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Terrorismus-Experte
"Wer dem Terror folgt, wird unterliegen"

Man könne gewisse Lehren aus den "Terrortagen in Paris" ziehen, sagte der Terrorismus-Experte Rolf Tophoven im DLF. Die Razzia und das Feuergefecht in Saint-Denis zeigten, wie sehr Frankreich von terroristischen Kommandos überzogen sei. Dabei werde deutlich, dass der IS eine völlig neue Art einer Terrororganisation sei: äußerst lernfähig und innovativ.

Rolf Tophoven im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Ein Polizist mit Sicherheitsweste steht vor einem Polizeiauto.
    Ein Polizist während des Polizeieinsatzes im Pariser Vorort Saint-Denis. (picture alliance / dpa / Sebastien Muylaert/Wostok Pres)
    Tobias Armbrüster: Wie groß ist die Gefahr durch Dschihadisten und Terrorzellen bei uns in Europa und bei uns in Deutschland? Wie sollen wir reagieren und wie sollen wir nicht reagieren? Darüber habe ich heute kurz vor dieser Sendung mit dem Terrorismus-Experten Rolf Tophoven gesprochen. Er leitet das Institut für Krisenprävention in Essen. - Schönen guten Abend, Herr Tophoven.
    Rolf Tophoven: Guten Abend, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Tophoven, ein einstündiges Feuergefecht heute Morgen zwischen mutmaßlichen Terroristen und der Polizei im Norden von Paris. Das ist ja bei uns nicht gerade Polizeialltag. Was sagt uns dieser Einsatz über die Terrorgefahr in Europa?
    Tophoven: Dieser Einsatz demonstriert und dokumentiert auch die Härte der Auseinandersetzung, die auch hochqualifizierte französische Spezialeinheiten mit militant-islamistischen Kommandos vom Schlage des IS durchzuführen haben. Das zeigt aber auch zum anderen, dass die Franzosen heute geradezu von terroristischen Kommandos oder potenziellen Terrortätern überzogen werden. Vor allen Dingen auch, dass der letzte Schuss in diesem Terrordrama der jüngsten Tage noch nicht gefallen ist. Es gibt wohl nach wie vor funktionierende Zellen in Frankreich, die hoch gefährlich sind. Ansonsten wäre ein mehrstündiges Feuergefecht kaum denkbar.
    Armbrüster: Müssen wir denn, Herr Tophoven, davon ausgehen, dass es solche Wohnungen auch bei uns in Deutschland gibt, solche Wohnungen mit schwergepanzerten Türen, Wohnungen, in denen Selbstmordattentäter sozusagen auf die Polizei warten?
    Großeinsatz der Polizei in Saint-Denis
    Großeinsatz der Polizei in Saint-Denis (dpa / picture-alliance / Etienne Laurent)
    Tophoven: Bisher haben solche Szenarien die deutschen Sicherheitsbehörden noch nicht auf dem Schirm gehabt. Auf der anderen Seite aber: Wenn man die jüngsten Äußerungen des Innenministers nimmt, dann ist ja die Terrorgefahr in Deutschland gerade in diesen Tagen geradezu emporgeschnellt. Wir müssen davon ausgehen, dass auch hier ein professionell vorbereiteter, koordinierter Terroranschlag an mehreren Stellen gleichzeitig möglich ist. Und wenn Sie das Szenario beschreiben, dass es hier geheime Terrorzellen gibt, so würde ich das nicht ausschließen. Denn eins lehren uns auch die Terrortage in Paris: Der "Islamische Staat" ist eine völlig neue Art einer Terrororganisation und der "Islamische Staat" ist - so sehe ich es - eine lernfähige und sehr, sehr innovative Terrorgruppe, die wohl noch viele Überraschungen auch für uns hier im Westen im Petto hat.
    Armbrüster: Habe ich Sie dann richtig verstanden, Herr Tophoven, dass Sie sagen, in Punkto Terrorgefahr gibt es eigentlich kaum einen Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland? In beiden Ländern ist die Gefahr vor solchen radikalen Dschihadisten gleich groß?
    Tophoven: Rein nummerisch, Herr Armbrüster, ist die Lage in Frankreich doch etwas unterschiedlich von Deutschland, nicht zuletzt auch aus der Historie der französischen Republik mit den Millionen von Muslimen, die in Frankreich leben, zum Teil mangelhaft ausgebildet, schlecht integriert und wo sich gerade in den Banlieues der großen Städte doch fast metastasenhaft wie ein Krebsgeschwür die Terrorgefahr ausgebreitet hat. Und dann gibt es noch einen entscheidenden Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland, ganz aktuell: Frankreich schlägt massiv gegen den IS mit der Luftwaffe im Irak und besonders in Syrien zu und Frankreich hat ja auch zumindest verbal die Option geäußert, auch Bodentruppen dort zum Einsatz zu bringen.
    Bundeswehreinsatz in Erbil könnte Rechtfertigungsgrund sein
    Armbrüster: Das heißt, das sollten deutsche Politiker auf keinen Fall tun?
    Tophoven: Derzeit sehe ich dazu auch keine parlamentarische Lösung im Bundestag. Aber die Frage ist ja, wie geht es weiter. Die Bundeswehr ist ja heute schon sozusagen im Anti-IS-Einsatz durch die Ausbildung der kurdischen Peschmerga-Milizen in Erbil. Sollte es in Deutschland zu einem Terroranschlag kommen, wird mit Sicherheit in Audio- und besonders in Video-Clips der islamischen Terroristen das Engagement der Bundeswehr als sogenannter Rechtfertigungsgrund genannt werden werden.
    Armbrüster: Herr Tophoven, wir lesen jetzt jeden Tag von der Terrorbedrohung. In vielen Zeitungsartikeln fällt das Wort Angst. Wir hören auch, dass Weihnachtsmärkte in den kommenden Wochen möglicherweise bedroht sind. Dann gestern Abend auch noch das abgesagte Länderspiel in Hannover. Sind wir schon in so einem Zustand von Hysterie, den sich die Islamisten so sehr wünschen?
    Tophoven: Wenn wir in diesem Zustand der Panik und Hysterie wären, Herr Armbrüster, dann wäre der Wunsch der Terroristen schon erfüllt. Aber ich sehe eine alte Faustregel, die sich auch in früheren schweren Terrorlagen auch in Deutschland, wenngleich nicht taktisch operativ mit dem IS von heute zu vergleichen, doch eine Lehre, ein Lehrsatz immer bewährt hat: Gelassenheit und souveräner Umgang mit der Gefahr oder der drohenden Gefahr. Denn eins weiß ich aus der Geschichte des Terrors. Wer dem Terror folgt, wird unterliegen, denn wir, die freie demokratische offene Gesellschaft entscheidet letztlich durch unsere Reaktion über Sieg oder Niederlage des Terrorismus, denn wir können uns immer weigern, das zu tun oder uns so zu verhalten, wie es die Terroristen wünschen.
    Armbrüster: ... sagt der Terrorismus-Experte Rolf Tophoven und dieses Interview haben wir heute Abend kurz vor dieser Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.