Dirk-Oliver Heckmann: Es war ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang, der sich gestern Mittag in Berlin abspielte. Bundesinnenminister Thomas de Maizière, ansonsten betont zurückhaltend beim Umgang mit Terrorwarnungen, stellt sich der Presse und gibt bekannt, es gebe konkrete Hinweise auf Pläne, Ende des Monats in Deutschland Terroranschläge zu verüben. Bundesweit wurden daraufhin die Sicherheitsvorkehrungen hochgefahren. Gestern Abend kamen zum Auftakt ihrer Herbstkonferenz die Innenminister von Bund und Ländern in Hamburg zusammen.
Die Innenminister von Bund und Ländern beraten in Hamburg über die Sicherheitslage nach der Terrorwarnung von gestern. Wie ernst aber ist diese Terrorwarnung zu nehmen? Darüber hat mein Kollege Tobias Armbrüster gesprochen mit dem Terrorexperten Berndt Georg Thamm. Seine erste Frage: Woran liegt es, dass sich Deutschland jetzt möglicherweise im Fadenkreuz von Terroristen befindet?
Bernd Georg Thamm: Nun, Deutschland ist nicht erst in diesen sechs Wochen ins Fadenkreuz der Dschihadisten gekommen, sondern Deutschland ist seit einigen Jahren im Fadenkreuz, also wenn man so will vielleicht seit 2007, 2008, mit einer zunehmenden Drucksituation, die am eklatantesten im vergangenen Jahr war, also im Jahr der Bundestagswahl, wo es eine regelrechte islamistische Medienoffensive gegen Deutschland gegeben hat, gegen Deutschlands Engagement in Afghanistan, mit Forderungen, mit Erpressungen, die Bundeswehr vom Hindukusch abzuziehen. Diese Intensität der Medienoffensive ist in diesem Jahr nicht der Fall, also bei Weitem nicht diese Anzahl von Drohvideos, aber wir sind nach wie vor natürlich im Fadenkreuz und unsere Schutzorgane sind so aufgestellt, dass im Jahr zehn nach dem 9/11, ein sehr symbolisches Jahr für die Gegenseite, für den militanten Islamismus, dass hier in Europa und insbesondere in Deutschland etwas passieren könnte.
Tobias Armbrüster: Ja, Herr Thamm. Besteht da nicht die Gefahr, dass die Terroristen jetzt sozusagen gewarnt sind und einfach ein bisschen abwarten, oder sich vielleicht auf ein anderes Land richten?
Thamm: Also die Gefahr wird wahrscheinlich so nicht bestehen, denn die Bandbreite, sich terroristisch zu betätigen, ist genau wie die Täter inzwischen enorm breit geworden. Man kann mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Bewegung beim Feind, beim Ungläubigen, also bei uns, erzielen, sei es durch psychologische Kriegführung, indem Gerüchte in die Welt gesetzt werden, sei es auch, dass man operative Aktionen vorbereitet, die können auf sehr hohem Niveau sein. Das heißt dann aber, dass dann dementsprechend auch diejenigen, die es denn tun sollen, auch dementsprechend ausgebildet werden, möglicherweise auch indoktriniert werden. Das können finale Einsätze sein, das heißt, dass die Leute, die es begehen, mit dem Einsatz auch mit dem Märtyrerstatus in dieser Operation untergehen. Das können sogenannte Hit-and-run-Geschichten sein, das heißt die Täter begehen die Tat und werden dann aber nach der Tatbegehung versuchen, sich wieder abzusetzen und unterzutauchen, oder anderes.
Armbrüster: Sie meinen, dass diese Warnung von de Maizière die Terroristen auf keinen Fall abschrecken wird?
Thamm: Nein. Also dass sich militante Islamisten, dass sich überzeugte Dschihadisten vom potenziellen "Feind" abschrecken lassen, damit darf man nicht rechnen.
Armbrüster: Nun hat der Innenminister viel von der Zusammenarbeit mit internationalen Partnern gesprochen. Mit wem arbeiten die deutschen Geheimdienste denn besonders gut zusammen?
Thamm: Ich denke, dass seit dem 9/11, also im Laufe von über neun Jahren, ein sehr dichtes Netz an Zusammenarbeit, Informationsaustausch, Auswertung, Analyse, Profilerstellung, Erstellung von Bewegungsbildern etc. entstanden ist. Es arbeiten nicht nur sozusagen die Dienste der westlichen Hemisphäre zusammen, also sagen wir mal jetzt Europa und die USA und Kanada, sondern man arbeitet natürlich auch mit nahöstlichen Diensten, also ob jetzt die Dienste Israels oder auch - sehr gut aufgestellt, sehr gut informiert - der jordanische Nachrichtendienst schon seit langer Zeit, man arbeitet auch mit den russischen Kollegen zusammen, die auch ein reiches Erfahrungswissen mittlerweile haben. Es gibt die ersten Anbahnungen, was den fernöstlichen Bereich betrifft. Dort haben wir ja die Shanghai Corporation Organisation mit ihrem Antiterrorzentrum in Taschkent.
