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Terrorgefahr in Deutschland
"Ernsthafte Bedrohung" durch islamistische Einzeltäter

Islamistische Syrien-Rückkehrer stellen "eine ernst zu nehmende Gefahr in Europa" dar, sagte Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD). Im Deutschlandfunk machte er sich für die Vorratsdatenspeicherung und eine weitere Zusammenarbeit mit der NSA stark.

    Der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) erläutert am 28.03.2014 im Landtag in Stuttgart (Baden-Württemberg) im Rahmen einer Pressekonferenz die Polizeistatistik für das Jahr 2013.
    Der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) (dpa picture alliance / Bernd Weissbrod)
    Laut dem gestern vorgestellten Verfassungsschutzbericht sind in den vergangenen Jahren mehr als 320 Islamisten aus Deutschland nach Syrien gereist und zum Teil hierher zurückgekehrt. Etwa ein Zehntel der gewaltbereiten Islamisten in Deutschland käme aus Baden-Württemberg, so Gall. Auch wenn etwa das Attentat auf das Jüdische Museum von Brüssel die Gefahr durch Syrien-Rückkehrer deutlich mache, gäbe es derzeit keine konkreten Anhaltspunkte für Anschläge.
    Auf die Frage nach einer weiteren Zusammenarbeit von deutscher Seite mit dem US-Geheimdienst NSA sagte Gall, er wünsche sich zukünftig eine noch engmaschigere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. "Wir sind auf Informationen ausländischer Geheimdienste angewiesen", so der SPD-Politiker.

    Das vollständige Interview mit Reinhold Gall können Sie hier nachlesen.
    Silvia Engels: Seit Tagen beobachtet die Weltöffentlichkeit entsetzt den Vormarsch radikaler Islamisten im Irak. Eine Folge des seit Jahren tobenden Bürgerkriegs in Syrien. Dort kämpfen auch Dschihadisten aus Deutschland. Viele kommen irgendwann zurück, warnte gestern Bundesinnenminister de Maizière von der CDU:
    O-Ton Thomas de Maizière: Wir hatten die Sorge, dass diese Rückkehrer Anschlagsplanungen machen. Inzwischen wissen wir, dass diese Sorge mehr als berechtigt war, aus einer abstrakten Gefahr von kampfbereiten Rückkehrern ist eine konkrete tödliche Gefahr geworden in Europa, mit Deutschland-Bezug.
    Engels: Wie groß ist diese Gefahr konkret und wie eng sind die Verbindungen deutscher Dschihadisten zur Terrorgruppe ISIS, die gerade im Nordirak von sich reden macht? Wir fragen gleich den Innenminister von Baden-Württemberg Reinhold Gall von der SPD.
    Der syrische Bürgerkrieg und der Vormarsch radikaler Islamisten im Nordirak, sie hängen zusammen. Das lässt sich schon am Namen der Terrorgruppe erkennen, ISIS steht für Islamischer Staat im Irak und Großsyrien. Die Dschihadisten kontrollieren Territorien über Staatsgrenzen hinweg. Beobachter fürchten einen Umbruch der gesamten Region. In Deutschland macht noch ein anderer Aspekt den Behörden zu schaffen, innerhalb der ISIS soll es nämlich auch deutsche Islamisten geben. Und laut dem gestern vorgelegten Verfassungsschutzbericht sind mittlerweile gut 100 Dschihadisten, die im Syrien-Krieg gekämpft haben, zurück in Deutschland. Zum Teil womöglich mit Attentatsplänen. Am Telefon ist nun der Innenminister von Baden-Württemberg Reinhold Gall, SPD, guten Morgen, Herr Gall!
    Reinhold Gall: Guten Morgen, Frau Engels!
    Engels: Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass es mittlerweile insgesamt 43.000 Islamisten in Deutschland gibt. Wie ist die Konzentration dieser Gruppe in Baden-Württemberg?
    Gall: Wir haben in unserem Verfassungsschutzbericht, den wir Anfang diesen Monats zugestellt haben, deutlich gemacht, dass ein nicht geringer Teil jedenfalls derjenigen, die wir dem extremistischen Islamismus zuordnen, auch in Baden-Württemberg seine Heimat hat. Man kann grundsätzlich davon ausgehen, dass es immer etwa ein Zehntel dessen ist, was sich auf der Bundesebene abspielt. Und deshalb sind wir von den Entwicklungen auf der Bundesebene natürlich auch betroffen.
    Islamistische Bewegungen sind in ganz Europa
    Engels: Der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg legt schon seit einiger Zeit einen Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Beobachtung des islamistischen Extremismus. Welche Entwicklungen haben Sie als neuste Trends ausgemacht?
