Ann-Kathrin Büüsker: Wo waren Sie, als am 11. September 2001 die Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers krachten? Die meisten Menschen, die das bewusst miterlebt haben, die wissen das noch, wo sie da waren. Aber wie steht es mit dem 13. November 2015? Mit dem 22. März 2016? Das sind die Daten der Anschläge von Paris und Brüssel. Seitdem sind etwas mehr als sechs beziehungsweise knapp zwei Monate vergangen.
Und seitdem gehört Terror auch in Europa zu den stets möglichen Bedrohungen. Gerade mit Blick auf die Fußballeuropameisterschaft, die ja am 10. Juni losgeht in Frankreich. Dort wurde deshalb in dieser Woche der Ausnahmezustand verlängert. Und zu all dem kommt jetzt auch noch der Absturz einer Passagiermaschine auf dem Weg von Paris nach Ägypten, auch möglicherweise ein Terroranschlag.
- Terror in Europa, darüber möchte ich mit dem Politologen Asiem El Difraoui sprechen, guten Morgen!
Asiem El Difraoui: Ja, schönen guten Morgen!
Büüsker: Hat sich in den vergangenen Monaten substanziell etwas verbessert, wenn es um den Kampf gegen Terror in Europa geht?
El Difraoui: Das sagen natürlich zumindest die Sicherheitsbehörden der verschiedensten europäischen Länder. Es wird immer wieder beteuert, dass es verstärkte Zusammenarbeit gibt, dass Gremien geschaffen werden für einen verstärkten Austausch. Das muss man sehen, ob diese Beteuerungen auch wirklich zu ganz konkreten Maßnahmen führen, ob sie helfen, Anschläge zu vereiteln. Die Anschläge von Paris und Brüssel waren ja auch nur möglich, eben, weil selbst die Franzosen mit ihrem Nachbarland Belgien und umgekehrt keinen vernünftigen Austausch hatten. Man darf sich erinnern, dass zum Beispiel einer der Attentäter von Paris dreimal in Frankreich kontrolliert wurde und in Belgien auf der Fahndungsliste stand, aber die Franzosen davon gar nichts wussten. Das sind natürlich Entwicklungen, die muss man im Detail verfolgen. Interessant ist aber auch unser Kurzzeitgedächtnis: Wir gucken jetzt auf die Anschläge von Belgien, von Brüssel und die zwei Anschläge des letzten Jahres in Paris zurück, aber vergessen auch zum Beispiel ganz schnell, dass der Dschihadismus schon quasi vor einem Jahrzehnt ganz schlimm in Europa zugeschlagen hat. Ich denke da an die Attentate von London, der Metro von London, die natürlich ganz grausam waren. Oder die Attentate zum Beispiel auf die Bahnhöfe von Madrid. Das heißt auch, dass wir eigentlich ganz lange vorgewarnt worden sind, dass wir eigentlich wissen müssen, dass der Dschihadismus ein Phänomen ist, das wir wahrscheinlich noch jahrzehntelang bekämpfen müssen in ganz unterschiedlicher Form.
Büüsker: Und ist uns das bewusst genug beziehungsweise gehen auch die Regierungen und Behörden damit offensiv genug um?
El Difraoui: Deradikalisierung ist wichtig
El Difraoui: Anscheinend war uns das lange nicht bewusst genug. Ich denke da zum Beispiel gerade an Frankreich, Frankreich hat für ganz lange Zeit nur auf sicherheitstechnische Maßnahmen, nur auf Repression und auf Aufklärung gesetzt, gleichzeitig aber zum Beispiel lässt sich der Dschihadismus als gefährliche Ideologie so nicht alleine bekämpfen. Es müssen Präventionsmaßnahmen ergriffen werden, da gibt es gesamtgesellschaftliche Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, damit junge Leute wie zum Beispiel die Attentäter von Paris und Brüssel sich nicht von dieser gefährlichen, verlogenen Ideologie verführen lassen. Da haben die Franzosen erst vor ein, zwei Jahren mit angefangen. Und jetzt sieht man, dass allgemein in Europa noch ganz, ganz viel zu tun ist. Ähnliches, es gibt auch noch einen anderen Begriff, der immer wieder auftaucht und immer wichtiger wird: Deradikalisierung. Was macht man mit jungen Europäern, die entweder in Syrien und Irak in den Krieg gezogen sind, in den Pseudo-Dschihad, und dann nach Europa zurückgekehrt sind? Oder was macht man mit jungen Europäern, die hiergeblieben sind, aber dschihadistisches Gedankengut verbreiten oder zumindest mit diesem Gedankengut sympathisieren?