Armbrüster: Und sind das alles für Deutschland sehr zuverlässige Quellen, oder sind die vielleicht auch teilweise mit Vorsicht zu genießen?
Thamm: In gradueller Abstufung. Es ist ähnlich, wie wenn Sie so wollen Interpol, arbeitet ja auch mit sehr vielen Polizeieinrichtungen in den meisten Ländern dieser Welt zusammen, wo natürlich einige Kernländer sozusagen den hundertprozentigen Status haben und an der Peripherie das eine oder andere Land mit seiner Organisation ist, wo ein paar Vorbehalte dem entgegengebracht werden. Das ist natürlich ähnlich auch in der Zusammenarbeit, in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Aber à la longue wissen alle heute, dass das terroristische Gegenüber die Welt nicht in Ost und West mit all seinen Vorbehalten und der Geschichte einteilt, sondern die Sicht ihrer Welt ist eine religiöse und die teilt die Welt in die Welt der Gläubigen und der Ungläubigen ein, und zu den Ungläubigen gehören für die Dschihadisten Europäer und Amerikaner gleichermaßen wie Russen, Chinesen und Inder.
Armbrüster: Thomas de Maizière hat nun auch von der unsichtbaren Arbeit der Polizei gesprochen. Was meint er damit?
Thamm: Na ja, ähnlich wie in der Rauschgiftbekämpfung gibt es natürlich Verbindungsbeamte, die in vielen Ländern der Welt sind, die sich austauschen.
Armbrüster: Heißt das, das sind Leute, die durchaus auch in der islamistischen Szene drin sind?
Thamm: Na ja, wenn Sie jetzt vielleicht wie in der Verbrechensbekämpfung oder in der Bekämpfung der organisierten Kriminalität auf verdeckte Ermittler, auf Under-Cover-Leute oder auf V-Leute abstellen, da dürfte es schon recht schwierig sein. In die Kernbereiche der Dschihadisten wird man in diesem Bereich, was polizeiliche personelle Ermittlungsinstrumente betrifft, wie wir sie in anderen Bereichen kennen, das wird man hier so nicht machen können.
Heckmann: So weit die Einschätzung des Terrorexperten Berndt Georg Thamm. Das Interview führte mein Kollege Tobias Armbrüster.
Die Innenminister von Bund und Ländern beraten in Hamburg über die Sicherheitslage nach der Terrorwarnung von gestern. Wie ernst aber ist diese Terrorwarnung zu nehmen? Darüber hat mein Kollege Tobias Armbrüster gesprochen mit dem Terrorexperten Berndt Georg Thamm. Seine erste Frage: Woran liegt es, dass sich Deutschland jetzt möglicherweise im Fadenkreuz von Terroristen befindet?
Bernd Georg Thamm: Nun, Deutschland ist nicht erst in diesen sechs Wochen ins Fadenkreuz der Dschihadisten gekommen, sondern Deutschland ist seit einigen Jahren im Fadenkreuz, also wenn man so will vielleicht seit 2007, 2008, mit einer zunehmenden Drucksituation, die am eklatantesten im vergangenen Jahr war, also im Jahr der Bundestagswahl, wo es eine regelrechte islamistische Medienoffensive gegen Deutschland gegeben hat, gegen Deutschlands Engagement in Afghanistan, mit Forderungen, mit Erpressungen, die Bundeswehr vom Hindukusch abzuziehen. Diese Intensität der Medienoffensive ist in diesem Jahr nicht der Fall, also bei Weitem nicht diese Anzahl von Drohvideos, aber wir sind nach wie vor natürlich im Fadenkreuz und unsere Schutzorgane sind so aufgestellt, dass im Jahr zehn nach dem 9/11, ein sehr symbolisches Jahr für die Gegenseite, für den militanten Islamismus, dass hier in Europa und insbesondere in Deutschland etwas passieren könnte.
Tobias Armbrüster: Ja, Herr Thamm. Besteht da nicht die Gefahr, dass die Terroristen jetzt sozusagen gewarnt sind und einfach ein bisschen abwarten, oder sich vielleicht auf ein anderes Land richten?