    Gall: Insgesamt ist festzustellen – und das gilt für Baden-Württemberg im besonderen –, dass das Thema Salafismus bei uns zunehmend ein Problem darstellt, dass es rund 550 extremistische Salafisten in Baden-Württemberg gibt, die wir kennen und die uns bekannt sind, die Aufenthaltsorte bekannt sind, die Objekte und Vereinigungen, in denen sie sich bewegen. Das ist die dynamischste islamistische Bewegung nicht nur in Deutschland, in Baden-Württemberg, sondern in Gesamteuropa.
    Engels: Innenminister de Maizière sprach ja gestern mit Blick auf mögliche Rückkehrer aus Bürgerkriegsgebieten – und darunter sind dann auch teilweise Salafisten – von einer konkreten tödlichen Gefahr in Europa, mit Deutschland-Bezug. Sehen Sie diese Einschätzung auch für das, was Sie überblicken können, als gerechtfertigt?
    Gall: Ja, diese Einschätzung teile ich. Denn der Bericht des Bundesinnenministers basiert ja nicht nur auf eigenen Erkenntnissen, sondern auch auf Erkenntnissen der Landesverfassungsschutzbehörden. Und deshalb habe auch ich davon gesprochen, dass wir zwar nach wie vor keine konkreten Anhaltspunkte bezüglich Anschläge in Baden-Württemberg und meines Wissens auch nicht in Deutschland haben, aber wie gesagt, die Tatsache, dass es beispielsweise in Großbritannien und meines Wissens auch in den Niederlanden Anschlagsplanungen gab, die vereitelt werden konnten, und einen durchgeführten Anschlag in Brüssel mit vier Toten, macht deutlich, wie schnell es ernst werden kann. Macht deutlich, dass Rückkehrer eine ernst zu nehmende Gefahr sein können. Denn der Attentäter von Brüssel war ein Rückkehrer, französischer Staatsangehöriger. Macht deutlich, dass Länder in Europa durch Anschläge gefährdet sind.
    Engels: Welche Arten von Anschlägen sind durch diese Rückkehrer wahrscheinlich? Taten von Einzeltätern, oder schließen sie sich in Gruppen zusammen?
    Gall: Ja, gerade das ist ziemlich schwierig. Denn wir stellen seit Jahren fest, dass es auch sich selbst radikalisierende Einzeltäter gibt, also Menschen, die nicht einer Gruppierung zuzurechnen sind und deshalb auch schwer zu entdecken sind. Deshalb bleibt dies eine Mutmaßung, macht den Sicherheitsbehörden die Erkenntnis und die Ermittlung entsprechend schwierig. Aber jedenfalls diejenigen, die wir kennen – und ich habe ja von 550 bekannten extremistischen Salafisten gesprochen – die haben wir natürlich schon im Visier, beobachten, soweit es irgend möglich ist, deren Reisetätigkeiten, insbesondere wenn sie dann ausreisen. Und wir meinen ja, dass rund 15 dieser Extremisten auch ausgereist sind, ein Rückkehrer zwischenzeitlich wieder in Baden-Württemberg zu Hause ist, wenn man so will. Und wie gesagt, das macht uns entsprechend Sorge und erfordert hohe Aufmerksamkeit.
    Ermittlungserfolge gelingen
    Engels: Die Bürger fragen sich natürlich, ob bei dieser Beobachtung auch so weit konkreten Plänen hinterhergespürt werden kann, dass vielleicht wenigstens demnächst Festnahmen und gerichtsfeste Anklagen möglich sind!
    Gall: Ja, es ist schon so, dass auch Ermittlungserfolge gelingen. Denn im November des zurückliegenden Jahres ist es ja gerade in Baden-Württemberg gelungen, wegen des Verdachts zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalt Festnahmen zu tätigen, also Untersuchungshaft anzuordnen. Das Verfahren hat inzwischen der Generalbundesanwalt übernommen. Er hat ein Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft gegen diese Personen eingeleitet, wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und anderer Straftaten. Das zeigt schon, dass wir aufmerksam sind und dass wir auch handlungsfähig sind.
    Engels: So weit der Blick auf Dschihadisten, die im syrischen Bürgerkrieg gekämpft haben. Was wissen Sie denn über die immer wieder aufkommenden Berichte über deutsche Dschihadisten, die womöglich auch aktuell bei ISIS im Irak kämpfen? Einige sprechen sogar von Vertretung von Deutschen bei der Führungsebene der ISIS!
