Die Behörden hätten zwar inzwischen ihre Ressourcen extrem verschoben, es gebe aber noch viel zu tun, betonte Fiedler. So müsse der internationale Informationsaustausch verbessert werden, es fehle ein europäisches FBI. Zudem müsse viel mehr Geld in Programme zur Deradikalisierung gesteckt werden, verlangte Fiedler. Auch müssten Menschen, die mit Flüchtlingen in Kontakt träten, viel intensiver geschult werden.
Das Interview in voller Länge:
Bettina Klein: Ein syrischer Flüchtling unter Terrorverdacht war auf der Flucht hier in Deutschland. Er ist inzwischen gefasst, wir haben es bereits gemeldet heute Morgen, und die Frage stellt sich: Ist das Thema jetzt erledigt? Ist alles so gut gelaufen, wie es hätte laufen können? Und ich kann darüber jetzt mit einem Experten sprechen. Hier bei uns im Studio ist Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter, stellvertretender Bundesvorsitzender und Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen, Herr Fiedler.
Sebastian Fiedler: Guten Morgen!
Klein: Ist das jetzt alles gut gelaufen? War das ein Erfolg auch für die Polizei aus Ihrer Sicht? Oder kam diese Festnahme jetzt ein wenig spät?
Fiedler: Das kann ich noch nicht abschließend bewerten, weil ich ja die einzelnen Details aus dem Ermittlungsverfahren nicht kenne. Aber zunächst einmal müssen wir heute von einem Erfolg sprechen. Das, glaube ich, kann man unumwunden so sagen.
Klein: Und was es an Vorarbeit dort gegeben hat - wir haben gehört, dass es auch Geheimdienstinformationen gegeben hat, die die Polizei darauf gebracht haben -, kann man sagen, das ist ein Beweis dafür, dass Deutschland an der Stelle auch gut aufgestellt ist?
Fiedler: Ja das will ich nicht bis ins Letzte so positiv bewerten. In diesem Einzelfall jedenfalls hat es sicherlich äußerst gut funktioniert und ich glaube, wir haben hier einen großen Vorteil gehabt. Aus unserer Sicht war es deswegen auch natürlich nicht ganz so kompliziert, weil wir es nicht mit mehreren europäischen Staaten hier zu tun hatten in diesem Fall, sondern sich das offenbar lokal hier nur in Sachsen zunächst einmal abgespielt hat. Das erleichtert natürlich unsere Tätigkeiten, weil wir nicht auf so viele Kooperationen und Datenaustausche angewiesen sind.
"Die Bevölkerung ist insgesamt natürlich auch erleichtert"
Klein: Uneingeschränktes Lob für die Polizei in Sachsen, oder ist das zu früh?
Fiedler: Das ist in jeder Hinsicht zu früh. Zunächst einmal gilt es heute, glaube ich, dass wir erleichtert sein können. Ich glaube, die Bevölkerung ist insgesamt natürlich auch erleichtert, dass man diesen Fahndungsaufruf zurücknehmen kann. Die einzelnen Details zu Einsatzabläufen und zum Ablauf eines Ermittlungsverfahrens, da muss man erst mal die Informationen aus der Staatsanwaltschaft beziehungsweise vom Generalbundesanwalt erst mal abwarten.
Klein: Es gab ja schon ein bisschen Besorgnis auch über die letzten Stunden, weil diese Terrorgefahr sich ja offenbar jetzt nicht nur auf Sachsen beschränkt hat, sondern weil auch in Berlin an den Flughäfen die Sicherheitsvorkehrungen erhöht wurden. Was lässt sich denn zur Stunde darüber sagen, über die Sicherheit in Deutschland insgesamt?
Fiedler: Zur Stunde lässt sich sagen, dass die unverändert hoch ist (gemeint ist die Terrogefahr, Anm. d. Red.). Ich glaube, dass sie sich nicht verändert hat durch diesen Einzelfall jetzt, sondern das ist ja nun seit Monaten im Grunde ein gleichbleibendes Thema. Das zeigt sich auch daran, dass wir unsere Ressourcen extrem verschoben haben hier in diesem Bereich. Man kann nun nicht sagen, dass sich etwas beruhigt hat dadurch, dass wir einen Täter festgenommen haben, sondern wir haben auf unterschiedlichsten Baustellen noch äußerst viel zu tun, und zwar auf der Ermittlungsseite einerseits, auf der Seite der Optimierung der Informationsaustausche im Bereich der Europäischen Union. Da fehlt uns ein europäisches FBI und ein europäischer Fahndungsraum. Den haben wir so noch nicht. Und auf der anderen Seite mindestens genauso wichtig ist es, erheblich mehr Ressourcen in Deradikalisierungsprogramme zu stecken. Das heißt, wir müssen natürlich verhindern, dass sich Leute, die zu uns kommen oder die sich bei uns befinden, in so kurzer Zeit, wie wir das an der einen oder anderen Stelle festgestellt haben, radikalisieren können. Da müssen wir ein Vielfaches der Geldmittel in diese Bemühungen stecken, wie wir das derzeit tun.
