Eine Sightseeing-Tour durch Molenbeek? Im ersten Moment hört sich das ziemlich makaber an. Entspannt spazieren gehen, wo vor kurzem noch Schüsse fielen und immer wieder Anti-Terror-Einsätze der Polizei stattfinden - das klingt nicht gerade nach Traumurlaub. Mancher Einheimische befürchtet zudem, dass sein Bezirk zu einer zweifelhaften Sehenswürdigkeit werden könnte. Eine Art Safaripark für sensationshungrige Touristen …
"Molenbeek ist an sich eine sehr schöne Gemeinde, sehr gastfreundlich. Und gar nicht so super religiös. Ich weiß auch nicht - nach allem, was passiert ist, mit den Anschlägen und so weiter, da haben die Medien ein schlechtes Bild von uns gezeichnet. Jetzt ist der Name Molenbeek weltweit bekannt, aber im negativen Sinne."
Ärger über Sensationstourismus
Der 18-jährige Maler Karim Naciri, ein Belgier mit marokkanischen Wurzeln, wie so viele, die hier leben, versucht mit seinen Werken, ein besseres Bild von der 90.000-Einwohner-Gemeinde zu vermitteln. Vergangenes Jahr wurde er für sein Engagement ausgezeichnet. Dass Menschen extra anreisen, nur um das Haus in der Rue des Quatre-Vents zu besichtigen, in dem sich der meistgesuchte Terrorist Europas, der Attentäter Salah Abdeslam, eine Zeitlang versteckt hielt, dafür hat Karim kein Verständnis:
"Wozu soll das gut sein? Nur zu kommen, um zu sehen, wo das Attentat war oder die Razzien? Das bringt doch nichts. Das ist nutzlos und dumm!"
Der Zorn des jungen Künstlers über den vermeintlichen Voyeurismus mancher Touristen ist nicht ganz gerecht. Seit Paris, spätestens aber seit den Anschlägen auf die Brüsseler U-Bahn-Station Maelbeck und den Flughafen Zaventem, bei denen im März über 30 Menschen getötet wurden, kommen deutlich weniger Ausländer in die belgische Hauptstadt. Schätzungen gehen von einem Rückgang um ein Drittel aus. Und die, die kommen, besuchen lieber die malerische Grand‘ Place, das Europa-Viertel oder das Atomium. Auch für Erik Nobels, den Mann, der die halbtäglichen Touren durch Molenbeek leitet, spielt der Gruselfaktor eher eine Nebenrolle. Allerdings räumt er ein, dass einige Kunden wohl auch der Gänsehaut wegen mitlaufen.
Bewohnern mit Respekt begegnen
Der friedfertige Flame, der wie ein Lehrer aus den 80ern wirkt und trotz allgemeiner Terror-Angst noch immer Rucksack trägt, will vor allem aufklären. Den Leuten zeigen, dass die Horrorgeschichten über Molenbeek übertrieben sind. Und dass der Brüsseler Stadtteil mit dem miserablen Image trotz allem keine "No-Go-Area" ist, in der fanatische Islamisten das Sagen haben. Um unangenehme Begegnungen mit genervten Einheimischen zu vermeiden, rät der Reiseführer seinen Schützlingen dennoch, Abstand zu wahren, lieber nicht zu fotografieren und den Bewohnern des Viertels mit Respekt zu begegnen.
Die Botschaft kommt an. Und die meisten Teilnehmer fahren am Ende nicht mit einer Gänsehaut nach Hause sondern mit einem Lächeln im Gesicht.
"Sicher, am Anfang hatte jeder von uns Angst, hierher zu kommen. Aber jetzt, wo wir hier sind, merke ich, wir müssen uns nicht fürchten. Die Menschen hier sind nicht so schlecht, wie wir denken. / "Auf der Tour gab es eine komische Situation. Mir hat jemand zugewunken auf der Straße. Und dann hat er gerufen: 'Hi, hier gibt es keine Terroristen.'"