Alles, was heute an Solidarität im Eindruck des Schreckens geäußert werde, müsse morgen auch politische Praxis sein, forderte die Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der Partei Die Linke Martina Renner. An der Umsetzung der Verprechungen habe sie erhebliche Zweifel. Versprechen von Seiten der Sicherheitsbehörden, überzeugte Rassisten konsequent zu entwaffnen, werden nach wie vor nicht eingelöst. "Deswegen muss das Zeichen auf gesellschaftliche Solidarität stehen, auch die Frage, wie wir das Schutzversprechen des Staates, wenn er im Moment nicht in der Lage oder willens ist, es zu erfüllen, es anders organisieren durch Zusammenstehen, durch aufeinander achten und ganz klar auch durch Zurückweisen."
Die Innenpolitikerin der Linken im Bundestag stellte zudem einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Anschlag in Hanau und der AfD her. "Nehmen Sie das Internet und googeln AfD und Shishabar. Wie viele Sharepics und Aussagen es gibt, 'Shishabars schließen' und so weiter. Das ist die Markierung eines Ortes, wie wir es zuvor bei der Person Walter Lübcke gesehen haben." Worte seien die Basis für Gewalt. Das wisse man aus Analysen von Biografien rechter Täter. Sicherheitsbehörden müssten endlich eine andere Sensibilität entwickeln.
Ann-Kathrin Büüsker: Wir gehen zurück auf das Geschehen in Deutschland. Die Ereignisse der Nacht: Ein Mann hat in Hanau neun Menschen erschossen, anschließend sich selbst und seine Mutter getötet. Die Behörden gehen von einem rechtsextremen Hintergrund aus. Der Generalbundesanwalt ermittelt. Zahlreiche Politikerinnen und Politiker zeigen sich erschüttert, darunter auch die Bundeskanzlerin. Am Telefon ist jetzt Martina Renner, Innenpolitikerin der Linken im Bundestag, ausgewiesene Expertin im Bereich Rechtsextremismus. Guten Tag, Frau Renner!
Martina Renner: Guten Tag, Frau Büüsker!
Büüsker: Frau Renner, bevor wir jetzt gleich auf den Täter schauen, die Behörden, die Politik, schauen wir vielleicht zunächst einmal auf die Menschen. Es gibt jetzt in der Bundesrepublik viele, die Angst äußern: People of Color, Menschen, denen man die Migrationsgeschichte ihrer Familien ansieht, Menschen, die von Radikalen als fremd markiert werden, die Opfer von Rassismus werden. Sie haben jetzt Angst, auch zum Opfer rechten Terrors werden zu können. Was sagen Sie diesen Menschen?
Renner: Ich finde, das ist keine einfache Frage, weil das Entsetzen nach dem NSU, dem Entsetzen auch von Kassel und Halle, das ist da, und es gab auch konkret das Gefühl in den letzten Monaten, da hat vielleicht mit dem Anschlag, mit dem Attentat in Kassel und Halle etwas wie eine Serie begonnen, und wer sind die nächsten. Ich würde jetzt gerne sagen, ich habe ein gutes Gefühl, die Sicherheitsbehörden schauen hin im Bereich des Rechtsterrors, sie entwaffnen konsequent überzeugte Rassisten, aber so ist es ja nicht, und. Ein Moment ist, glaube ich, ganz wichtig, der wird auch Ermutigung schaffen, wenn einfach mal deutlich ist, jeder und jede, die hetzt im Internet, im realen Leben, im Parlament, in den Medien gegen Minderheiten, die pauschalisieren und sagen, eine Shishabar, das ist der Hort der Kriminalität und des Bösen, denen wird widersprochen. So ein Signal, glaube ich, würde bei den Betroffenen und den Bedrohten wirklich sehr viel ausmachen.
Solidarität muss politische Praxis werden
Büüsker: Nun sehen wir ja zahlreiche politische Äußerungen, wo die Tat von Hanau explizit verurteilt wird, auch die Bundeskanzlerin ist heute direkt vor die Presse getreten, hat gesagt, dieser Hass hat keinen Platz in Deutschland. Ist das das Zeichen, das Sie sich wünschen?
