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Terror und Gewalt
"Veränderungsdruck lässt Bereitschaft zur Angst wachsen"

Dass die gegenwärtigen Terror- und Gewalttaten die Menschen ängstigten, sei ganz normal, sagte der Autor Johano Strasser im DLF. Eine Reihe von gesellschaftlichen Veränderungen beschleunigten die Überforderung. Zudem gebe es heute weniger Schutzräume wie Nachbarschaft oder Familie, um Ängste zu verarbeiten.

Johano Strasser im Gespräch mit Peter Kapern |
    Johano Strasser, ehemaliger Chef des deutschen PEN
    Johano Strasser, Autor des Buches "Gesellschaft in Angst – Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit" und Mitglied der SPD-Grundwertekommission (picture alliance/dpa/Uwe Zucchi)
    Angst sei ganz normal, sagte der Autor des Buches "Gesellschaft in Angst – Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit", der auch Mitglied der SPD-Grundwertekommission ist, im DLF. Der Mensch sei verletzlich und sterblich - wer nie und vor nichts Angst habe, habe Grund an seiner psychischen Gesundheit zu zweifeln. Allerdings spreche einiges dafür, dass der Angstpegel in der Gesellschaft zurzeit sehr hoch sei. Als Ursache dafür sieht Strasser die gegenwärtige Umbruchzeit.
    In solchen Zeiten hätten es die Menschen mit einem Übermaß an Veränderungsdruck zu tun und seien zum Teil überfordert. Dies werde unter anderem durch gestiegene Mobilitätsanforderungen, einen Verlust an vertrauter Umgebung, mangelnde berufliche Sicherheit und gelockerte Garantien des Sozialstaates beschleunigt. "Während die Menschen früher davon ausgehen konnten, dass die Welt morgen noch so ist wie heute, leben sie heute im Bewusstsein, dass schon morgen alles anders sein kann", führte Strasser aus.
    Hinzu komme die übermäßige Medienpräsenz negativer Nachrichten, die den Eindruck vermittelten, überall lauere Gefahr. In Wirklichkeit sei die Wahrscheinlichkeit, durch Gewalttaten wie die der vergangenen Tage getroffen zu werden, aber sehr gering. Strasser machte jedoch auch Mut: Die großen Angstwellen, etwa die Ende der 1970er Jahre, seien irgendwann einmal überwunden worden. Zudem seien die gegenwärtigen kommunikativen Möglichkeiten vorteilhaft für die Angstbewältigung. Ein Problem gebe es aber mit dem Internet: Die Verbreitung von Hasstiraden und Gerüchten sei sehr leicht. "Wir müssen darüber nachdenken, wie wir das verbessern können", sagte Strasser.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Was geschehen ist macht uns fassungslos. Es ist unbegreiflich. So oder so ähnlich klang es meistens, wenn man Freunde, Nachbarn und Verwandte nach dem fragte, was in den letzten Tagen auf uns alle eingestürzt ist. Meistens verbergen sich diese Ereignisse ja hinter Ortsmarken: München, Würzburg, Ansbach, Reutlingen. Kurz vorher waren es die Städtenamen Paris, Nizza und Orlando, die als Chiffren für das Unfassbare, das Unbegreifliche standen. Gewalttaten, die mal politisch motiviert, mal durch psychische Krankheiten verursacht, vielleicht auch manchmal beides, sich gegen Menschen richteten, die nichts getan hatten. Abgesehen davon, dass sie der Zufall am Tatort versammelt hatte. Was macht eine solche Verbrechensserie mit unserem Land, mit den Menschen, die hier leben?
    Fragen wir einen Mann, der politischen Spürsinn hat einerseits und andererseits Autor eines Buches ist mit dem Titel "Gesellschaft in Angst". Johano Strasser, guten Morgen!
    Johano Strasser: Guten Morgen.
    Kapern: Herr Strasser, was macht das mit uns, wenn eine Schreckensmeldung über Mord und Terror nach der anderen auf uns einprasselt?
    Strasser: Zunächst einmal ist es ganz normal, dass all die Dinge, die Sie jetzt benennen, uns Angst macht. Das ist das, was wir uns zunächst klar machen müssen. Angst ist normal. Der Mensch ist verletzlich, der Mensch ist sterblich und er weiß, dass er das ist. Wer nie und vor nichts Angst hat, hat Grund, an seiner psychischen Gesundheit zu zweifeln.
