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Terror und die Macht der Bilder
Angst und Schrecken verbreiten, um Gesellschaften zu destabilisieren

Ein junges Mädchen, das von Polizisten umlagert wird. Eines von vielen Bildern, die vom Terroranschlag in Manchester hängengeblieben sind. Der Terror produziert seine eigenen Bilder, immer mehr, immer monströser. Und das nicht erst seit gestern, sagt die Kunsthistorikerin Charlotte Klonk im Corsogespräch.

Charlotte Klonk im Corsogespräch mit Christoph Reimann |
    Ein Rettungswagen steht nach dem Anschlag in Manchester vor der Manchester Arena.
    Jüngstes Beispiel für die Macht der Bilder bei Terroranschlägen: Ein Rettungswagen steht nach dem Anschlag in Manchester am 22. Mai vor der Manchester Arena. (imago / PA Images)
    Charlotte Klonk: Der moderne Terror unterscheidet sich von allen politischen Gewalttaten in der Geschichte, indem er nicht mehr direkt einen unbeliebten, vielleicht auch tyrannischen Machthaber versucht umzubringen, sondern wirklich darauf abzielt, Orte zu attackieren, die von Bedeutung sind für die Gesellschaft, die man destabilisieren will. Also Bahnhöfe, wie das World Trade Center, also Zentren des Finanzverkehrs. Das gibt es tatsächlich. Also diese Orte werden auch schon am Ende des 19. Jahrhunderts ausgewählt. Und es geht vor allen Dingen darum, die Verbreitung von Angst und Schrecken in der Bevölkerung, der Gesellschaft, die man eben destabilisieren möchte.
    Wir haben noch länger mit Charlotte Klonk gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Christoph Reimann: Und das funktioniert dann am besten über Bilder, die dann verbreitet werden.
    Klonk: Genau, und das funktioniert eigentlich nur über Bilder, die verbreitet werden können. Es können natürlich auch Textnachrichten sein, aber die Bilder haben eben noch mal eine andere Kraft. Das heißt, in dem Augenblick, wo die Tageszeitungen Bilder drucken, gibt es auch den modernen Terror, das geht Hand in Hand.
    "Unsere Wahrnehmung lässt uns stärker auf Bilder reagieren"
    Reimann: Warum sind wir vielleicht bei Bildern sogar noch unkritischer - nehmen das eher auf, nehmen das eher wahr - als bei Texten? Da fragt man sich ja schon bei Texten eher mal, woher kommt das, wer hat das geschrieben. Aber bei Bildern, denen glauben wir so gerne.
    Klonk: Ja es ist erstaunlich. Also es wundert mich tatsächlich, je mehr ich mich mit Bildern beschäftige, weil Bilder ganz genau so wie jeder Bericht natürlich eine Auswahl zeigen, Ausschnitte, in Kontexten erscheinen, die auch schon den Interpretationszusammenhang vorgeben. Aber ich glaube, was Bilder von Sprache grundsätzlich unterscheidet ist, dass wir es mit den gleichen Sinnesorganen, also mi den Augen wahrnehmen, wie wir auch unsere Wirklichkeit beobachten, während jedes Wort, da ist von vorneherein schon mal klar, dass dieses Wort nicht mit der Wirklichkeit identisch ist, die damit vermittelt wird.
    Und ich glaube, dieser Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von Bildern, die genauso funktioniert - Farben, Licht, Schatten, wie wir Wirklichkeit wahrnehmen - bedeutet, dass wir stärker auf Bilder reagieren, körperlich reagieren, weil wir sie ja mit den gleichen Sinnesorganen so wahrnehmen, wie als wären wir in der Wirklichkeit.
    Die Kunsthistorikerin Charlotte Klonk
    Die Kunsthistorikerin Charlotte Klonk (Deutschlandradio / M. Hucht)
    Reimann: Der moderne Terror - das zeigen Sie auch in ihrem Buch - der geht stark einher mit der Entwicklung moderner Technologien, also Fotografie oder Videoaufnahmen. Das ist wahrscheinlich auch kein Zufall oder?
    Klonk: Die Fotografie, das ist noch mal ein besonderer Fall, weil die Fotografie konnte in Zeitungen erst relativ spät, ganz am Ende des 19. Jahrhunderts gedruckt werden, aus technischen Möglichkeiten. Und dann entsteht sogar noch mal ein merkwürdiger Aufschub, der sich erst mit Videotechnologie wieder aufgehoben hat: Die Fotografen, die Pressefotografen, waren eigentlich immer erst nach einem Anschlag vor Ort. Und es gibt erst mit der Möglichkeit der Live-Videoaufnahme wieder diese Aufzeichnung, die direkt Anschläge sozusagen live übertragen, wie am 11. September geschehen.
    "Über soziale Medien können Bilder ungefiltert verbreitet werden"
    Reimann: Was ja jetzt noch dazu gekommen ist im Grunde, sind soziale Medien, die einfach Bilder noch mal ganz anders verstärken, verteilen können. Spielen soziale Medien in der Verbreitung von solchen Schreckensbildern, tja, den Terroristen eigentlich in die Hände?
    Klonk: Also die sozialen Medien - ich glaube, das ist der große Umbruch im Augenblick - sind eigentlich, wenn Sie so wollen, die größte Waffe der Terrorakteure, weil sich über die sozialen Medien auf einmal ungefiltert Bilder verbreiten lassen - nicht nur von den Tätern selber, sondern auch von den Augenzeugen, die vor Ort ein aufnahmefähiges Gerät dabei hatten und das dann sofort online stellen. Und von da aus verbreitet sich das in Windeseile um die Welt in einer Weise, in der das in der Vergangenheit überhaupt nicht möglich war.