Renner: Also ich bemerke schon, dass diese Analysen heute sehr viel entschiedener sind, dass man auch sehr viel genauer diejenigen benennt, die verantwortlich sind in diesem Land, auch für die Normalisierung dieser rassistischen Diffamierungen. Ich hoffe aber immer an solchen schrecklichen Tagen, dass ein Stück weit diese Ansicht auch trägt in den nächsten Wochen und wir nicht schon bald wieder eine Diskussion haben, ob wir nicht vielleicht mit der AfD auf irgendeiner Ebene von Kommunalparlament bis Bund zusammenarbeiten sollten, eine erneute Debatte über die vermeintliche deutsche Leitkultur und was alles nicht zu Deutschland gehört. Das heißt, die Frage ist, das, was heute im Eindruck des Schreckens geäußert wird, ist das morgen auch politische Praxis. Da habe ich tatsächlich, nach dem, wie ich auch den rechten Terror und seinen Resonanzraum beobachte in diesem Land, erhebliche Zweifel.
"Tatort und die Opfergruppe gezielt ausgesucht"
Büüsker: Aber mischen Sie da nicht Sachen, die nicht unbedingt was miteinander zu tun haben? Also kann man der AfD tatsächlich die Schuld daran geben, wenn jetzt in Hanau ein Mensch auf Menschen schießt, die er als fremd definiert?
Renner: Na ja, er hat sie ja nicht nur einfach als fremd definiert, sondern er hat sich ja den Tatort und die Opfergruppe gezielt ausgesucht. Es ist ja keine wahllose Tat, sondern er hat bewusst Migranten, Migrantinnen ermordet, die sich in einer Shishabar zusammengefunden haben. Bei dem Markieren dieser Orte und dieser Personengruppen als diejenigen, die hier stören, die nicht hierhergehören, die hier wegmüssen, gegen die man was tun muss, egal wie, zu denen, die diese Markierung durchführen, gehört die AfD an oberster Spitze. Nehmen Sie mal das Internet und googeln Sie AfD und Shishabar. Wie viele Sharepics und Aussagen es gibt, "Shishabars schließen" und so weiter, das ist die Markierung eines Ortes, wie wir es zuvor bei der Person Walter Lübcke gesehen haben, dort als Politiker, den man irgendwie mit Gewalt auch mal in Schranken weisen müsste. Das ist ein ähnliches Vorgehen, immer dieses Triggern von Personen, von Orten, von Gruppen als Feinde.
Propaganda der AfD gleicht der des NSU
Büüsker: Also sehen wir hier wieder, die Worte sind die Basis für spätere Gewalt.
Renner: Das ist nichts anderes als bei dem NSU. Es gibt da einen unmittelbaren Zusammenhang, der ist auch nicht nur vermittelt. Der ist tatsächlich unmittelbar, weil sich diese rechten Täter – und das wissen wir auch aus den Analysen zu ihren Biografien und Einstellungen – durchaus auf das beziehen, was sie als gesellschaftliche Realität, was sie als gesellschaftlichen Alltag wahrnehmen und sich als Vollstrecker sehen dessen, was andere vielleicht nur verbal äußern.
Büüsker: Frau Renner, ich würde mit Ihnen gemeinsam gerne auch noch mal auf die Sicherheitsbehörden schauen. Wir haben ja in der vergangenen Woche erlebt, am Freitag, da haben die Behörden eine rechte Terrorzelle hochgenommen, zwölf Personen festgenommen durch den Generalbundesanwalt. Da scheint ja im Moment in Sachen Ermittlungen schon einiges verbessert worden zu sein.
Renner: Also es gibt Verbesserungen, zum Beispiel das Wort rechter Terror wird jetzt gesprochen. Man hat lange Zeit irgendwie diesen Begriff gemieden und von Hassgewalt und ähnlichem geredet, und es gab jetzt auch nicht nur das Verbot von "Combat 18", sondern diese Maßnahme gegen die "Gruppe S", das ist richtig. Aber gerade auch bei der "Gruppe S", wenn man sich nun die Akteure dort anschaut, also Personen, die sich zusammenfinden aus verschiedenen rechten Zusammenhängen, Bürgerwehrhintergrund, andere bekannte rechte Gruppierungen, aber auch Leute, die aus einer rassistischen Mobilisierung der letzten Jahre stammen, relativ offen sogar in den sozialen Medien in ihren Profilen als rechte Rassisten erkennbar sind und dann so etwas planen, darüber reden, wie man Waffen beschaffen kann oder Sprengstoff beschaffen kann, ich glaube, solche Gruppen gibt es mehr als eine. Man muss, glaube ich, den Fokus ein bisschen dann weitermachen und sagen, wir brauchen eine andere Sensibilität, nicht erst, wenn eine Quelle aus einer Gruppe berichtet, etwas zu machen, sondern auch andere Anzeichen richtig zu deuten, wenn ich sehe, dort sind Zusammenhänge, dort sind Personen, die mit sich eine Tatidee im Bereich rechter oder rassistischer Gewalttat oder Terror wägen, und dann auch frühzeitig zu agieren.