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Terrorismus in Belgien
Das Problem Molenbeek begann 1967

Der Brüsseler Stadtteil Molenbeek kommt seit den Anschlägen in der belgischen Hauptstadt nicht aus den Schlagzeilen. Die Attentäter von Brüssel sowie Verantwortliche der Pariser Anschläge wohnten zeitweise in diesem Bezirk. Zwei belgische Journalisten, Christophe Lamfalussy und Jean-Pierre Martin, haben dieses Umfeld nun genauer unter die Lupe genommen.

Von Malte Pieper |
    Zwei Jungen mit Rucksack laufen Arm in Arm durch eine Einkaufsstraße im Brüsseler Stadtteil Molenbeek, aufgenommen 2015
    Seit den Anschlägen von Paris und Brüssel erobern sich die Einwohner den Stadtteil Molenbeek von den Islamisten zurück. (picture alliance / dpa / Stephanie Lecocq)
    Es ist eine ziemlich schonungslose Analyse, und sie spart nicht mit Kritik am eigenen Land. Belgien war schlicht blind, eine ganze Politikergeneration hat einfach weggeguckt, lautet das Resümee von Christophe Lamfalussy und Jean-Pierre Martin. Der eine arbeitet für "La Libre Belgique", eine Art hiesige FAZ, der andere in der Rechercheabteilung von RTL. Monatelang haben sie in und um Molenbeek recherchiert.
    "Das Fundament der heutigen Islamistengeneration, das legte die belgische Politik mit einer völlig verfehlten Einwanderungspolitik bereits in den 1960er-Jahren", betont Jean-Pierre Martin. Ähnlich wie in der Bundesrepublik holte man damals sogenannte "Gastarbeiter" ins Land:
    "Man hat die Arbeiter, die Migranten aus Marokko, geholt, ohne sich um sie kümmern. Ohne ihnen beispielsweise ein kulturelles oder spirituelles Umfeld zu schaffen. Man hat das einfach Saudi-Arabien überlassen. Saudi-Arabien hatte dabei aber seinen ganz eigenen Plan: Das Land war damals gerade durch das Ölgeschäft reich geworden und hatte beschlossen, der ganzen muslimischen Welt seine Sichtweise des Islam überzuhelfen. Die sehr konservative Interpretation des Wahabismus."
    In Brüssel entstand ein Zentrum für radikal-islamische Prediger
    Was Jean-Pierre Martin anspricht, ist kurz gesagt ein Deal des belgischen Königs von 1967: Um an billiges Öl zu kommen, ließ König Baudoin damals den saudischen König Faisal die Große Moschee von Brüssel bauen. Ließ ihn ein regelrechtes Missionszentrum errichten. Eine Art westliches Mekka für radikal-islamische Prediger.
    Spätestens in den 1990er-Jahren lassen sich dann die ersten von ihnen auch direkt in Molenbeek nieder. Teile des Stadtteils sind zu diesem Zeitpunkt schon regelrecht heruntergekommen. Die Worte der Islamisten fallen auf fruchtbaren Boden, sie können fast ungestört agitieren:
    "Auf der einen Seite haben wir die Verantwortung der Belgier, nämlich dafür, einfach alles laufen gelassen zu haben, also diese Blindheit gegenüber dem Salafismus. Und auf der anderen Seite das Gleiche bei den Imamen und Verantwortlichen der Gemeinden, die ihrer Verantwortung auch nicht gerecht geworden sind."
    Molenbeek wird zu dieser Zeit von einem sozialistischen Bürgermeister regiert. Der lässt den Islamisten völlig freie Hand, versucht gar nicht erst, hinter die Kulissen zu schauen. Von 41 Gebetsorten in Molenbeek sind nur vier überhaupt staatlich anerkannt. Konsequenzen hat das keine.
    In Belgien wurde zu lange weggeschaut
    Währenddessen, so schreiben Christoph Lamfalussy und Jean-Pierre Martin, können die islamischen Prediger jahrelang ungestört gescheiterte Jugendliche bearbeiten. Sie impfen ihnen ein, dass Belgien nicht gut für Muslime ist, dass sie sich in Acht nehmen, zur Not auch wehren müssen.
    Und während man in England nach 9/11, also den Anschlägen auf das World Trade Center, sehr genau nachschaut, was in den Moscheen auf der Insel passiert, guckt man in Belgien weiter weg. "Man sagte sich", so Jean-Pierre Martin, "eine kleine Minderheit wird schon nicht in der Lage sein, das Land zu destabilisieren". Bis es 2015 zu spät ist:
    "Von da an ist man sich bewusst geworden, wie der Fundamentalismus bereits Fuß gefasst hat, wie er sich ausgebreitet hat, diese extrem konservative, rückwärtsgewandte Auslegung des Islam, bis es schließlich zu dem Dschihadismus geführt hat, den wir seit zwei Generationen kennen."
    Die Molenbeeker erobern ihren Stadtteil zurück
    Seit den Anschlägen allerdings machen die beiden Journalisten eine Kehrtwende aus. Sowohl vor Ort in Molenbeek als auch in der Politik auf Bundesebene in Belgien. Regelmäßige Razzien der Polizei hätten die Szene verunsichert und getroffen. Verschiedene Sozialprogramme sind angelaufen, die Zivilgesellschaft im knapp 100.000 Einwohner starken Molenbeek sei aufgewacht. Die Einwohner erobern sich ihren Stadtteil wieder zurück, weg aus der lange existierenden Parallelwelt, lautet das Fazit:
    "Es ist doch klar: Wenn die Jugendlichen ein positives Umfeld haben, wenn sie auf gute Schulen gehen können, nicht auf reine Problemschulen, wo sie nur auf dem Abstellgleis landen, dann bestehen große Chancen, dass sie eben nicht abrutschen und sich nicht von den Islamisten anwerben lassen."
    Aber das ist noch ein weiter Weg, seufzt Autor Jean-Pierre Martin. Der Anfang dafür ist jedenfalls gemacht.

    Christophe Lamfalussy, Jean-Pierre Martin: "Molenbeek-sur-Djihad"
    Editions Grasset, 2017, 304 Seiten, 19,00 Euro.