Büüsker: Und was wären da aus Ihrer Sicht richtige Maßnahmen?
El Difraoui: Deutschland ist eines der Länder, wo schon zahlreiche Maßnahmen existieren. Es gibt mehrere deutsche Vereine, die das sehr gut machen. Ich denke zum Beispiel an HAYAT in Berlin, ein Verein, der junge Dschihadisten oder junge radikalisierte Deutsche oder auch Ausländer betreut, ihnen zeigt, dass der Dschihadismus nicht das Recht hat, im Namen vom Islam zu sprechen, aber natürlich auch psychologische Betreuung anbietet. Man darf nicht vergessen, dass sich oftmals junge Menschen dem Extremismus zuwenden, weil sie persönliche Narben haben, persönliche Traumata haben, sich von dieser Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. Das ist ein ganz weiter Weg. Und es bedarf quasi individueller Betreuung junger Menschen, die bedroht sind, zu Dschihadisten zu werden. Gerade jetzt hier in Frankreich treibt die sogenannte Deradikalisierung eher ganz merkwürdige Blüten. Da sollen sogenannte Bootcamps, also Camps für Dschihadisten, eingerichtet werden, wo dann 20 junge Extremisten oder 15 bis 20 junge Extremisten zusammen eine Uniform tragen sollen, die dabei sein sollen, wenn die Tricolore, die französische Fahne gehisst wird. Solche Sachen sind natürlich dann auch sehr merkwürdige und gefährliche Blüten, die auf einmal im Kampf gegen den Dschihadismus auftauchen. Generell kann man sich auch Sorgen machen, zum Beispiel über natürlich unsere freiheitlichen Rechte und die Beschneidung der so wichtigen freiheitlichen Grundrechte in Europa. Interessant ist, dass zum Beispiel die "New York Times" vor einem halben Jahr auf der Titelseite in einem gemeinsamen Leitartikel verschiedener Redakteure davor gewarnt hat, dass Frankreich genau dieselben Fehler machen würde und vielleicht noch schlimmer als George W. Bush in den Vereinigten Staaten nach dem 11. September in seinem selbsterklärten Krieg gegen den Terror, das heißt Polarisierung der Gesellschaft vorantreibt, eine gewisse Stigmatisierung von Muslimen, und unsere Grundrechte beschneidet.
Büüsker: Jetzt haben Sie gesagt Polarisierung der Gesellschaft. Und dass andererseits die Deradikalisierung der potenziellen Islamisten wichtig ist. Vor diesem Hintergrund würde ich gerne auf die aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklung kurz schauen. Wenn wir jetzt auf Deutschland gucken, das Erstarken der AfD, in Österreich werden die Rechten immer stärker ... Wie sehr hilft diese Polarisierung der Gesellschaft dann letztlich den Terroristen?
El Difraoui: Sie hilft ihnen eindeutig. Ich meine, das Ziel dieser Anschläge in Europa durch diesen pseudoislamischen Staat ist es, unsere Gesellschaften zu spalten. Je weiter die Gesellschaften gespalten werden, je größer die Islamfeindlichkeit wird, desto mehr hoffen die Dschihadisten, in Europa rekrutieren zu können. Und das heißt auch, wir brauchen wirklich einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir dürfen halt nicht in diese Polarisierungsfalle fallen, sonst freuen sich unsere dschihadistischen Gegner und werden vermutlich die Rekrutierungszahlen nach oben treiben können.
