"Wir haben ihn" – diese Twitter-Botschaft des Staatssekretärs im belgischen Ministerium für Asyl- und Migrationsfragen platzte am vergangenen Freitagabend in die Beratungen des EU-Gipfels in Brüssel.
"Wir haben ihn" – das meinte den international Gesuchten Salah Abdeslam, auf der Flucht seit dem 13. November, dem Abend der Attentate von Paris. Damals starben 130 Menschen. Die Dschihadisten des sogenannten "IS" bekannten sich zu den Taten.
Abdeslams Bruder, Brahim, hatte sich an jenem 13. November vor dem Lokal "Comptoir Voltaire" im Herzen von Paris selbst in die Luft gesprengt. Insgesamt starben an jenem Abend sieben Terroristen. Die Abdeslam-Brüder, französischer Pass, belgischer Wohnsitz, gehörten zu den Kommandos, die vor vier Monaten am Stade de France , in zwei Stadteilen von Paris Restaurantterrassen und den Konzertsaal "Bataclan" angegriffen hatte.
"Wir haben mit Salah Abdeslam einen solchen Typen lebend gefasst . Das ist sehr wichtig für die Familien der Opfer, weil wir ihn nun vor Gericht stellen können", sagte der belgische Außenminister und stellvertretende Premier Belgiens, Didier Reynders.
Dem 26 Jahre alten Salah Abdeslam wird vorgeworfen, dass er die Attentate von Paris vorbereitete, dass er Fahrzeuge und Wohnungen anmietete. Und dass er womöglich mehr plante.
Abdeslams Fingerabdrücke waren auf einem Sprengstoffgürtel gefunden worden, in einem Papierkorb in der französischen Hauptstadt . Am Morgen des 14. November, so viel ist gesichert, ließ er sich von Freunden nach Belgien fahren und schlüpfte durch eine Polizeikontrolle, weil er zu dieser Stunde noch nicht auf der Fahndungsliste im Zusammenhang mit den Terroranschlägen von Paris stand.
"Wir haben das Puzzle noch lange nicht vollständig zusammengesetzt"
Die Festnahme Abdeslams am vergangenen Freitag, vier Monate nach den Anschlägen von Paris, war für die belgischen und französischen Ermittler eine wichtige Etappe. Aber der belgische Staatsanwalt Frédéric Van Leeuw dämpfte noch gestern, Seite an Seite mit dem Staatsanwalt von Paris, Francois Molins , alle Erwartungen:
"Wir haben damit nicht wenige Puzzlestücke zusammengetragen und viele Teile haben damit ihren Platz gefunden, aber wir haben das Puzzle noch lange nicht vollständig zusammengesetzt."
Salah Abdeslam hatte in einer ersten Vernehmung zugegeben, am 13. November in Paris dabei gewesen zu sein, er habe sich am Stade de France in die Luft sprengen wollen, es aber nicht getan. Warum ist unklar.
"Die nächste Information, die er uns gab, war, dass er bereit war, etwas vorzubereiten - von Brüssel aus. Das könnte der Wahrheit entsprechen. Das könnte stimmen, denn wir haben viele Waffen, auch schwere Waffen gefunden. Und wir haben ein Netzwerk um ihn herum entdeckt."
Das sagte Belgiens Außenminister nach der Festnahme Abdeslams am vergangenen Sonntag, da hatten die ersten Verhöre des mutmaßlichen Attentäters von Paris stattgefunden.
Zu Abdeslams Netzwerk zählten die Ermittler da bereits Najim Laachraoui, dessen DNA auf Sprengstoffmaterial an einem Tatort des 13. November gefunden worden war. Laachraoui , 24 Jahre, soll in der Nähe von Namur ein Haus angemietet haben, das den Terrorkommandos von Paris zur Vorbereitung diente.
Körperspuren von ihm waren am Dienstag vor einer Woche in einer Wohnung im Brüsseler Südwesten aufgetaucht. Belgische und französische Einheiten hatten die Wohnung gestürmt. Dabei starb ein 35 Jahre alter Algerier, Mohammed Belkaid. Zwei Personen flüchteten, einer davon war besagter Salah Abdeslam, der wenige Tage später also im Brüsseler Stadtteil Molenbeek, unweit seines Elternhauses, festgenommen werden konnte. Der andere dürfte Laachraoui gewesen ein - dessen Fahndungsfoto hatten die belgischen Behörden Anfang dieser Woche veröffentlicht.
Laachraoui und Belkaid stehen im Verdacht, dass sie im direkten, telefonischen Kontakt zu den Attentätern des 13. November standen – in einem Mülleimer vor dem Konzertsaal Bataclan hatte die Polizei ein Handy gefunden, von dem aus eine SMS an eine belgische Telefonnummer geschickt wurde: "Wir gehen rein, es geht los."
So waren die französischen und belgischen Behörden vor den blutigen Anschlägen in Brüssel ein Stück weiter gekommen, bei der Aufarbeitung der Paris-Attentate. Aber viele Fragen waren offen geblieben und es lag der Verdacht in der Luft, dass weiterer Terror gesät werden sollte.
"Da sind einige Netzwerke, hatte Didier Reynders, der belgische Außenminister, noch am Sonntag gesagt. "Wir wissen, dass da viele sind mit derselben Ideologie. Nach den Anschlägen von Paris habe ich einem US-Sender gesagt, dass wir etwa zehn Personen mit schweren Waffen suchen. Wir haben seither mehr als das gefunden und nicht nur in Belgien, auch in Frankreich."
Mehr als 30 Hintermänner seien ausgemacht, die mit den Pariser Anschlägen zutun gehabt hätten "und wir sind sicher, da sind noch mehr", unterstrich der belgische Außenminister Da waren die Bomben von Brüssel noch nicht gezündet. Gezündet wurden sie vier Tage nach dem vermeintlichen Fahndungserfolg, der viele Fragen offen gelassen hatte:
Warum konnten mutmaßliche Hintermänner der Pariser Attentate vier Monate lang vor den Augen der belgischen Ermittler leben?
Wie gelang es jemandem wie Laachraoui, sich in Belgien aufzuhalten, obwohl er wegen seiner Kontakte nach Syrien in Abwesenheit zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden war?
Was wollte Abdeslam im Oktober in Ulm, wo er von einer Polizeistreife registriert wurde?
Und mit welchen Netzwerken in Österreich stand Abdeslam in Verbindung, denn auch dorthin lässt sich seine Spur verfolgen?
Dass die mutmaßlichen Hintermänner der Anschläge von Paris zahlreicher waren, als zunächst vermutet, das war vor den Attentaten in Brüssel klar. Und auch, dass mit weiteren Angriffen zu rechnen war.
Bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz am vergangenen Montag hatten die leitenden Staatsanwälte von Paris und Brüssel unterstrichen, dass allein in diesem Jahr in Belgien bereits 60 und in Frankreich 244 Terrordossiers auf dem Tisch lägen.
"Das wichtigste ist", hatte der belgische Außenminister noch zu Wochenbeginn gesagt, "dass wir mehr Geheimdienst-Informationen austauschen, und dass wir diese Informationen dann den Polizisten auf der Straße zur Verfügung stellen."