Mehr als zehn Prozent der rund 4.000 westlichen Dschihadisten im Nahen Osten sind Frauen – so lautet die Erkenntnis des Londoner Zentrums. Und Professor Peter Neumann betont :
"Dass die eben sehr motiviert sind, dass die tatsächlich an die Sache glauben, dass sie durchaus frustriert sind darüber, dass sie nicht so wie die Männer im Graben liegen und kämpfen in Kobane; aber es ist falsch zu glauben, dass Frauen harmlos sind. Die Frauen aber haben jetzt nicht nur die Anschläge in Paris bejubelt, sondern eben auch ihre 'Schwestern' zuhause dazu aufgerufen, dort etwas zu tun."
Seit 2008 leitet der 40-jährige Deutsche das Forschungsinstitut am renommierten King's College. Alle paar Minuten meldet sein PC neue Emails meist mit Einladungen zum nächsten Interview. In den letzten Wochen war seine Expertise gefragt und er avancierte zum Stammgast in Deutschen Talkrunden.
Versteckt im oberen Uni-Stockwerk
Sein Institut versteckt sich in einem oberen Uni-Stockwerk hinter einem wahren Flurlabyrinth. Kein Hinweisschild zeigt den Weg, der Besucher wird am Empfang abgeholt, die Tür des Instituts muss von innen geöffnet werden, das dennoch nicht sonderlich geschützt wirkt.
"Ich denke nicht, dass jemand bei uns hier Angst hat und ich hoffe auch nicht, dass jemals etwas passiert, aber wir sind natürlich vorsichtig und das gehört auch dazu, wenn man in diesem Bereich arbeitet."
Die vier engen Büros liegen zu einem Innenhof. Sie sind vollgepfropft mit Schreibtischen, Bücherregalen, Kopierer, Telefonen und PCs und sie werden häufig aufgesucht von ratsuchenden MI-5, MI-6- und Scotland Yard-Beamten.
"Wir wollen, dass unsere Erkenntnisse genutzt werden von der Politik und den Nachrichtendiensten, aber wir arbeiten nicht für die. Das, was wir tun, hat den Sinn und Zweck für alle, nicht nur für die Geheimdienste, einen bestimmten Sachverhalt besser zu verstehen, warum werden Menschen zu Terroristen, in welchen politischen Situationen passiert das, aber auch, was ist da in einem Menschen los."
Daten sammeln über Dschihadisten
Dazu sammeln die zwölf Institutsmitarbeiter alle öffentlich zugänglichen Daten über die westlichen Dschihadisten – Instagram-Fotos, Facebook-Einträge, Twitter-Nachrichten. Und sie kommunizieren direkt mit ihnen – über die sozialen Netzwerke und auch schon von Angesicht zu Angesicht im syrisch-türkischen Grenzgebiet.
700 Personen umfasst die Datenbank des Instituts, darunter 70 Frauen und 60 Deutsche. Erkenntnis der Forscher: Bei dem Kampf um Kobane seien mindestens 20 Briten getötet worden.
"Da gab es schon einen oder zwei, mit denen ich oft gesprochen habe, und dann sterben sie. Und Du denkst einen Moment lang – meine Güte – das ist schon traurig. Traurig für sie als Menschen und für uns, weil wir eine Beziehung aufgebaut haben – aber ich rechne mit so etwas."
Der 33-jährige Shiraz Maher war selbst Islamist, ehe ihn die Terroranschläge in London 2005 umkehren ließen. Jetzt ist vor allem er es, der die Gespräche mit den Dschihadisten führt und versucht, Vertrauen aufzubauen.
Eine Erkenntnis aus vielfältigen Kontakten: Die Utopie des Kalifats, das beansprucht, den idealen Staat für Moslems zu schaffen, hat scheinbar erste Risse bekommen; vor allem Frauen beschweren sich darüber, dass es an der Versorgung mit Lebensmitteln und Energie hapere. Außerdem hat der IS inzwischen den Nimbus des Unbesiegbaren eingebüßt. Eine Folge der Luftschläge um Kobane, sagt Peter Neumann:
"Sie haben die Illusion zerstört, dass der Islamische Staat unstoppbar ist."