    Die Frage ist natürlich, ob der Angstpegel in unserer Gesellschaft heute ungewöhnlich hoch ist, und es spricht etwas dafür. Das ist auch nicht ganz neu, denn in Europa gab es in Umbruchzeiten schon immer große Angstwellen, zum Beispiel beim Übergang vom ersten zum zweiten Jahrtausend in der großen Pest, während der Zeit der Religionskriege am Ende des 19. und im Übergang zum 20. Jahrhundert. Umbruchzeiten sind Zeiten, in denen die Menschen unter einem Übermaß an Veränderungsdruck geraten und zum Teil überfordert sind, und es gibt in unserer Gesellschaft heute eine Reihe von Veränderungen, die dies bewirken. Zum Beispiel die ständige Beschleunigung der Innovationsprozesse und die damit zusammenhängende Entwertung erworbenen Wissens, die wachsenden Mobilitätsanforderungen, der Verlust vertrauter Umgebung, die Auflösung lebensleitender Institutionen wie der lebenslange Beruf auf der Basis in der Jugend erworbener Qualifikation, Laufbahnordnung, die Garantien des Sozialstaates werden gelockert, auch feste Zugehörigkeiten zu Kirchen, Vereinen, Nachbarschaften, Parteien gilt nur noch für wenige. Während die Menschen früher davon ausgehen konnten, dass die Welt auch morgen noch so ist, wie sie heute sich darstellt, leben sie heute in dem Bewusstsein, dass schon morgen alles völlig anders, faszinierend, ja, beunruhigend und deprimierend anders sein kann.
    "Bereitschaft, sich durch diesen Veränderungsdruck zu ängstigen, ist gewachsen"
    Kapern: Herr Strasser, in diesem Umfeld der Auflösung, so will ich es mal bezeichnen, das Sie da gerade skizziert haben, wirken da solche Gewalttaten, solche Serien von Gewalttaten, wie wir sie gerade erlebt haben, anders als das vielleicht früher der Fall war?
    Strasser: Ich glaube, ja. Ich glaube, dass die Bereitschaft, sich zu ängstigen, durch diesen Veränderungsdruck gewachsen ist und dass wir weniger Räume haben, in denen wir uns wieder Selbstvergewisserung holen können, stabile Nachbarschaften, stabile Familienzusammenhänge und dergleichen, wo wir vertrauensvoll miteinander umgehen, und deswegen die Stabilität der Menschen nicht mehr so groß ist, dass sie diese Dinge, die es ja immer gab in gewisser Weise, dass sie die aushalten können.
    Dazu kommt die übermäßige Medienpräsenz negativer Nachrichten, die den Eindruck erweckt, als sei die Gefahr überall da. In Wirklichkeit ist es so, dass die Dinge, über die wir jetzt reden, extrem seltene Dinge sind, und die Wahrscheinlichkeit, davon betroffen zu werden, auch sehr gering ist.
    "Möglichst früh professionelle Präventionsteams einschalten"
    Kapern: Die Menschen brauchen einerseits mehr Halt und andererseits weniger Radio, weniger Medienkonsum?
    Strasser: Nein, so will ich es nicht sagen. Aber die Zurückhaltung der Medien in der Berichterstattung über diese Dinge, insbesondere die bildhafte Darstellung all dieses Schrecklichen, wäre etwas, was eine Möglichkeit auch der Selbstverantwortung wäre von Menschen, die in den Medien arbeiten. Ansonsten ist dies natürlich kein Patentrezept. Wer sich über Sicherheit Gedanken macht, muss unterschiedliche Dimensionen des Problems beachten.
    Es gibt eine existenzielle Dimension. Das ist die Frage der Sterblichkeit, Krankheit und Tod. Hier können gläubige Menschen Stabilität finden. Menschen, die in stabilen Familienverbänden leben und Nachbarschaften leben, haben etwas an Stabilität zu gewinnen.
    Dann gibt es die soziokulturelle Dimension, die mit diesem Letztgesagten schon zusammenhängt. Vertrauenbasierte Nachbarschaften sind eine ganz wichtige Gegenstrategie gegen die Neigung zu Panik und übermäßiger Angst.
    Dann gibt es die technisch-organisatorische Dimension. Die steht bei uns meistens im Vordergrund. Natürlich mehr Polizei, mehr Überwachungskameras, das mag hier und da helfen. Man kann auch sich Bewegungsmelder auf die Terrasse installieren und Panzerriegel vor die Haustür tun und dergleichen. Aber viel wichtiger wäre Prävention, dass man bei Anzeichen für Fehlentwicklungen, die zu Amokläufen oder politisch motivierten Terrorakten führen können, möglichst früh schon professionelle Präventionsteams einschaltet, wenn einem da was auffällt, dass aggressives Verhalten bei Schülern in der Klasse, in der Schule, im Elternhaus thematisiert wird, dass für Radikalisierung Anfällige professionell betreut werden, dass über Mobbing geredet wird, Mobbingopfern Hilfe gegeben wird und so weiter, dass Eltern vor allen Dingen darauf achten, was die Kinder an ihrem Computer treiben, ob sie Ego-Shooter-Spiele spielen, in welchem Maße und so weiter und so weiter.
