogenannten Islamischen Staates.
    Rund 800 Mann stark soll die Truppe sein, die inzwischen mit der gleichen Brutalität wie die IS-Dschihadisten in Syrien und im Irak den Widerstand der Libyer in Derna offenbar gebrochen hat. Dass IS sich im Großraum der Küstenstadt festsetzen konnte, ist wenig verwunderlich, erklärt Gamal Abdel Gawad. Er ist Professor und Politikwissenschaftler an der Amerikanischen Universität Kairo:
    "IS hat die Gunst der Stunde und das Chaos in Libyen genutzt. In Derna operierende islamistische Gruppen wurden offenbar für eine Zusammenarbeit gewonnen. Einige der Milizen hatten Kontakte zu Al Kaida, andere waren unabhängig. Was wir sehen, ist weniger eine Neugründung oder Rekrutierung von Kämpfern für IS vor Ort. Vielmehr ist es ein Wandel was die Loyalität zu einer Terrorgruppe angeht, um eine IS-Basis in Derna zu installieren."
    In einer Audiobotschaft des Islamischen Staates, die am 14. November verbreitet wurde, verkündete eine Stimme, die dem selbsternannten Kalifen des Islamischen Staates, Abu Bakr al Bagdadi, zugeschreiben wird, die Ausbreitung der IS-Terror-Ideologie außerhalb Syriens und des Irak:
    "Oh Moslems freut Euch über die frohen Neuigkeiten, dass der IS sich weiter ausgedehnt hat, bis in andere Länder wie Saudi Arabien, Jemen, Ägypten, Libyen und Algerien. Hiermit erklären wir die Annahme der Gefolgschaft der Gruppen in diesen Ländern und wir annullieren die einheimischen Namen dieser Gruppen, erklären diese Länder zu IS-Emiraten und setzen unsere Gefolgsmänner dort ein."
    Anführer des libyschen IS-Ablegers ist Abu Nabil al Anbari
    Als Anführer des libyschen IS-Ablegers installierte Topterrorist Al Bagdadi in der Region Derna einen ehemaligen Weggefährten. Sein Name Abu Nabil al Anbari, ein Iraker. Ihn hatte der IS-Anführer während seiner Inhaftierung in einem US-Gefangenenlager im Irak kennengelernt.
    Al Anbari hat mit seinen Schergen in Derna sprichwörtlich alles im Griff. Die Terrormiliz kontrolliert Verwaltungseinrichtungen, Gerichte, das Erziehungswesen, eine örtliche Radiostation, zudem patrouillieren IS-Kämpfer durch die Stadt, sorgen für Ordnung. Das Vorgehen in Derna gleicht dem bekannten IS-Muster, sagt Politikwissenschaftler Gawad. Um Kontrolle ausüben zu können, wird erst mit äußerster Gewalt eingeschüchtert:
    "Das ist deren Taktik: Gegner ausschalten, durch Brutalität gefügig machen, um jegliche Form von Unterstützung für anderer Strukturen zu unterbinden. Es ist eine Taktik, Angst zu verbreiten. Nichts anderes. Das haben sie schon im Irak so gemacht gegen Minderheiten, gegen Schiiten, aber auch Sunniten. Möglicherweise werden wir weitere Brutalität in der Region Derna in den kommenden Tagen und Wochen erleben."
    Seit der IS seine schwarze Flagge über Derna gehisst hat, waren vor allem Politiker, Rechtsanwälte, Journalisten und Militärs Ziel des IS-Terrors in der libyschen Küstenstadt. Aber auch normale Bürger, die sich gegen das Diktat der Dschihadisten aufgelehnt haben. Es gibt IS-Videos aus dem örtlichen Fußballstadion, die öffentliche Hinrichtungen zeigen - durch Enthaupten und Erschießen. Auch Mitglieder konkurrierender Milizen, die sich dem IS nicht anschließen wollten, wurden aus dem Weg geräumt. Damit will man den alleinigen Machtanspruch in Libyen unterstreichen.
    Andere Voraussetzungen als in Syrien und Irak
    Islamistische Gruppen, die sich IS angeschlossen haben, sollen laut dem US-Fernsehsender CNN entlang der libyschen Küsten in Städten wie Benghazi, Sirte, al Khums und sogar in der Hauptstadt Tripolis Verbindungsstützunkte aufgebaut haben. Der Politikprofessor der Amerikanischen Universität Kairo ist allerdings skeptisch, ob es dem Islamischen Staat tatsächlich gelingt, weitere Kämpfer so einfach anzuwerben. Dazu sei die Struktur in Libyen eine völlig andere als in Syrien oder dem Irak:
    "Hier gibt es eine Stammesgesellschaft, Nationalisten, säkulare Kräfte, die weniger als Feindbild herhalten können, um neue Kämpfer für IS zu rekrutieren. Das beschränkt natürlich die Kapazitäten, um in Libyen weiter vorzurücken. Klar, Geld, um Dschihadisten anzuwerben, zieht immer. Der Islamische Staat hat zwar große finanzielle Möglichkeiten, aber auch die gehen irgendwann zur Neige."
    Oberstes Ziel für die europäischen Staaten müsse sein, mitunter zu verhindern, dass der IS, wie in Syrien und im Irak, in Libyen an Öl herankommt. Durch den Verkauf ließen sich Millionensummen erzielen. Die Terrormiliz Islamischer Staat hätte dann neben den Einnahmen aus Schutzgelderpressung, Steuern, Waffenhandel und Entführungen genügend Geldressourcen, um ihren Terror vor Ort zu bezahlen und voranzutreiben, erklärt Politikwissenschaftler Gamal Abdel Gawad. Der Westen müsse in Libyen daher dringend handeln:
    "Das Beispiel Syrien und Irak sollten den Amerikanern und Europäern eine Warnung sein. Hier hat man politisch in Zeitlupe agiert und quasi es IS überhaupt ermöglicht, groß zu werden. Das hätte vermieden werden können. Dieses Beispiel auf Libyen übertragen bedeutet, voraus zu denken und voraus zu planen und zu handeln. Die Situation im Mittleren Ost ist sehr ernst. Und die Kosten, wenn nicht gehandelt wird, können sehr hoch sein, schon in naher Zukunft."