Thamm: Also die Gefahr wird wahrscheinlich so nicht bestehen, denn die Bandbreite, sich terroristisch zu betätigen, ist genau wie die Täter inzwischen enorm breit geworden. Man kann mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Bewegung beim Feind, beim Ungläubigen, also bei uns, erzielen, sei es durch psychologische Kriegführung, indem Gerüchte in die Welt gesetzt werden, sei es auch, dass man operative Aktionen vorbereitet, die können auf sehr hohem Niveau sein. Das heißt dann aber, dass dann dementsprechend auch diejenigen, die es denn tun sollen, auch dementsprechend ausgebildet werden, möglicherweise auch indoktriniert werden. Das können finale Einsätze sein, das heißt, dass die Leute, die es begehen, mit dem Einsatz auch mit dem Märtyrerstatus in dieser Operation untergehen. Das können sogenannte Hit-and-run-Geschichten sein, das heißt die Täter begehen die Tat und werden dann aber nach der Tatbegehung versuchen, sich wieder abzusetzen und unterzutauchen, oder anderes.
Armbrüster: Sie meinen, dass diese Warnung von de Maizière die Terroristen auf keinen Fall abschrecken wird?
Thamm: Nein. Also dass sich militante Islamisten, dass sich überzeugte Dschihadisten vom potenziellen "Feind" abschrecken lassen, damit darf man nicht rechnen.
Armbrüster: Nun hat der Innenminister viel von der Zusammenarbeit mit internationalen Partnern gesprochen. Mit wem arbeiten die deutschen Geheimdienste denn besonders gut zusammen?
Thamm: Ich denke, dass seit dem 9/11, also im Laufe von über neun Jahren, ein sehr dichtes Netz an Zusammenarbeit, Informationsaustausch, Auswertung, Analyse, Profilerstellung, Erstellung von Bewegungsbildern etc. entstanden ist. Es arbeiten nicht nur sozusagen die Dienste der westlichen Hemisphäre zusammen, also sagen wir mal jetzt Europa und die USA und Kanada, sondern man arbeitet natürlich auch mit nahöstlichen Diensten, also ob jetzt die Dienste Israels oder auch - sehr gut aufgestellt, sehr gut informiert - der jordanische Nachrichtendienst schon seit langer Zeit, man arbeitet auch mit den russischen Kollegen zusammen, die auch ein reiches Erfahrungswissen mittlerweile haben. Es gibt die ersten Anbahnungen, was den fernöstlichen Bereich betrifft. Dort haben wir ja die Shanghai Corporation Organisation mit ihrem Antiterrorzentrum in Taschkent.
Armbrüster: Und sind das alles für Deutschland sehr zuverlässige Quellen, oder sind die vielleicht auch teilweise mit Vorsicht zu genießen?
Thamm: In gradueller Abstufung. Es ist ähnlich, wie wenn Sie so wollen Interpol, arbeitet ja auch mit sehr vielen Polizeieinrichtungen in den meisten Ländern dieser Welt zusammen, wo natürlich einige Kernländer sozusagen den hundertprozentigen Status haben und an der Peripherie das eine oder andere Land mit seiner Organisation ist, wo ein paar Vorbehalte dem entgegengebracht werden. Das ist natürlich ähnlich auch in der Zusammenarbeit, in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Aber à la longue wissen alle heute, dass das terroristische Gegenüber die Welt nicht in Ost und West mit all seinen Vorbehalten und der Geschichte einteilt, sondern die Sicht ihrer Welt ist eine religiöse und die teilt die Welt in die Welt der Gläubigen und der Ungläubigen ein, und zu den Ungläubigen gehören für die Dschihadisten Europäer und Amerikaner gleichermaßen wie Russen, Chinesen und Inder.
Armbrüster: Thomas de Maizière hat nun auch von der unsichtbaren Arbeit der Polizei gesprochen. Was meint er damit?
Thamm: Na ja, ähnlich wie in der Rauschgiftbekämpfung gibt es natürlich Verbindungsbeamte, die in vielen Ländern der Welt sind, die sich austauschen.
Armbrüster: Heißt das, das sind Leute, die durchaus auch in der islamistischen Szene drin sind?
Thamm: Na ja, wenn Sie jetzt vielleicht wie in der Verbrechensbekämpfung oder in der Bekämpfung der organisierten Kriminalität auf verdeckte Ermittler, auf Under-Cover-Leute oder auf V-Leute abstellen, da dürfte es schon recht schwierig sein. In die Kernbereiche der Dschihadisten wird man in diesem Bereich, was polizeiliche personelle Ermittlungsinstrumente betrifft, wie wir sie in anderen Bereichen kennen, das wird man hier so nicht machen können.
Heckmann: So weit die Einschätzung des Terrorexperten Berndt Georg Thamm. Das Interview führte mein Kollege Tobias Armbrüster.