    "Bilder von Rettungsdiensten bringen Ruhe in die Sache"
    Reimann: Was Sie in Ihrem Buch auch zeigen ist, dass die Berichterstattung in Bildern immer nach dem selben Muster abläuft: Also es gibt zuerst ein Bild vom Ereignis selber - die Flugzeuge, die in das World Trade Center krachen. Dann veröffentlicht das Land, das attackiert wurde, ein Bild des Täters - ein Feindbild, zum Beispiel ein Fahndungsfoto von Osama bin Laden. Und dann, im dritten Schritt - wenn es denn möglich ist - gibt es ein Bild einer demütigenden Darstellung des Täters. Ist das ein Muster, das sich bewährt hat? Warum ist das so, wie erklären Sie sich das?
    Klonk: Es ist genau das, was ich festgestellt habe, dass das schon so war am Ende des 19. Jahrhunderts und heute auch immer noch so funktioniert. Zunächst versucht man ganz nah an die Tat heranzukommen, dann kommen schnell - ja - Täterbilder, Fahndungsbilder, Rettungsdienste, die im Einsatz sind, und, wenn es möglich ist, auch irgendwie die Erniedrigung der dann gefassten Täter noch zu bringen. Mich erstaunt das selber. Ich bin wirklich davon ausgegangen, dass sich was verändert hat in der Bildberichterstattung vom Ende des 19. Jahrhunderts, weil sich die Techniken ja enorm gewandelt haben. Aber das scheint sich nicht verändert zu haben.
    Und eigentlich, wenn man darüber nachdenkt, ist es auch erklärlich: Weil im Moment der größten Verunsicherung, wenn ein Anschlag passiert, ein zentrales Nervensystem einer Stadt lahmgelegt wurde, Menschen ums Leben gekommen sind, Menschen Angst haben, dass Sie eventuell auch unter den Opfern hätten sein können - kommen natürlich schnell Bilder, die irgendwie wieder Ruhe in die Sache bringen müssen, und das sind diese Bilder der Rettungsdienste. Wenn man ein Täterbild, ein Fahndungsbild zeigt, dann zeigt der Staat, dass er im Grunde die Kontrolle über die Situation nicht verloren hat, nämlich schon weiß, wer seine Gegner sind und entsprechende Mittel in Bewegung setzen kann. Und die Rettungsbilder sind auch eine Rückversicherung, dass Zivilgesellschaft eigentlich noch funktioniert, dass man in der Bedrohung nicht allein gelassen wird, sodass wieder Ruhe reinkommt in das, was ja eigentlich in Aufruhe gebracht werden sollte.
    "Nach jedem Anschlag gibt es Fakes"
    Reimann: Der Untertitel Ihres Buches ist "Wenn Bilder zu Waffen werden" und das sind dann eben diese Waffen: Einmal das Ereignis, das Bild des Ereignisses selber, aber auch dann, wenn sozusagen das angegriffene Land, was auch immer zurückschlägt mit der Veröffentlichung neuer Bilder.
    Klonk: Ja, das ist tatsächlich das, was mich auch erstaunt hat. Wie stark eigentlich die Staaten selbst, die Gesellschaften, aber auch die Regierung - zum Teil die Regierung, zum Teil die Gesellschaft - über die Medien relativ schnell Gegenbilder in Umlauf bringen zu den Bildern, die sie natürlich erst mal selber produziert haben, manchmal produzieren die Täter sie auch selbst. Dann kommen sehr schnell eben sogenannte - kann man Gegenbilder nennen - aber Bilder, die im Grunde schon eine Abwehr zeigen. Das kann soweit gehen wie 9/11, dass Bilder in Umlauf geraten, die im Grunde die Kriegserklärung, die die Regierung dann gegeben hat, vorbereiten, also in der Rhetorik des Krieges sind. Oder es sind Bilder der Erniedrigung der Täter, das sind ja auch potente, mächtige Gegenbilder.
    Reimann: In Zeiten von Fake News lassen sich natürlich auch mit Bildern neue, fiktive Realitäten inszenieren. Kann das eine Rolle spielen für den Terror der Zukunft?
    Klonk: Ja, wird man schauen müssen. Ich meine, es gibt nach jedem Anschlag immer eine ganze Reihe von Bildern, wo sich dann schnell herausstellt, dass das Fakes sind. Berühmt ist vielleicht der Fall, dass nach der Ermordung von Osama bin Laden in Abbottabad in Pakistan durch die amerikanische Spezialeinheit der Navi Seals, dass ganz schnell Bilder von dem toten Osama bin Laden in Umlauf kamen, die gefaket waren, obwohl die Obama-Regierung damals bewusst ja das Totenbild zurückgehalten hat. Also das gab es immer schon, und es kann schon sein, dass das mehr wird, weil die Verbreitungsmechanismen halt so potenziert sind durch die sozialen Medien.
    Reimann: Das sagt die Kunsthistorikerin Charlotte Klonk. Ihr aktuelles Buch heißt "Terror: Wenn Bilder zu Waffen werden". Haben Sie vielen Dank für das Corsogespräch.
    Klonk: Ich danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Charlotte Klonk: "Terror: Wenn Bilder zu Waffen werden"
    S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017. 320 Seiten, 25,00 Euro.