    "An erster Stelle wäre über schärfere Waffengesetze zu diskutieren"
    Kapern: Herr Strasser, das Gespräch, das wir gerade führen, hat ja ein besonderes Merkmal, sowohl von Ihrer Seite als auch von meiner Seite. Wir werfen sozusagen alles in einen Topf: Amokläufe, politische Gewalttaten, Beziehungstaten wie in Reutlingen. Für uns ist das jetzt im Moment alles eins. Ist auch das ein besonderes Problem dieses Angstgefühls im Moment, dass gewissermaßen alles zu einer einzigen großen Bedrohung verschwimmt und verschmelzt?
    Strasser: Ja, das glaube ich schon. Aber deswegen meine ich ja, dass man die Dimensionen unterscheiden muss. Es gibt auch noch die politische Dimension. Da wäre zum Beispiel an erster Stelle zu diskutieren über schärfere Waffengesetze, dass die jetzt hoffentlich ein bisschen in Gang kommt. Hinzu kommt auch das Panorama der internationalen Konflikte, die wir heute haben, dass wir plötzlich wieder Konflikte haben zwischen Ost und West, Ukraine und Folgen, und wie wir damit umgehen. Die Schwierigkeiten, die in Europa bestehen, die Angst, dass dieses Europa, das uns große Stabilität eigentlich gegeben hat, dass dies verfallen könnte, das alles gehört auch dazu. Und natürlich müssen wir sehr genau unterscheiden zwischen Amoktaten und terroristischen Taten, und die terroristischen Taten müssen auch mit teilweise außenpolitischer und auch durchaus militärischer Strategie behandelt werden.
    "Gesellschaft musste auch lernen, mit solchen Herausforderungen umzugehen"
    Kapern: Herr Strasser, lassen Sie mich mal mit einem Vergleich kommen, nach einem Vergleich fragen, um die Qualität der heutigen Politik herauszuarbeiten im Vergleich zu einer anderen Situation in der deutschen Geschichte, in der die Menschen möglicherweise ebenso viel Zeit hatten. Ich spiele an auf den deutschen Herbst _77. Auch da gab es Terror, auch da gab es Bluttaten auf offener Straße. Ist die Politik heute besonnener im Umgang damit? Ist sie weniger besonnen? Wie hält sich die Politik da?
    Strasser: Ich glaube, im Ganzen ist sie besonnener. Wir haben da wirklich gelernt. Ein Innenminister, der sofort, wenn er die unterschiedlichen Ereignisse bespricht, sagt, Leute, lasst euch nicht irremachen, dass ihr glaubt, dass es alles nur ein Problem von Flüchtlingen ist und des Übermaßes an Flüchtlingen, das wäre so, glaube ich, in der Zeit des RAF-Terrors nicht zu erwarten gewesen. Das haben wir auch erst lernen müssen. Diese Gesellschaft musste auch lernen, mit solchen Herausforderungen umzugehen. Insgesamt denke ich, dass man die Frage mit Ja beantworten kann.
    "Wir haben ein Problem mit dem Internet"
    Kapern: Kann man den Menschen eigentlich auch sagen, ihnen möglicherweise sogar Trost damit vermitteln, wenn man sagt, das geht auch wieder vorbei?
    Strasser: Ja! Es spricht historisch sehr vieles dafür. Die großen Angstwellen, die wir gehabt haben, die dazu geführt haben, dass wirklich massenhaft Selbstmorde stattfanden, dass Hexenjagden stattfanden und so weiter, die sind ja auch irgendwann einmal überwunden worden. Ich denke, dass wir heute auch kommunikativ auf einem Stand sind, der es möglich macht, das besser abzuarbeiten, als das in den früheren Zeiten da war.
    Wir haben ein Problem mit dem Internet, dass die Verbreitung von Gerüchten, von Hasstiraden im Internet sehr leicht ist, dass man sich im Internet verstecken kann und gleichzeitig solche Dinge posten kann. Da müssen wir drüber nachdenken, wie wir das verändern können. Aber insgesamt sind die Bedingungen heute, über diese panikartigen Angstschübe hinauszukommen, sehr viel besser.
    Kapern: … sagt der Publizist und Autor Johano Strasser, im Übrigen auch Mitglied der SPD-Grundwertekommission. Herr Strasser, vielen Dank für das Gespräch, vielen Dank, dass Sie heute früh Zeit für uns hatten.
    Strasser: Danke sehr!
    Kapern: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.