Büüsker: Lassen Sie uns im zweiten Teil dieses Gesprächs auf den Absturz der Passagiermaschine gucken über dem Mittelmeer. Donnerstag früh abgestürzt, die Regierung in Kairo hält es durchaus für möglich, dass das Ganze ein Terroranschlag ist, wir wissen noch nicht, ob es einer war. Aber halten Sie das grundsätzlich für plausibel, dass dort ein Anschlag dahintersteckt?
El Difraoui: Dschihadismus auch im südlichen Mittelmeerraum bekämpfen
El Difraoui: Gut, es ist noch zu früh natürlich, da wirklich klare Aussagen zu machen. Aber falls es ein Anschlag gewesen sein sollte, dann halte ich das natürlich ... Also, ein Anschlag ist extrem plausibel, weil der Islamische Staat, der bereits ein Passagierflugzeug über dem Sinai im letzten Jahr in die Luft gesprengt hat mit über 200 Toten, ein russisches Passagierflugzeug, natürlich gerade Länder wie Frankreich und Ägypten treffen möchte. In Frankreich wäre es dann der dritte Anschlag in knapp über einem Jahr. Und Ägypten führt ja seinen selben Krieg, vielleicht einen überzogenen Krieg zum Beispiel gegen den IS-Ableger im Norden des Sinai, der Sinai-Halbinsel, wo sich unzufriedene Beduinen, weil sie sich als Ägypter zweiter Klasse fühlen, weil sie an dem wirtschaftlichen Wachstum vom Sinai und am Tourismus-Boom dort nicht teilnehmen konnten, verstärkt dem IS zugewandt haben. Ganz generell ist es auch so, dass wir uns als Europäer immer wieder überlegen müssen, dass es nicht reicht natürlich, den Dschihadismus in Europa zu bekämpfen. Man muss auch unseren südlichen Mittelmeernachbarn verstärkt helfen, nicht mit Waffenlieferungen, sondern wirklich die Wurzeln des Dschihadismus zu bekämpfen. Das heißt eben, die sozioökonomische Misere, die Unterdrückungsstaaten. Wenn sich junge Europäer dem Dschihadismus zuwenden, sind es oftmals psychologische Gründe, eine Sinnsuche. Aber junge Araber etwa aus Syrien oder auch aus dem Norden Sinais tun das aus schierer Verzweiflung oftmals über ihre aussichtslose Lage und die Unterdrückung ganz autoritärer Staaten. Wir müssen auch dafür sorgen, dass unsere Regierungen nicht weiter die autoritären Staaten im südlichen Mittelmeerraum unterstützen bei ihrer Repression. Und gleichzeitig müssen wir unsere südlichen Mittelmeernachbarn, die Gesellschaften dort wirklich als Nachbarn sehen und ihnen massiv helfen.
Büüsker: Jetzt hat unsere Korrespondentin uns vor einer knappen halben Stunde erzählt, dass der Tourismus in Ägypten ganz massiv eingebrochen ist in den vergangenen Jahren und auch zu befürchten ist, dass dieses Unglück jetzt wieder ein schlechtes Licht auf den Tourismus in Ägypten werfen wird. Was bedeutet das dann für die Lage der Menschen dort?
El Difraoui: Der Absturz der Egypt Airs ist auf jeden Fall eine ganz große Katastrophe für Ägypten, egal, ob es durch Terror oder durch technisches Versagen entstand. Der Tourismus war in Ägypten, genauso auch in Tunesien, eine der Haupteinnahmequellen des Landes und vor allen Dingen auch die Einnahmequelle, die am meisten, sagen wir mal, Ressourcen in der Bevölkerung verteilt hat, weil einfach Millionen Menschen in der Tourismusbranche arbeiten. Und diese Einnahmequelle fällt weg. Und das zieht ein Land, das im Moment soundso äußerst instabil ist, was von einem autoritären Militärregime regiert wird, also verstärkt autoritären Regime sogar, weiter nach unten und kann für weitere Turbulenzen sorgen. Und da geht es eben halt darum, Ländern wie Ägypten zu helfen und vor allen Dingen den Menschen, die dort leben, zu helfen.
Büüsker: Sagt der Politologe Asiem El Difraoui heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
El Difraoui: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.