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Terrorismus
Die Geburtshelfer des "Islamischen Staates"

Der Aufstieg des "IS" zur Terrororganisation schien überraschend. Aber die Gründe dafür sind vielschichtig und reichen Jahre zurück. Joby Warrick zeichnet in seinem packenden Buch "Schwarze Flaggen" das Erstarken der Organisation nach. Und beleuchtet dabei die zweifelhafte Rolle der USA, die maßgeblich dazu beigetragen haben.

Von Susanne El Khafif |
    Der Pulitzer Ptreisträger Joby Warrick EPA/MARVIN JOSEPH/WASHINGTON POST/HANDOUT HANDOUT EDITORIAL USE ONLY/NO SALES |
    Der Pulitzerpreisträger Joby Warrick weckt große Erwartungen an ein ganz besonderes Buch. (PULITZER BOARD/ Marvin Joseph)
    Der Autor: International renommiert. Sein Buch: Ausgezeichnet mit dem Pulitzerpreis. Das weckt Erwartungen an ein ganz besonderes Buch. Und tatsächlich ist beeindruckend, was Joby Warrick da geschaffen hat - trotz einiger Schwächen.
    Warricks Thema: Die Terrororganisation "Islamischer Staat", kurz "IS". Der Autor beschreibt die weit zurückreichenden Anfänge, die Vorläuferorganisationen, die inneren Machtkämpfe, den am Ende kometenhaften Aufstieg. Im Mittelpunkt seiner Betrachtung: die Biographien ihrer geistigen Väter und Führer. Warrick stellt darüber hinaus wichtige Bezüge her, stellt Entstehung und Aufstieg des "IS" in den Kontext regionaler Entwicklungen, in den Kontext der gescheiterten Staaten Syrien und Irak - mitverursacht durch die Supermacht USA, ohne deren Versagen die Terrororganisation nicht hätte entstehen, vor allem aber nicht hätte erstarken können.
    Joby Warricks Buch "Schwarze Flaggen" ist beeindruckend, weil es so ungewöhnlich ist: Wegen der exklusiven Einblicke, die der Autor zu geben vermag, wegen seiner Enthüllungen. Und all das mitreißend erzählt wie ein Thriller, anschaulich, eindringlich, mit Bildern, die nachwirken.
    Von "al-Qa'ida" zum "Islamischen Staat"
    "Der Träger der Narbe ließ seinen Blick eine Weile stumm über die Reihen der Etagenbetten schweifen. Dann drehte er sich um und fixierte den Besucher."
    Der Träger der Narbe: Abu Mus’ab al-Zarqawi, Topterrorist.
    "Sein Blick wirkte weder einladend noch feindlich, eher wie der Blick einer Schlange, die eine fette Maus betrachtet, die man ihr gerade in den Käfig geworfen hat."
    Der Besucher: Basel al-Sabha, ein junger Arzt ...
    "Fünf Männer stellten sich hintereinander vor dem Arzt auf, nur fünf, und der Mann mit der Narbe hatte noch immer kein einziges Wort gesprochen. Dann wandte er sich um und sah wieder den Arzt an, mit demselben reptilienartigen Blick wie zuvor - dem Blick eines Mannes, der selbst hier, in Jordaniens schlimmstem Gefängnis, absolute Macht besaß. Sabha fühlte sich unwohl. Ihm war, als spüre er, wie das Fundament der alten Festung unter seinen Füßen leicht zu zittern begann."
    So die Szene, in welcher der Autor den Leser mit der Hauptfigur seines Buches konfrontiert: Abu Mus’ab al-Zarqawi, Gründer von "al-Qa’ida im Irak" und geistiger Vater des "IS".
    Die Gefängnisszene, in der Arzt und Terrorist aufeinander treffen, ist der Beginn des Buches, ist gleichermaßen Auftakt eines fast monumental anmutenden Gesamtkunstwerks, in dem die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit manchmal zu verschwimmen scheint. Mit zahlreichen Akten, wechselnden Kulissen, Haupt- und Nebenrollen, Helden und Bestien.