"Wir müssen dort natürlich viel mehr Programme zur Verfügung stellen"
Klein: Können Sie Beispiele nennen, was genau da noch optimiert werden müsste, jetzt hier mit Blick auf Deutschland?
Fiedler: Mit Blick auf Deutschland ist es ganz einfach. Nehmen wir mal dieses Beispiel dieses Jugendlichen, der sich zunächst einmal in Dülmen gemeldet hat, dann in Köln anschließend angekommen ist, der dort von den Betreuern in der Flüchtlingsunterkunft erkannt worden ist als jemand, der sozial zurückgezogen ist, der keine sozialen Kontakte hatte. In der Beschreibung der Persönlichkeit muss uns das erinnern an Amoktäter. Da gibt es einen umfassenden Forschungsstand hier zu der Frage, wo kann man solche Personen dran erkennen. Das was wir also tun müssen ist: Wir müssen die Leute, die in Kontakt treten damit, wir müssen die Leute, die sich beispielsweise mit Flüchtlingsarbeit beschäftigen, aber auch sonst im weiteren Umfeld viel intensiver schulen. Wir müssen dort natürlich viel mehr Programme zur Verfügung stellen. Es reicht natürlich nicht aus, in Flüchtlingsunterkünften ein offenes WLAN anzubieten und sich sonst nicht weiter um die Leute kümmern zu können, weil die entsprechenden Ressourcen nicht zur Verfügung stehen. - Das war nur ein ganz kleines Beispiel dafür.
Klein: Wir diskutieren darüber jetzt seit etlichen Monaten. Was ist Ihre Erklärung dafür, weshalb da, wie Sie es jetzt beschreiben, immer noch nicht genug passiert?
Fiedler: Ja nun, die Erklärung liegt unter anderem daran, dass wir das so von heute auf morgen nicht hinkriegen können. Das heißt, das hat insbesondere damit zu tun, dass die Politik immer sehr kurzfristig und sehr kurzsichtig reagiert. Kriminalpolitik muss aber nach vorne gedacht werden. Das heißt, wir müssen uns jetzt schon damit auseinandersetzen, mit welchen Szenarien wir nach der Bundestagswahl möglicherweise zu tun haben. Wir müssen uns überlegen, was wir als Kriminalpolitik denn überhaupt anbieten können, wenn an bestimmten Ecken der Gesellschaft Integration nicht funktioniert. Wir arbeiten aber nur so, dass wenn Opfer auf der Straße liegen oder wenn die Bevölkerung unruhig ist in bestimmten Bereichen, dann ändern wir unsere Kriminalpolitik. Das ist der Hauptgrund dafür, warum wir jetzt so ein bisschen hinterherlaufen hinter der aktuellen Lage.
"Wir müssen uns vor allem nicht verrückt machen"
Klein: Vielleicht noch abschließend, Sie haben es angedeutet: Die Terrorgefahr ist weiterhin hoch. Es scheint, auch ein bisschen eine diffuse Angst zu geben, auch gerade nach diesen Ereignissen, was Flughäfen angeht. Aber das ist so und damit müssen wir im Augenblick zumindest mal leben?
Fiedler: Ja, wir müssen uns vor allem nicht verrückt machen. Das muss man ja auch mal ganz nüchtern betrachten. Es ist natürlich erheblich wahrscheinlicher, wenn Sie mit dem Fahrrad auf der Straße unterwegs sind, zu Tode zu kommen als durch einen Terroranschlag. Ich glaube, da muss man mal ganz nüchtern auf die Dinge blicken und nicht der Nachrichtenlage sozusagen mit Emotionen hinterherlaufen.
Klein: Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter mit seiner ersten Einschätzung zu den Ereignissen rund um einen 22-jährigen Syrer unter Terrorverdacht, der in der Nacht festgenommen wurde. Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.