Abdeslam Lazaar klopft an, kurz und energisch, dann betreten wir den Hörsaal. Ein Professor, fünf Studenten. Sie lernen, den Koran zu rezitieren. Der Professor hört zu, die Studenten tragen abwechselnd vor. Der Direktor der Imam-Schule führt uns ein paar Türen weiter.
Hier lernen Studenten gerade, wie Computerviren, Trojaner und andere Spionage-Programme zu bekämpfen sind. "Informatik ist wichtig", sagt Direktor Lazaar, "und Sicherheit der Computer auch". Offensichtlich auch für Imame.
Das Institut hat moderne Hörsäle, zwei Kantinen, eine Moschee, ein Fitnesscenter und einen Sportplatz. Und es steht neben den marokkanischen Imam-Anwärtern auch hunderten Studenten aus sechs anderen Nationen offen. Kostenlos. Marokko zahlt für alle. Warum? Direktor Lazaar antwortet:
"Warum investiert die Welt Milliarden in Waffen zur Terrorismus-Bekämpfung? Marokko kämpft hier. Und die Welt sollte uns bei dieser geistigen Terror-Bekämpfung, beim Unterricht des richtigen Islam unterstützen."
Mit Toleranz und Offenheit gegen Ausgrenzung
Marokko nimmt für sich in Anspruch, einen toleranten, offenen Islam zu praktizieren. Gewissermaßen das Gegenstück zur strengen, wahhabitischen Schule aus Saudi-Arabien. Marokkos König wollte den wachsenden Einfluß dieses radikalen Religionsverständnisses eindämmen. Deshalb lehrt man hier ein Islam-Verständnis, das Toleranz und Offenheit gegen Ausgrenzung stellt. Mohamed Sampi ist aus dem westafrikanischen Guinea hierher geschickt worden:
"Unsere Eltern haben diese Interpretation des Islam gelernt. Dann kam der Einfluss aus Saudi-Arabien, wo eine andere Interpretation vorherrscht. Und jetzt kehren wir, die wir hierhin geschickt wurden, wieder zu dem Islam zurück, der die richtigen Regeln lehrt."
Sampi hat ein Auswahlverfahren in Guinea absolviert. Dabei überprüfte eine Gruppe Religionsgelehrter, ob er den Koran auswendig kann. Ob sein Arabisch für die Ausbildung ausreichend ist. Und wohl auch, ob er kein Extremist ist – aber das sagt Mohamed Sampi nicht so offen. Sampi glaubt, dass er andere überzeugen könne von dieser toleranten Version des Islam. Aber er sagt auch, er persönlich kenne in Guinea niemanden, der extremistisch denke. Direktor Lazaar erzählt von einer anderen Erfahrung:
"Ich hatte sechs Studenten aus Mali hier, die kamen mit salafistischem Gedankengut. Sie waren nicht wirklich gefährlich, aber sie hatten diese Ideen. Sie sind später als Imame in ihr Land zurückgekehrt, wie alle anderen auch."
"Ich hatte sechs Studenten aus Mali hier, die kamen mit salafistischem Gedankengut. Sie waren nicht wirklich gefährlich, aber sie hatten diese Ideen. Sie sind später als Imame in ihr Land zurückgekehrt, wie alle anderen auch."
"Wie alle anderen auch" – das soll heißen: Als Prediger eines toleranten, offenen Islam. In Marokko selbst dient die Imam-Schule auch als Kontroll-Organ. Wer zu den etwa 45.000 Predigern im Königreich gehören will, muss hier seine Ausbildung durchlaufen. Auch diejenigen, die schon seit Jahren als Imam wirken. Wo sie dann predigen dürfen, entscheidet in Marokko das staatliche Religionsministerium, sagt Direktor Lazaar. Und nicht nur das:
"Bei uns kennt der Staat diejenigen, die freitags predigen. Diejenigen, die Imame sind. Sie werden gewissermaßen vom Staat entsandt. Überschreitet jemand die Grenzen des staatlichen Religionsverständnisses – dann muss er ausgeschlossen werden."
Frauen als Religionsberaterinnen
Das geht in Marokko, weil der König dort gleichzeitig ganz offiziell der "Kommandant der Gläubigen" ist. In westafrikanischen Staaten ist das anders.
Und noch etwas Besonderes bietet die marokkanische Imam-Schule. Sie bildet Frauen aus. "Morchidate" heisst deren Beruf, das könnte man wohl als "Religionsberaterin" übersetzen. Diese Frauen arbeiten in Moscheen, in Familien. Sie bieten Gefängnisinsassen geistlichen Beistand an und arbeiten in Dörfern und Städten als Religionsberaterinnen. Richtige Imame dürfen sie nicht sein, so weit ist auch der tolerante Islam marokkanischer Prägung noch nicht. Elfrada Bouchra, eine marokkanische Studentin, meint dennoch: Die "Morchidate" spielen eine immer wichtigere Rolle:
"Ich kann Frauen Dinge fragen, die ein Mann niemals fragen dürfte. Auch ein Imam nicht. Das ist die Stärke der Morchidate."
"Bestimmte rote Linien dürfen nicht überschritten werden."
Aber wie kontrollieren die Professoren, was die künftigen Morchidate und Imame wirklich glauben. Direktor Abdeslam Lazaar stellt Fragen, sagt er:
"Ich frage beispielsweise nach der Definition des Dschihad. Ich frage nach der Demokratie. Ich frage auch nach dem Salafismus. Bestimmte Konzepte des Islam werden falsch verstanden. Das muss man korrigieren. Bestimmte rote Linien dürfen nicht überschritten werden."
Etwa 100 Studentinnen und 900 Männer absolvieren die Imam-Schule jedes Jahr. Marokko versteht das als Mittel der Terrorismus-Bekämpfung und die Nachfrage – nicht nur aus westafrikanischen Staaten – ist groß.