    Warnungen nicht gehört
    Die Hauptfiguren lässt der Autor lebendig werden. Er beschreibt sie und ihr Handeln, lässt Dritte erzählen und sie tief in die Köpfe seiner Akteure hineinblicken. Besonders gelungen ist, wie Warrick den 2006 durch einen US-Luftschlag getöteten Abu Mus’ab al-Zarqawi auferstehen lässt, wie er dessen Nacheiferer Abu Bakr al-Baghdadi in Szene setzt. Al-Baghdadi, der 2014 vorgab, ein "Kalifat" auszurufen und dabei in Wirklichkeit nichts anderes tat, als mit dem "IS" ein Terrorregime zu etablieren.
    Gelungen auch die Darstellung seiner "Helden": König Abdullah II. von Jordanien, der immer wieder vor den aufziehenden Gefahren warnte, dessen Appelle aber in Washington verhallten. Dann amerikanische Diplomaten, Politiker und Militärs, die ebenfalls erfolglos versuchten, das Weiße Haus vor Fehlern zu bewahren. So auch Nada Bakos, eine Agentin der CIA.
    "Es war ein frustrierender Job, gar nicht einmal so sehr wegen der unbarmherzigen Arbeitsbedingungen. Nein, was ihr viel mehr zu schaffen machte, das waren die Fragen, die Washington und Langley ihr diktiert hatten und die einzig und allein dazu dienen sollten, etwas zu finden, von dem Bakos längst wusste, dass es überhaupt nicht existierte."
    Die Fehler Washingtons im Irak, in Syrien und der Region lesen sich bei Joby Warrick wie die "Chronologie eines endlosen Scheiterns": Die fabrizierten Gründe für die Irak-Intervention 2003, die desaströse Demontage der irakischen Armee, der Schulterschluss mit den Schiiten im Land. Dann: der Totalrückzug aus dem Irak, ohne das entfesselte Chaos vorher zu beseitigen, Ängste und Zaudern in Syrien, eine "rote Linie", die straflos überschritten wurde - mit katastrophalen Folgen für die Region, Nährboden und Brutstätte zugleich für den "IS".
    Beachtliche Recherche mit einigen Mängeln
    Bei den Ausführungen beeindrucken die Informationen, die der Autor selbst in den Zentren der Macht recherchiert hat. Sie hinterlassen Fassungslosigkeit, zeugen von einer Supermacht, die sich durch Unkenntnis und Arroganz auszeichnet.
    "Analysten und Experten beschrieben den Feldzug des IS als plötzlichen und überraschenden Überfall, gleich einem heftigen Sandsturm, der aus dem Nichts kommt und über die Wüste fegt. Doch das war mitnichten der Fall."
    Selten bezieht Joby Warrick so eindeutig Position wie hier. In der Regel bleibt er deskriptiv, lässt er die Fakten für sich sprechen oder andere die Position einnehmen, die er wohl selbst vertritt. Das ist schade, denn das Buch hätte durchaus mehr Einordnung und Einschätzung durch den Autor bedurft. So aber droht der Leser an mancher Stelle verloren zu gehen - in der Fülle von Informationen und Querbezügen, von Rück- und Ausblicken.
    Unerwartet auch die an mancher Stelle mangelnde islamwissenschaftliche Kompetenz. Wenn der Autor im Kontext der Ermordung von Geiseln konstatiert, dass "der Koran ausdrücklich die Enthauptung von Gefangenen billigt" ohne eine korrekte Einordnung vorzunehmen; wenn er Hadithe als "heilige Texte des Islam" bezeichnet, was sie mitnichten sind; oder: die jordanischen Muslimbrüder als "Geistliche mit flatternden Roben und wallenden Bärten". Starke Bilder, doch ebenfalls nicht korrekt.
    Ein letztes Wort zu Warricks Umgang mit Informationen und Quellen. Ein Großteil seiner Quellenverweise ist nachprüfbar. Gerade die interessantesten Informationen, aber fußen auf ausgesprochen vagen Verweisen, rühren aus "Gesprächen", die der Autor oft mit namentlich nicht genannten Personen geführt haben will. "Quellenschutz" ist legitim, doch der kann mitunter Zweifel hinterlassen, Zweifel an der Echtheit der Angaben. Was das Buch zwar noch romanhafter macht, seine Lektüre aber umso spannender.
    Joby Warrick: Schwarze Flaggen. Der Aufstieg des IS und die USA
    Theiss Verlag 2017, 396 Seiten, 22,95 Euro