    Gall: Ja, die ISIS bekannte sich ja zu Al-Kaida, wurde deshalb auch Al-Kaida im Irak genannt, da gab es auch zwischenzeitliche Zerwürfnisse. Aber es ist völlig klar, das Ziel, das verfolgt wird, ist, einen Gottesstaat zu errichten. Jetzt haben wir keine Erkenntnisse darüber, dass es diesbezügliche Strukturen, das heißt also Ableger der ISIS in Deutschland, in Baden-Württemberg gibt, aber es ist zweifelsohne so, dass es einzelne Bekenner zu ISIS gibt, die wir durch entsprechende Internetauftritte auch kennen. Und das stellt schon eine erhebliche Gefährdung dann dar, weil, gerade diese zeichnen sich durch eine besondere Radikalität aus, scheuen vor Gewalttaten übelster Art nicht zurück. Und sollte es solche Rückkehrer geben, dann wäre dies eine ernsthafte Bedrohung.
    Engels: Haben denn Ihre Behörden genügend gesetzliche Mittel, um Rückkehrer oder eben mutmaßliche ISIS-Kämpfer zu überwachen, gegebenenfalls auch konkreter zu ermitteln?
    Gall: Grundsätzlich gibt es diese Möglichkeiten in den einschlägigen Gesetzen des Strafgesetzbuches, beispielsweise was die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung anbelangt, was strafbar wäre und auch entsprechend verfolgt und geahndet werden kann. Aber wie gesagt, bei Einzeltätern ist es dann schon schwieriger oder bei Menschen, die sich selbst radikalisiert haben, ihnen die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nachzuweisen. Es gibt da jetzt ein jüngstes Gerichtsurteil des Bundesgerichtshofes, welches besagt, dass pure Vorbereitungshandlungen nur ausnahmsweise strafbar sind, sondern es muss den Ermittlungsbehörden gelingen, dem Betroffenen einen festen Entschluss nachzuweisen. Das ist nicht ganz einfach. Aber die Ermittlungsbehörden und die Strafverfolgungsbehörden in Baden-Württemberg und in Deutschland tun das ihre im Rahmen dieser Möglichkeiten.
    Vorratsdatenspeicherung wäre hilfreich
    Engels: Vermissen Sie bei dieser Arbeit die Vorratsdatenspeicherung?
    Gall: Jetzt gehöre ich ja nicht, ich hoffe jedenfalls, bekanntermaßen zu denen, die immer nach schärferen Gesetzen und höheren Strafen rufen, denn höhere Strafen bei Menschen, die selbst den eigenen Tod in Kauf nehmen, werden nur schwerlich Wirkung erzeugen. Aber dass beispielsweise die Vorratsdatenspeicherung dazugehört, das ist gleichermaßen bekannt. Das wäre eine der Möglichkeiten jedenfalls, die den Sicherheitsbehörden die Arbeit erleichtern würde.
    Engels: Nun ist es ja so, dass auch BND-Pläne bekannt sind, da kommen wir jetzt auf die Seite der Geheimdienste. Sie wollen zum Beispiel soziale Netzwerke in Echtzeit überwachen, die Nächsten berichten auch darüber, dass man enger mit der NSA wieder kooperieren müsse. Was sagen Sie zu solchen Plänen?
    Gall: Ich bin grundsätzlich davon überzeugt, dass die Sicherheitsbehörden noch engmaschiger zusammenarbeiten müssen, um entsprechende Erkenntnisse dann auch breit zu streuen, dass Erkenntnisse an der einen oder anderen Stelle des Landes, bei der einen oder anderen Behörde dann auch entsprechend zusammengeführt werden. Wir haben da, finde ich, schon gute Schritte gemacht mit dem gemeinsamen Terrorabwehrzentrum in Berlin, wir haben den Verfassungsschutz und die einzelnen Behörden enger miteinander verknüpft, ich habe in Baden-Württemberg wie der Bund übrigens auf seiner Ebene auch die Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und Polizei verstetigt, das heißt, auch enger geknüpft.
    Und wir werden, dessen bin ich mir ganz sicher, auch auf ausländische Nachrichtendienste in der Zukunft angewiesen sein. Denn internationaler Terrorismus spielt sich eben nicht nur in den Ländergrenzen innerhalb Deutschlands oder innerhalb Europas ab.
    Wir brauchen Hilfe ausländischer Nachrichtendienste
    Engels: Das heißt, falls auch die NSA doch auch in Deutschland Deutsche indirekt ausspioniert, würden Sie das erst mal zurückstellen? Die Terrorbekämpfung international hat Vorrang?
    Gall: Ich bleibe bei dieser Aussage: Wir sind auf die Informationen befreundeter Nachrichtendienste angewiesen sowie gegebenenfalls umgekehrt auch. Und die Vorkommnisse um NSA, die uns ja alle betrübt haben, die so nicht gehen, dürfen diese grundsätzliche Auffassung nicht infrage stellen.
    Engels: Reinhold Gall, er ist Innenminister von Baden-Württemberg, gehört der SPD an. Wir sprachen mit ihm über die Bedrohung auch in Deutschland durch zurückkehrende Islamisten und mögliche Ermittlungsmethoden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.