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Terroranschläge in Istanbul
Mehr als zweihundert HDP-Politiker festgenommen

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat nach den Anschlägen von Istanbul Vergeltung angekündigt - heute wurden mehr als zweihundert Vertreter der prokurdischen Partei HDP festgenommen.

    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei der Zeremonie zum 78. Todestag des Staatsgründers Mustafa Kemal Ataturk am 10.11.2016.
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (imago stock&people)
    Bei den landesweiten Einsätzen seien unter anderem die HDP-Chefs in Istanbul und Ankara in Gewahrsam genommen worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Montag. Den insgesamt 118 Verdächtigen werden demnach Verbindungen zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zur Last gelegt. Das Innenministerium erklärte, es habe Razzien in elf Provinzen gegeben. Den insgesamt 235 Festgenommenen werde unter anderem vorgeworfen, "terroristische Propaganda" über soziale Medien verbreitet zu haben.
    Laut Anadolu gehört zu den in Istanbul festgenommenen HDP-Vertretern auch die Istanbuler Provinzchefin der Partei, Aysel Güzel. Unter den Festgenommenen in Ankara ist demnach der dortige HDP-Chef Ibrahim Binici. Die anderen Festnahmen erfolgten in den südlichen Provinzen Adana und Mersin, Manisa im Westen und Sanliurfa im Südosten.
    Erdogan: "Täter müssen zahlen"
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte zuvor Vergeltung angekündigt. Die Täter müssten einen "noch höheren Preis bezahlen", sagte er am Sonntag in Istanbul.
    Die PKK-Splittergruppe TAK (Freiheitsfalken Kurdistans) bekannte sich zu dem Anschlag mit 39 Toten und schrieb auf ihrer Internetseite, sie habe auf die Gefangenschaft des PKK-Anführers Abdullah Öcalan und die türkischen Militäroperationen vor allem im Südosten des Landes aufmerksam machen wollen.
    Dagdelen (Linke): "Erdogan befördert Terrorismus"
    Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bekundete deutsche Solidarität mit der Türkei im Kampf gegen den Terrorismus. "Unser Bündnispartner weiß, dass wir gemeinsam gegen den Terror stehen", sagte die Ministerin der "Bild". Die brutalen und schändlichen Anschläge von Istanbul seien durch nichts zu rechtfertigen.
    Die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen, die der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe angehört, kritisierte dagegen Erdogans Vorgehen. Sie warf ihm vor, sich einer politischen Lösung im Konflikt mit den Kurden zu verweigern. Damit steige die Gewalt. "Die Politik des Präsidenten dämmt den Terrorismus nicht ein, sie befördert ihn eher", sagte Dagdelen im Deutschlandfunk.
    Die türkischen Einsatzkräfte gehen bereits seit dem gescheiterten Militärputsch im Juli hart gegen kurdische Oppositionspolitiker vor. Im Südosten des Landes wurden dutzende prokurdische Bürgermeister festgenommen. Im November nahm die Polizei zehn HDP-Abgeordnete fest, unter ihnen die beiden Ko-Vorsitzenden der Partei, Figen Yuksekdag und Selahattin Demirtas. Sie sitzen unter dem Vorwurf in Untersuchungshaft, Mitglieder der PKK zu sein oder "Propaganda" für sie betrieben zu haben. Die Türkei, die Europäische Union und die USA stufen die PKK als "Terrorganisation" ein.
    44 Tote, mehr als 150 Verletzte
    Die Zahl der Todesopfer des Doppelanschlags von Istanbul stieg derweil auf 44. Es handele sich um 36 Polizeibeamte und acht Zivilisten, sagte Gesundheitsminister Recep Akdag am Montag der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Zudem habe es 155 Verletzte gegeben. Bisher war von 38 Toten die Rede gewesen.
    Die erste Bombe ware nach Angaben von Soylu rund anderthalb Stunden nach dem Ende eines Fußballspiels zwischen den Erstligisten Besiktas und Bursaspor in der Nähe des Stadions von Besiktas explodiert. Es habe sich um eine Autobombe gehandelt, die gegen die Sondereinsatzpolizei gerichtet und um 22.29 Ortszeit gezündet worden sei. Nur 45 Sekunden später sprengte sich nach Angaben Soylus ein Selbstmordattentäter im Macka Park neben dem Stadion in die Luft. Auch dieses Attentat sei gegen Polizisten gerichtet gewesen, die die Gegend wegen des Fußballspiels abgesichert hatten.
    Karte Istanbuls mit Lage der beiden Bombenanschlägevom 10.12.2016
    Die Partie zwischen den verfeindeten Mannschaften galt als Risikospiel, bei dem die Polizei mit starker Präsenz Auseinandersetzungen zwischen Fans verhindern sollte. In der Türkei werden immer wieder schwere Anschläge verübt. Die PKK zielt damit vor allem auf Sicherheitskräfte. Nach dem Scheitern eines zwei Jahre alten Waffenstillstands im Juli vergangenen Jahres geht die türkische Armee vor allem im Südosten des Landes gegen die PKK vor.
    Die türkische Regierung macht aber auch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) für Attentate verantwortlich. Erst vor einer Woche hatte der IS seine Anhänger zu Anschlägen in der Türkei aufgefordert.
    (nch/fwa)